Selbstgespräche im Parlament: Der Bundestag in Zeiten der #GroKo

Fast drei Monate lang wurde Deutschland von einer Bundesregierung regiert behilfsmäßig verwaltet, die bereits im September abgewählt worden war. Jetzt endlich soll es mit dem Regieren losgehen. Doch schon am Tag 1 der GroKo zeigt sich, dass es um die demokratische Kultur, also den Wettstreit gegensätzlicher Positionen, in den kommenden Jahren nicht allzu gut bestellt sein wird.

von Martin Reyher, 18.12.2013

So sah die Rednerliste heute um 10:57 Uhr im Deutschen Bundestag aus:

11 der folgenden 13 Redner kamen von der Großen Koalition, die Opposition durfte in den nächsten anderthalb Stunden zweimal ans Mikrofon - und zwar für insgesamt 10 Minuten. Der Korrespondent von sueddeutsche.de, Thorsten Denkler, suchte gelangweilt das Weite - er sah in den Selbstgesprächen der GroKo keinen erkennbaren Mehrwert:

So geht das jetzt vier Jahre lang.

Dass im Falle einer 80 Prozent-Mehrheit im Bundestag neue Zeiten anbrechen, hatte sich bereits in den vergangenen Wochen angedeutet.

  • Eine der ersten Handlungen der Großen Koalition war die Vergrößerung des Bundestagspräsidums: CDU und SPD genehmigten sich jeweils einen zweiten Vizepräsidenten-Posten. Schon vor Amtsantritt sei die Große Koalition "hemmungslos und außer Kontrolle", urteilte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung.

  • Mitte November fiel eine reguläre Sitzungswoche im Bundestag aus. Die Opposition hätte gerne getagt, Union und SPD nicht - sie verhandelten derweil lieber über den Koalitionsvertrag.

  • Nicht nur Plenardebatten wurden abgesagt, auch Ausschusssitzungen konnten wegen der GroKo-Verhandlungen nicht stattfinden. Bis heute haben die regulären Bundestagsausschüsse kein einziges Mal getagt, weil CDU/CSU und SPD erst die Zuschnitte ihrer Ministerien klären wollten. Mit Rücksicht auf den SPD-Mitgliederentscheid wurde der Ressortzuschnitt bis vor wenigen Tagen geheim gehalten.

  • Selbst die fünf vom Grundgesetz vorgeschriebenen Bundestagsausschüsse für Verteidigung, Haushalt, Petition, Auswärtiges sowie EU sind bis heute noch kein einziges Mal zusammengekommen. Statt der fünf Fachausschüsse setzte die Große Koalition einen einzigen Super-Ausschuss ein, dem nur 47 der 631 Volksvertreter angehörten. Die Süddeutsche Zeitung schrieb deswegen von einem "Berufsverbot für 584 Abgeordnete". Dies sei "unverfroren, bequem und eine Missachtung des Bundestags", urteilte Heribert Prantl in der SZ.

  • Nicht nur das Bundestagspräsidum ist so groß wie nie zuvor, sondern die gesamte Bundesregierung: 33 Parlamentarische Staatssekretäre gehören ihr künftig an - so viele gab es erst ein einziges Mal, und das auch nur für kurze Zeit (unter Helmut Kohl). Nach Berechnungen des Steuerzahlerbundes kostet ein Parlamentarischer Staatssekretär inklusive Ausstattung (Personal, Büro und Dienstwagen) die Bürger rund 2 Mio. Euro pro Legislaturperiode. "Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Machtbalance", kritisierte die Westdeutsche Zeitung. "Die finanziell lukrativen Positionen werden dafür genutzt, die zuvor in den Koalitionsverhandlungen erfolgte Verteilung der Ministerposten durch die Versorgung weiterer Funktionsträger auszutarieren."

Die Beispiele zeigen: In Zeiten der Großen Koalition sind wir alle gefragt, unsere Abgeordneten kritisch zu begleiten, insbesondere die der Regierungsfraktionen (hier geht's zur Fragefunktion auf abgeordnetenwatch.de).

Noch allerdings sind wir hierzulande nicht soweit wie in Österreich. Dort hält es die Große Koaltion nicht einmal für nötig, Politiker in eine Fernsehdiskussion mit Oppositionspolitikern zu schicken, berichtete heute der österreichische Sender ATV, der die Diskussion daraufhin absagte. Thema sollte sein: "Die Wahlversprechen der Regierung im Check".
 

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