142 Abgeordnete fehlten bei keiner Abstimmung - Gauweiler "Spitzenreiter beim Blaumachen"

So oft wie er fehlte niemand: Bei 36 von 62 Abstimmungen war der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler nicht da, seine Fehlquote beträgt 58 Prozent. Möglicher Grund für die zahlreichen Fehlzeiten: Seine Nebentätigkeit als Rechtsanwalt. - Alles in allem sind unsere Volksvertreter aber besser als ihr Ruf.

von Martin Reyher, 25.04.2012

Immer dann, wenn Fernsehkameras einen fast leeren Plenarsaal abfilmen, macht das Wort von den "faulen Politikern" die Runde. Doch die Bundestagsabgeordneten sind besser als ihr Ruf, zumindest was die Anwesenheit bei namentlichen Abstimmungen angeht. abgeordnetenwatch.de hat die Präsenz bei insgesamt 62 namentlichen Abstimmungen seit der Bundestagswahl im September 2009 ausgewertet - das Ergebnis:

  • 142 der 620 Bundestagsabgeordneten haben bei keiner der 62 von abgeordnetenwatch.de untersuchten Abstimmungen gefehlt (s. Tabelle "Abwesenheit nach Abgeordneten"). 71 Abgeordnete waren jeweils einmal abwesend.
  • Die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei fehlten mit Abstand am häufigsten, die der CDU am seltensten. Während von den CDU-Abgeordneten im Schnitt nur jeder 20. Volksvertreter den Abstimmungen fernblieb, war es bei den Linken jeder 7 (s. Grafik). Die vergleichsweise starke Präsenz der Christdemokraten, aber insbesondere auch der FDP-Abgeordneten, dürfte auf die relativ knappe Mehrheit der schwarz-gelben Koalition zurückzuführen sein, die offenbar disziplinierend wirkt. Zu Zeiten der Großen Koalition waren die Abgeordneten der FDP mit einer Abwesenheitsquote von 13,2 noch die "Fehlkönige" im Bundestag.
  • Die meisten Fehlzeiten in dieser Wahlperiode hat ein CSU-Abgeordneter: Peter Gauweiler verpasste seit der Bundestagswahl insgesamt 36 von 62 Abstimmungen (58 Prozent). Schon in der Vergangenheit war Gauweiler in diesem Zusammenhang aufgefallen. Laut einer Auswertung des Portals Politikerscreen von 2004 fehlte er zwischen 2002 und 2004 bei 40 von 120 Abstimmungen (30 Prozent), SPIEGEL ONLINE nannte ihn daraufhin den "Spitzenreiter beim Blaumachen". In der vergangenen Wahlperiode (2005 bis 2009) blieb Gauweiler 18 von 52 Abstimmungen fern (31 Prozent). Der CSU-Politiker ist nicht nur als Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht äußerst aktiv, sondern auch als Anwalt für Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsstrafrecht in der Kanzlei "Bub, Gauweiler & Partner". Für das vergangene Jahr meldete er gegenüber dem Bundestagspräsidenten insgesamt 30 Mandanten, die er zusätzlich zu seiner Abgeordnetentätigkeit vertrat. Die Höhe der Einkünfte lassen vermuten, dass die Mandate einen nicht geringen Zeitaufwand erforderten: In den meisten Fällen kassierte Gauweiler "über 7.000 Euro". Genauere Angaben müssen Bundestagsabgeordnete nicht machen, auch wenn die tatsächlichen Einkünfte deutlich höher liegen sollten. Für den CSU-Abgeordneten bedeutet die Anwaltstätigkeit jedenfalls ein gutes Zubrot. Mindestens 185.500 Euro verdiente Gauweiler mit seinem Nebenjob - und damit fast doppelt soviel wie mit seiner Haupttätigkeit, dem Abgeordnetenmandat. - Nachtrag 26.4.2012: Zufällig hat der Deutsche Bundestag gestern neue Nebentätigkeiten von Peter Gauweiler veröffentlicht. Es handelt sich hierbei um acht Mandanten, die er bereits im Vorjahr vertrat.
  • Peer Steinbrück fehlt bei Bundestagsabstimmungen nur noch äußerst selten, nachdem abgeordnetenwatch.de im August 2010 über die vielen Fehlzeiten (12 von 19 Abstimmungen) berichtet hatte. Zahlreiche Medien griffen die Geschichte damals auf. 15 Monate später, im Dezember 2011, deutete Steinbrück gegenüber dem ARD-Magazin FAKT an, dass seine verstärkte Präsenz in den letzten Monaten ihre Ursache in Schlagzeilen wie "Peer Steinbrück: Parlamentsschwänzer mit Spitzenverdienst" (SPIEGEL ONLINE) haben könnte: "Ich habe bei keiner wichtigen Abstimmung, zumindest in der Rückbetrachtung der letzten 15 Monate, gefehlt."
  • Recht häufig fehlten mehrere Mitglieder der Bundesregierung, was aufgrund der zahlreichen Termine allerdings wenig überrascht. Angela Merkel verpasste 35 der 62 Abstimmungen, Verkehrsminister Peter Ramsauer fehlte 21, Finanzminister Wolfgang Schäuble 16 Mal. Auch für andere Fehlzeiten gibt es nachvollziehbare Gründe: Die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann, die seit der Bundestagswahl 30 Abstimmungen verpasst hat, fehlte in den meisten Fällen infolge einer schweren Krankheit. Dies schrieb sie einem Bürger auf abgeordnetenwatch.de. - Nachtrag 19.15 Uhr: In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass selbstverständlich auch eine Schwangerschaft ein Grund für das häufige Fehlen bei Abstimmungen sein kann.
  • Die höchste Anwesenheitsquote in dieser Wahlperiode gab es bei der namentlichen Abstimmung über den Euro-Stabilisierungsfonds EFSF am 29. September 2011, als nur 9 von 620 Parlamentariern fehlten (Fehlquote: 1,5 Prozent). Kurioserweise fand am selben Tag auch die Abstimmung mit der geringsten Anwesenheitsquote statt: Als es um die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Südsudan ging, waren 99 Bundestagsabgeordnete nicht mehr im Plenarsaal (Fehlquote: 16 Prozent). Die Abstimmung fand um 19:07 Uhr statt.
  • Ein bemerkenswerter Abgeordnetenschwund ereignete sich auch am 12. November 2010. Zwischen der Abstimmung um 11:03 Uhr und um 12:56 Uhr verließen 31 Abgeordnete den Plenarsaal. Dabei ging es um kurz vor eins nicht um irgendeine Abstimmung, sondern um eine Grundgesetzänderung zur Einführung bundesweiter Volksentscheide. Insgesamt fehlten 98 Abgeordnete, die zweit höchste Fehlquote in dieser Wahlperiode. Die ganze Geschichte hier.

Das sind die Fehlzeiten der 620 Bundestagsabgeordneten im Überblick:

Bei diesen Abstimmungen fehlten die meisten/wenigsten Bundestagsabgeordneten:

Update 17:30 Uhr: SPIEGEL ONLINE schreibt mit Bezug auf oben stehenden Artikel:

Als Schwänzer vom Dienst will man sich bei der Linksfraktion aber nicht verstanden wissen. Hinter vorgehaltener Hand erklären die Genossen die mangelnde Disziplin damit, dass das Votum der Linken bei den meisten Abstimmungen vergleichsweise unerheblich sei.

Update 27.4.2012: Der Bundestagsabgeordnete Dietmar Nietan zeigt sich auf seiner Homepage in vorbildlicher Weise transparent und schreibt:

Da die Bürgerinnen und Bürger ein Recht haben zu erfahren, aus welchen Gründen ich so oft nicht an Namentlichen Abstimmungen teilgenommen habe, möchte ich dazu folgendes mitteilen: Es ist gut, dass Abgeordnetenwatch erneut eine solche Auswertung gemacht hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht zu erfahren, wie oft und an welchen namentlichen Abstimmungen ihr Abgeordneter teilgenommen hat und wie er abgestimmt hat. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, aufzuklären, aus welchen Gründen ich bei den 62 ausgewerteten namentlichen Abstimmungen bei 32 nicht mitgestimmt habe. Im Wesentlichen haben drei Umstände dazu geführt, dass ich in den letzten rund 2,5 Jahren an 16 Tagen nicht an namentlichen Abstimmungen teilgenommen habe: 1. Im Europa-Ausschuss des Bundestages bin ich bei der SPD-Fraktion zuständig für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Daraus ergeben sich im Auftrag des Bundestages oder im Auftrag der SPD-Fraktion Dienstreisen ins Ausland. Dies führt dazu, dass ich mich manchmal auch an Sitzungstagen des Bundestages auf Konferenzen und Veranstaltungen im Ausland aufhalten muss. 2. In der 1. Hälfte des Jahres 2011 war ich über einen längeren Zeitraum erkrankt und konnte deshalb aus gesundheitlichen Gründen an einigen Sitzungstagen des Bundestages nicht teilnehmen. 3. Zwischen Mitte Mai und Mitte Juli 2010 habe ich als Mitglied der Verhandlungskommission der NRW-SPD in Düsseldorf an Sondierungsgesprächen und Verhandlungen zur Bildung einer neuen Landesregierung teilgenommen und konnte deshalb in dieser Zeit an vielen Sitzungen des Bundestages nicht teilnehmen.

Die vollständige Stellungnahme von Dietmar Nietan ist hier nachzulesen.

Update 27.4.2012: Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann schreibt auf ihrer Homepage:

Für mich verzeichnet abgeordnetenwatch 9 (von 62 = 14,5%) namentliche Abstimmungen, an denen ich in dieser Wahlperiode nicht teilgenommen habe. Das scheint zunächst recht häufiges Fehlen zu belegen, lässt sich aber leicht aufklären. Im Juni 2010 war ich drei Wochen akut erkrankt. In den zwei Sitzungswochen des Bundestages während dieser Zeit standen nach meiner Prüfung 8 namentliche Abstimmungen auf der Tagesordnung des Plenums (zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zur Wehrpflicht und zur Reform der Jobcenter) an denen ich krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte. Diese 8 sind nach meiner Recherche die einzigen, die ich zwangsweise versäumt habe.

Update 27.4.2012: Die Thüringische Landeszeitung schreibt heute:

Auf ein Problem der kommentarlosen Auflistung dieser Abstimmungsergebnisse, die alle auf den Bundestagsinternetseiten einzusehen sind, macht Luc Jochimsen von der Linkspartei gegenüber unserer Zeitung aufmerksam. Sie selbst sei für eine vollständige Transparenz der namentlichen Abstimmungen. Zu dieser gehöre aber auch, dass der Grund der Abwesenheit offengelegt wird. Die Abgeordnete aus Erfurt musste sich nämlich einer schweren Operation unterziehen.

Zu begrüßen wäre aus unserer Sicht, dass in den Abstimmungslisten des Bundestags zumindest aufgeführt wird, welche Abgeordneten entschuldigt gefehlt haben. Dies wird bislang nur in den Plenarprotokollen ausgewiesen. Weiter heißt es in dem Artikel:

Spitzenreiter bei der Nichtteilnahme an namentlichen Abstimmungen in Thüringen ist Jens Petermann . Neben ärztlichen Terminen weist der Linkspolitiker darauf hin, dass in kleinen Koalitionen die Termindichte sehr groß sei. Tätigkeiten in parlamentarischen und in fachpolitischen Gremien fallen auch häufig in Sitzungswochen an.

Dies ist durchaus nachvollziehbar, erklärt aber nicht, warum die Abgeordneten der Linken in den letzten Jahren die mit deutlichem Abstand höchsten Fehlquoten haben. Auf die andere "kleine" Oppositionspartei, die Grünen, trifft dies bspw. nicht zu.

Update 11.5.2012: Der Bundestagsabgeordnete Jens Petermann (Linke) hat die Gründe für seine Abwesenheit bei namentlichen Abstimmungen transparent auf seiner Homepage aufgeführt. Darauf hat uns Petermanns Büro aufmerksam gemacht. Hier der Text:

Namentliche Abstimmungen: Transparenz und Abgeordnetenwatch Um eine differenzierte Sicht zu ermöglichen, mache ich nachfolgend die Gründe für meine Abwesenheit an acht Sitzungstagen seit dem 27. Oktober 2009 öffentlich. Die Anzahl der verpassten Abstimmungen ist in Klammern gesetzt. 29.03.2012 Teilnahme an der Sitzung des Stadtrates in Arnstadt (3) 02./03.12.2010 Abwesenheit wegen einer Erkrankung (5) 01.12.2011 Abwesenheit wegen einer Erkrankung (2) 17.06.2010 teilweise Abwesenheit wegen Rückreise nach Thüringen (4) 18.06.2010 Vortrag beim Europäischen Jugendbildungswerk Weimar zur Sportpolitik des Bundes (1) 21.05.2010 Zahnarztbesuch (1) Erkrankungen oder Arztbesuche sind mit ganztägigen oder zeitweisen Ortsabwesenheiten verbunden. Der überwiegende Teil meiner Abwesenheit bei namentlichen Abstimmungen lässt sich darauf zurückführen. Das Aufgabenspektrum eines Angeordneten ist sehr vielfältig. In kleineren Fraktionen ist die Aufgabendichte zwangsläufig größer. Neben der Tätigkeit in den parlamentarischen Gremien fallen regelmäßig fachpolitische Termine außerhalb der Hauptstadt und teilweise auch in Sitzungswochen an. Die Wahrnahme von Ehrenämtern wie bei Stadt- oder Gemeinderäten führt ebenso zu Terminkollisionen. Bei direkt gewählten Abgeordneten hat die Wahlkreisarbeit besondere Bedeutung. Terminkonflikte sind daher nicht auszuschließen und können nicht immer befriedigend gelöst werden.

Die Teilnahme an namentlichen Abstimmungen kann somit nicht immer gewährleistet werden. Letztlich entscheidet jedoch der Abgeordnete pflichtgemäß in eigener Verantwortung.

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