Interessenkonflikte im Bundestag

Wie Abgeordnete in eigener Sache Politik machen

Abgeordnete können Regeln beschließen, die sie selbst betreffen. Recherchen belegen, dass private Interessen und das Bundestagsmandat sicht oftmals vermischen.

von Martin Reyher, 16.06.2023

In einer Sitzung des Haushaltsausschusses im September 2022 meldet sich kurz vor Schluss die CDU-Abgeordnete Inge Gräßle zu Wort. Es geht um den Energiekonzern Uniper, der sich in einer existenzbedrohenden Lage befindet. 

Wirtschaftsminister Robert Habeck und sein Staatssekretär Udo Philipp sind an diesem Mittwoch in den Ausschuss gekommen, um den Abgeordneten ihre Pläne für einen Einstieg des Staates bei Uniper zu erläutern, als Gräßle sich in die Debatte einschaltet. Wann der Bund denn beabsichtige, Uniper-Aktien zu kaufen und in welcher Menge?, will sie von Staatssekretär Philipp wissen.

Das Interesse der CDU-Politikerin ist in diesem Moment nicht ganz uneigennützig, wie Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL zeigen. Denn Gräßle besitzt seit dem Jahr 2016 Aktien des Energiekonzerns. Im Falle einer Uniper-Pleite wären sie wertlos.

Erstaunen und Gelächter über die Offenlegung

Gräßles Wortmeldung zu Uniper ist in einem nicht-öffentlichen Protokoll der Ausschusssitzung vom 21. September 2022 dokumentiert, das dem SPIEGEL vorliegt. “Nur zur dienstlichen Verwendung”, steht ganz oben im Dokument.

Von Interessenkonflikten wie diesem erfährt die Öffentlichkeit oft nichts. Zwar müssen Abgeordnete eine persönliche Betroffenheit im Ausschuss offenlegen, was auch im Protokoll vermerkt wird. Doch das hilft wenig, wenn Sitzungen und Protokolle nicht öffentlich sind.

Nach Angaben mehrerer Beteiligter soll Gräßle in der Sitzung erwähnt haben, dass sie selbst Uniper-Aktien besitze, was für Gelächter und Erstaunen unter den übrigen Abgeordneten gesorgt haben soll. Warum taucht die Offenlegung aber nicht im Protokoll auf, wie es bei Interessenverknüpfungen sein müsste? Das wisse sie auch nicht, sagt die CDU-Politikerin.

Beantworten kann diese Frage die Bundestagsverwaltung. Die Beteiligung an einem Unternehmen müsse nur dann verpflichtend mitgeteilt und im Protokoll vermerkt werden, wenn ein Abgeordneter mehr als 5 Prozent der Firmenanteile hält, erklärt ein Parlamentssprecher. Bei einer Aktiengesellschaft wie Uniper muss man also Millionen investiert haben, um einen Interessenkonflikt offenlegen zu müssen.

Interessenkonflikte – eher die Regel als die Ausnahme

Beim Thema Interessenkonflikten von Abgeordneten geht es um etwas Grundsätzliches. Keine andere Gruppe kann Gesetze beschließen, die sie selbst betreffen. Sobald Volksvertreter:innen in eigener Sache aktiv werden, ist es auch zweitrangig, ob es sich um große oder nicht so große Vermögenswerte handelt. Bei Gräßle sind es die eher nicht so großen. 51 Uniper-Aktien besitzt die Abgeordnete nach eigenen Angaben. Gerade mal 280 Euro seien diese heute noch wert, sagt Gräßle. Vor dem Krieg in der Ukraine waren es gut 2.000 Euro.

Und warum machte sie sich im Ausschuss über den Einstieg des Bundes kundig? Uniper-Aktionärin Gräßle hat dafür eine einfache Erklärung. “Meine Frage nach Umfang und Zeitpunkt der Uniper-Verstaatlichung halte ich für wichtig und angesichts des Umfangs der eingesetzten Gelder bis heute für relevant”, sagt sie auf Anfrage.

"Launige Bemerkungen" zur persönlichen Betroffenheit

Dass sich persönliche Interessen von Abgeordneten mit ihrer parlamentarischen Tätigkeit überlappen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Im Finanzausschuss soll es des Öfteren zu Offenlegungen eines Interessenkonflikts kommen. Der SPD-Finanzexperte Tim Klüssendorf sagte dem SPIEGEL, es seien vor allem Unionsabgeordnete, die sich zumeist mit einer “launigen” Bemerkung zu Wort meldeten. Dies würde die Pflicht zur Offenlegung zwar erfüllen, aber “zuweilen ins Lächerliche ziehen”.

In insgesamt 51 Fällen haben Ausschussmitglieder in dieser Legislaturperiode schon eine Interessenkollision angezeigt, heißt es aus der Bundestagsverwaltung. Hinzu kommen vierzehn weitere Fälle von Abgeordneten, die eine herausgehobene Stellung haben, weil sie als Obleute oder Berichterstatter:innen tätig sind.

Ein Landwirt, der Politik in eigener Sache macht

Ein solcher Berichterstatter ist Artur Auernhammer von der CSU. In seiner fränkischen Heimat betreibt er einen landwirtschaftlichen Betrieb, im Bundestag sitzt er im Ausschuss für Landwirtschaft und Ernährung. Diese Konstellation führt dazu, dass Auernhammer im Bundestag auch schon mal Politik in eigener Sache macht. 

Am 18. Januar 2023 geht es im Landwirtschaftsausschuss um einen Antrag der Unionsfraktion, an dessen Entstehung Auernhammer nach eigenen Angaben mitgewirkt hat. Darin fordern Auernhammer und seine Fraktion “Ausnahmemöglichkeiten für landwirtschaftliche Betriebe in roten Gebieten”. Das sind Flächen, in denen das Grundwasser einen hohen Nitratgehalt aufweist und deswegen die Düngung stark eingeschränkt ist. 

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Zu Beginn der Sitzung ergreift Auernhammer das Wort. Sein landwirtschaftlicher Betrieb liege mit den gesamten Flächen in einem „roten Gebiet“, offenbart der CSU-Mann laut Protokoll – also auf genau jenen Flächen, für den sein Antrag Ausnahmen verlangt. Nach dieser Mitteilung in eigener Sache kann es mit der Ausschussberatung weitergehen, als sei nichts gewesen. Landwirt Auernhammer kann sich weiter in die Diskussion einbringen.

Transparenzhinweis in einer Fußnote

Ein Problem an dieser Interessenkollision kann der CSU-Abgeordnete nicht erkennen, im Gegenteil. Dass man als Berichterstatter auch selbst betroffen ist, ergebe sich zwangsläufig und könne nur umgangen werden, wenn man auf Fachleute in den entsprechenden Fachausschüssen verzichtet, sagt er auf Anfrage.

Bei Berichterstattern wie Auernhammer sind die Offenlegungspflichten etwas schärfer als bei einfachen Ausschussmitgliedern. Sie müssen Interessenkonflikte nicht nur gegenüber dem Ausschuss melden, ein entsprechender Hinweis findet sich auch in den Beschlussfassungen zu Gesetzesinitiativen, die auf der Bundestagswebsite veröffentlicht werden. Die Transparenzangaben lassen sich leicht übersehen: Sie stehen in einer Fußnote.

Dokumentiert sind Interessenkonflikte wie diese:

  • Die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann war als Berichterstatterin zuständig für einen Unionsantrag mit dem Titel "Fristenballung bei steuerberatenden Berufen auflösen". Tillmann ist Steuerberaterin.
  • Der CDU-Abgeordnete Albert Stegemann offenbarte bei der Beratung über das “Tierhaltungskennzeichnungsgesetz”, dass er einen Milchviehbetrieb besitzt. Er sei von dem Gesetz also selbst betroffen.
  • Der CDU-Abgeordnete Hermann Färber meldete einen Interessenkonflikt bei dem Unionsantrag "Die wertvollen ökologischen Leistungen unserer Wälder anerkennen und ein entsprechendes Vergütungssystem für Waldbewirtschaftung schaffen", bei dem er Berichterstatter war. In einer Fußnote der Beschlussempfehlung heißt es: "Abg. Hermann Färber erklärte, dass er mit seiner Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschafte. Sein Geschäftsanteil an diesem Betrieb betrage 25 Prozent. Der Betrieb verfüge über einen Waldeigentum von aktuell 4 800 Quadratmetern (qm) Wald."

Auswirkungen auf die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenkonflikte für die Abgeordneten nicht. Sie können Änderungswünsche einbringen – und selbst das Abstimmen in eigener Sache ist nach dem Abgeordnetengesetz nicht verboten.


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