Die Lobbypapiere, die die Lebensmittelindustrie unter Verschluss halten wollte

Kürzere Löschfristen, geringere Belastungen, „Internetpranger“: In internen Stellungnahmen an die Bundesregierung äußerten sich drei Lobbyverbände zu geplanten Verbraucherschutzregeln – veröffentlicht sehen wollten sie ihre Schreiben jedoch nicht. Wir machen diese nun zugänglich.

von Martin Reyher, 12.04.2019
Stellungnahmen von Lobbyverbänden

Ende des Monats werden etliche Ekel-Einträge aus dem Verbraucherschutzportal des Landes NRW verschwinden. Zum Beispiel zu 

  • der Tapasbar in Detmold, in der „ekelerregende Herstellungs- oder Behandlungsverfahren“ und Probleme mit der „Personalhygiene“ vorherrschten,
  • dem Imbiss in Bad Salzuflen, der „nicht zum Verzehr geeignetes“ Rinderhack und Hähnchenfilet in Umlauf brachte,
  • der Schulkantine in Castrop-Rauxel, in der Mängel bei der „Reinigung und/oder Desinfektion“ festgestellt wurden.

Behörden müssen die Missstände zwar veröffentlichen, doch unbefristet dürfen die Einträge nicht in den Verbraucherportalen der Länder verbleiben (wir haben sie deswegen hier und hier archiviert). Im März 2018 trug das Bundesverfassungsgericht der Politik auf, bis spätestens 30. April 2019 eine Löschfrist festzulegen. Wie lange diese sein soll, überließen die Richter dem Gesetzgeber. Und so nahmen Beamte, Abgeordnete und Lobbyisten ihre Arbeit auf.

Interessant ist, was dann geschah

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Schon wenige Wochen nach dem Karlsruher Urteil meldeten sich die ersten Lobbyakteure im federführenden Ernährungsministerium, um ihre Vorstellungen zur Reform des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches kundzutun. Auf seiner Internetseite führt das Haus von Julia Klöckner die Stellungnahmen von zwölf Interessenorganisationen auf. Verbraucherinitiativen wie Foodwatch mahnen darin strenge Transparenzregeln an, während die Lobbyisten der Lebensmittel- und Gaststättenbranche das Gegenteil erreichen wollen: möglichst kurze Löschfristen und auch sonst wenig Vorgaben. Alles erwartbar also. Interessant ist, was danach geschah.

Irgendwann nämlich kontaktierte das Ministerium die Absender der Lobby-Schreiben und bat diese um das Einverständnis zur Veröffentlichung der Stellungnahmen. Dieses Vorgehen ist nach einem Kabinettsbeschluss im letzten Herbst für alle Ministerien verpflichtend und eine Konsequenz aus der Transparenzaktion #GläserneGesetze von abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat. Doch im vorliegenden Fall waren nicht alle Lobbyakteure mit der Veröffentlichung einverstanden. 

Bearbeitungsgebühr: 63,75 Euro

Nach unseren Recherchen versagten der Deutsche Fleischer-Verband (DFV), der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft (BLL) und der Verband NEM aus der Nahrungsergänzungsmittelbranche ihre Zustimmung zur Veröffentlichung, was eher ungewöhnlich ist. Das Ministerium bestätigte die fehlenden Einverständniserklärungen auf Anfrage.

abgeordnetenwatch.de hat die Lobbypapiere der drei Organisationen deswegen über das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und macht diese nun hier, hier und hier zugänglich (für die Bearbeitung verlangte das Klöckner-Ministerium übrigens Gebühren über 63,75 Euro). Die bislang unveröffentlichten Stellungnahmen zeigen die Wünsche der drei Lobbyverbände, die im Falle ihrer Umsetzung auf eine Abschwächung des Verbraucherschutzes hinausliefen: 

  • Der Deutsche Fleischer-Verband sähe es gerne, wenn die Latte für die Publikation von Verstößen künftig deutlich höher läge. Um „unverhältnismäßige Veröffentlichungen“ zu vermeiden, sollte die Bevölkerung nur dann informiert werden, wenn „besonders nachteilige“ Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. für „eine Vielzahl“ von Menschen vorliegen. An einer Stelle in ihrer Stellungnahme flechten die DFV-Lobbyisten das Schlagwort „Internetpranger“ ein. 
  • Der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft (BLL) kann mit der vom Ministerium vorgesehenen sechsmonatigen Löschfrist zwar grundsätzlich leben. Diese dürfe aber „keinesfalls“ ausgeweitet werden – eher im Gegenteil: Die BLL-Lobbyisten bringen eine „Verkürzung der Löschungsfrist, z.B. bei (geringfügigen) Höchstmengenverstößen“ ins Spiel. Das Ministerium möge nach der Sommerpause außerdem eine weitergehende Anpassung des Gesetzes „unter Berücksichtigung der von der Lebensmittelwirtschaft vorgetragenen Gesichtspunkte“ angehen.
  • Der Lobbyverband NEM will Verstöße am liebsten nur dann veröffentlicht sehen, wenn „tatsächlich ein Gesundheitsrisiko“ vorliegt. Eine Löschfrist von einem halben Jahr sei „unangemessen“ – verhältnismäßig sei „allein eine entsprechende Veröffentlichungsbeschränkung von zwei Monaten“. Auch von einer automatischen Veröffentlichung bei Verstößen wollen die NEM-Lobbyisten nichts wissen. Vielmehr solle dies "in das Ermessen des entsprechenden Sachbearbeiters" gestellt werden. 

Mit ihren Wünschen konnten sich die drei Lobbyverbände dieses Mal nicht durchsetzen. Der Bundestag beschloss die Löschfristen kürzlich so, wie vom Klöckner-Ministerium vorgeschlagen: Verstöße von Gaststätten, Einzelhandel oder Produzenten gegen die Lebensmittelsicherheit müssen bundeseinheitlich nach sechs Monaten aus den Verbraucherportalen entfernt werden. Verbraucherschützer, Grüne und Linke hatten sehr viel weitergehende Forderungen. (Das Gesetz liegt derzeit im Vermittlungsausschuss, da der Bundesrat mitentscheiden möchte.)

Für die Lebensmittelindustrie war das Ringen um die Löschfristen allerdings nur das Vorspiel für eine sehr viel wichtigere Gesetzesänderung. Demnächst will das Ernährungsministerium das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch über die Löschfristen hinaus noch einmal grundsätzlich überarbeiten. Dann dürften die Lobbyisten erneut auf die Umsetzung ihrer Wünsche drängen.

Mitarbeit: Mika Parlowsky 

Lizenz: Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0.

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