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Frage von Hilde S. •

Frage an Wolfgang Wodarg von Hilde S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Dr. Wodarg,
einer Pressemeldung des Bundestages vom 17.10.08 entnehme ich, dass Sie mit einer Delegation in Kopenhagen waren, um sich über dortige Verhältnisse rund um das Thema Gesundheit, pflegerische Versorgungsstrukturen, Ambulantisierung, häusliche Pflege etc. zu informieren.
Mit Erstaunen nehme ich zur Kenntnis, dass in Dänemark seit 1987 keine stationären Einrichtungen mehr errichtet werden.
Meine Frage: Sind Sie beeindruckt von der "dänischen Lösung" (Nutzung des Internets,elektronische Rezepte etc.), ganz auf häusliche Pflege zu setzen? Können Sie sich- und würden Sie es voll unterstützen - dieses dänische Modell für die Bundesrepublik vorstellen?
Als Mitarbeiterin einer Seniorenzeitung bin ich sehr interessiert an einer umfassenden Stellungnahme Ihrerseits.
Ich bedanke mich im voraus,
Hilde Siemer

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Antwort von
dieBasis

Sehr geehrte Frau Siemer,

verzeihen sie, dass ich Ihre Frage vom Oktober vorigen Jahres jetzt erst beantworte. Ich hatte die Beantwortung deshalb hintenangestellt, weil ich annahm, dass sie als Mitarbeiterin einer Seniorenzeitung eine ausführliche Schilderung über das dänische Pflegesystem für Ihre Zeitung erwarteten und weil ich „Abgeordnetenwatch“ nicht für das geeignete Vehikel für eine derartige Kommunikation hielt.

Zu Ihren Fragen will ich aber hier gern sagen, dass ich das stark an die kommunale Verantwortung geknüpfte dänische System weitaus besser finde als unseren „Gemischtwarenladen“ mit diversen Anbietern, Zuständigkeitsproblemen und einem Flickenteppich von Kostenträgern und Versorgungsstrukturen.

Bei uns ist ein rasch wachsender „Pflegemarkt“ mit oft primär am Profit orientierten Anbietern im stationären wie im ambulanten Sektor aus eigenem Antrieb nicht an einer Reduzierung von Pflegebedürftigkeit interessiert. Jede/jeder Pflegebedürftige bringt bares Geld.

Auch die Vermeidung von Heimeinweisungen ist bisher in den meisten Regionen Deutschlands nicht ernsthaft und ausreichend betrieben worden. Das Heimeinweisungen nur selten oder gar nicht notwendig sind, zeigen uns nicht nur die Dänen oder Schweden, wir brauchen nur nach Bielefeld zu schauen, oder auf die wachsende Zahl ermutigender Initiativen in Deutschland, die „selbstbestimmtes Wohnen im Alter“ nicht nur im Logo tragen , sondern dieses mehr oder weniger erfolgreich auch bei uns umzusetzen versuchen.

Ein gutes Pflegesystem kann nur entstehen, wenn sich die örtliche Gemeinschaft, die kommunale Ebene zuständig fühlt und für die Pflegebedürftigen sorgt und sorgen kann. Ich bin dafür, dass wir die für Pflege und Sorge von allen Kostenträgern aufgebrachten Mittel zusammenlegen. Wir sollten mit diesem Geld dafür sorgen, dass Prävention und Rehabilitation nach dem Motto „Daheim statt Heim“ in nachbarschaftlichen, quartiersbezogenen Hilfestrukturen unter Einbeziehung des Ehrenamtes und in der Verantwortung der Gemeinden ähnlich gestaltet wird, wie unsere skandinavischen Nachbarn uns es vormachen.

Natürlich kann uns moderne Technologie und kluge Organisation dabei helfen, dass möglichst wenig Reibungsverlust durch Bürokratie entsteht. Administrativer Aufwand muss minimiert werden, damit die ganze Kraft der professionellen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer bei den Betreuten ankommt.

Ich finde es sehr hilfreich, dass durch die jetzt laufende Diskussion um eine ganzheitlichere Neudefinition von Pflege wieder viel in Bewegung kommt. Kassenwettbewerb und Kostenträgervielfalt sind bisher hinderlich beim Aufbau der von mir oben als Zielvorstellung formulierten Strukturen. Es wäre gut, wenn wir wenigstens mit einer am gesamten Hilfebedarf orientierten, kostenträgerunabhängigen Begutachtung beginnen könnten. Wer welchen Anteil der Kosten notwendiger Hilfen übernimmt, das sollte dann zweitrangig entschieden werden.

Als Vorsitzender des Unterausschusses Gesundheit im Europarat habe ich gerade zu einem Bereich dieser Thematik, zur ambulanten palliativen Betreuung als Modell für andere Versorgungsbereiche eine Empfehlung zur Abstimmung gebracht, die einstimmig von den Parlamentariern aus 47 Staaten verabschiedet wurde. Vieles, was wir für palliative Betreuung wollen, (aber in Deutschland auch noch längst nicht erreicht haben) wäre auch gut für unsere sonstigen Pflege- und Sorgestrukturen.

Näheres auf meiner Homepage unter

http://www.wodarg.de/politikfelder/europarat/2349077.html

Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine späte Reaktion auf Ihre interessante Frage.

Mit herzlichen Grüssen

Dr. Wolfgang Wodarg