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Frage von Jan H. •

Frage an Wolfgang Wodarg von Jan H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Wolfgang Wodarg,

im Wahlkreis Schleswig-Flensburg scheinen Sie mir der geeignetste Ansprechpartner zu sein und bitte Sie um eine dezidierte Stellungnahme zu dem - von der Bundesregierung der BRD-GmbH - beschlossenen "Finanzrettungspaket" über ca. 500 Milliarden... Wie schätzen Sie die Lage ein?

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Antwort von
dieBasis

Sehr geehrter Herr Heiland,

natürlich sind Sie nicht der Einzige, der diese Frage stellt. In aller Welt und besonders in Berlin stehen verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker vor diesem essentiell wichtigen Problem und es ist richtig, dass Sie als Bürger auf konkrete, nachvollziehbare Lösungen drängen.
Meine Antwort soll deshalb wirklich -wie Sie fordern- dezidiert ausfallen und ich hoffe, dass Sie Akzeptanz und findet und Anregungen für die weiterhin notwendige Diskussion bietet.
Sie finden den Text und weitere Beiträge von mir zum Thema unter www.wodarg.de

Mit freundlichen Grüssen
Dr. Wolfgang Wodarg, MdB (SPD)

Finanzmarktstabilisierungsgesetz - Chance für einen Neuanfang - eine ausführliche Stellungnahme von Dr. Wolfgang Wodarg, MdB (SPD)- Der Finanzmarkt kann ein globales Instrument zur gesellschaftlichen Evolution bilden- aber nur, wenn er sich nicht verselbständigen kann. Welche Regeln, Kontroll- und Sanktionsmechanismen müssen national, international und global etabliert werden, damit nicht in Kürze die nächste Finanzkrise grosse Teile der Menschheit in Not und Elend stürzt? Ich stelle hiermit meine Einschätzung der Lage, ebenso wie die von mir empfohlenen und politisch vertretenen Maßnahmen zur Finanzmarktregelung zur Diskussion.

1. Im Eilverfahren den Zusammenbruch abgewehrt

Finanzmarktstabilisierungsgesetz - Chance für einen Neuanfang Jahrelang haben die Banker behauptet, der Markt funktioniere am effektivsten nach seinen eigenen Regeln und der Staat solle sich nicht einmischen. Die Finanzkrise hat nun allen deutlich vor Augen geführt: der Markt allein kann es nicht richten, er hat sogar auf der ganzen Linie versagt. Eins ist klar, ohne staatliche nationale wie internationale Regeln kann der globalisierte Markt und können die globalisierten Finanzmärkte nicht funktionieren.

Diese Einsicht musste man nicht erst jetzt gewinnen, sondern man hätte sie schon viel früher haben können. Bei den drei großen Finanzkrisen in den neunziger Jahren - der Mexikokrise erst, dann der Asien- und Ende des letzten Jahrzehnts der Russlandkrise -, bei denen die Welt schon mehrmals am wirtschaftlichen Abgrund stand, wurde auch viel von Reformen und von Konsequenzen gegenüber den Verursachern der Krise geredet. Man sprach wie heute von einer neuen "Weltfinanzarchitektur" und von einer neuen Rolle des Internationalen Währungsfonds. Kaum waren die Krisen überwunden, wurden die Stimmen merklich leiser und ausser ein paar Reförmchen hier und da, blieb am Ende nichts übrig. Der Druck der Finanzwelt auf die Politik war mal wieder stärker gewesen und bezahlt hatten es sowieso "die Anderen".

Auch dieses Mal glaubte man mit einer "Immobilienkrise" davon zu kommen, obwohl schon vor Monaten klar war, dass das Desaster sich nicht auf diesen Sektor beschränken lassen würde. Seriöse Ökonomen hatten warnend ihre Stimmen erhoben, wurden aber nicht gehört. Die Spekulationen, die mit am US-amerikanischen Grundstücksmarkt ausgekehrten Krediten an Schuldner mit mangelhafter Bonität begannen, pflanzten sich fort. Zwar war die amerikanische Hypothekenkrise der Auslöser der Erschütterungen, doch die Ursachen lagen tiefer. An Bilanzen und schwachen Regeln vorbei wurden Produkte geschaffen, die hinsichtlich ihres Gehalts kaum zu durchschauen waren und allein dem Ziel dienten enorme Profite zu machen. Schlechte Darlehensforderungen wurden verbrieft, mit guten vermengt, neu gepackt, mit ansprechender Aufmachung versehen und weiter verkauft, jahrelang und mit erheblichen Profit. Viele machten mit - nicht zuletzt die Rating-Agenturen und Wirtschaftsberatungsfirmen, auf die viele Anleger vertrauten. Aber häufig waren es gerade diese Agenturen und Firmen, die mithalfen diese zweifelhaften und hoch risikobehafteten Produkte zu entwickeln und sie dann auch noch positiv für den Anleger bewerteten. Zu diesem ganzen Treiben wurde - vor allem im angloamerikanischen Raum - ein Auge zugedrückt und manchmal auch zwei. So wurde wissentlich geduldet, dass sich neben dem von den Notenbanken und Aufsichtsbehörden überwachten Finanzmarkt ein rasant wachsender, intransparenter und in weiten Teilen unkontrollierter Markt entwickelte.

Auf einmal war es zu spät; plötzlich brannte das ganze globale Finanzdorf. Das Versprechen der Finanzdörfler "sie hätten alles im Griff" erwies sich als heiße Luft, waren sie es doch gewesen, die ordentlich gezündelt und den Brand erst entfacht hatten. Als der Brand auf andere Bereiche überzuspringen und zu einem Flächenbrand zu werden drohte, riefen Opfer wie Brandstifter laut nach der staatlichen Feuerwehr.

Angesichts dieser Lage musste nicht nur der deutsche Staat, nicht nur die Europäische Union, sondern mussten Regierungen überall auf dem Globus eingreifen, um eine Katastrophe zu verhindern. Eine der gefährlichsten Finanzmarktkrisen der modernen Zeit musste entschärft werden. In dieser Situation war es erst einmal müßig, darüber zu diskutieren, ob man den Brand hätte verhindern können; nützte es akut wenig, zu wissen, wer die Brandstifter waren, und mit welchen Mitteln und Instrumenten sie diesen Megabrand entfacht hatten; war es kaum hilfreich, darauf hinzuweisen, dass man es schon vorher gewusst oder sogar vorhergesagt hatte.

Das deutsche Finanzsystem litt und leidet schwer unter den Auswirkungen der weltweiten Krise. Das hat zum einen damit zu tun, dass verschiedene Banken jetzt illiquide Aktiva halten, für die kein Markt mehr besteht und daher auch kein Preis mehr festgestellt werden kann. Diese müssen zu immer stärker verfallenden Werten in die Bilanz aufgenommen werden und produzieren so enorme Buchverluste. Zum anderen sind bislang bewährte Refinanzierungsinstrumente ausgefallen. So leihen sich Banken untereinander kaum noch Geld, wodurch der Interbankenmarkt nachhaltig gestört wird. Da auch andere Refinanzierungsinstrumente zunehmend unter Druck geraten, können die Finanzinstitute die entstehenden Liquiditätsengpässe nicht mehr angemessen ausgleichen.

Ohne funktionierende Finanzinstitute jedoch ist nicht nur der Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu Krediten sondern auch der allgemeine Geldverkehr in vielen Bereichen unserer Gesellschaft gefährdet. Beispielsweise ist die gewohnte Zwischenfinanzierung von Arbeitslöhnen, Investitionen etc. für Betriebe nicht länger gewährleistet und auch der Bürger könnte sein Geld nicht mehr sicher anlegen oder mit Gewinn sparen. Wo nur noch Misstrauen herrscht, bricht das System zusammen.

Vor dieser Situation befand sich auch der deutsche Bundestag zwei Wochen nach dem Tag der deutschen Einheit, als er darüber zu entscheiden hatte, ob er dem von der Bundesregierung vorgelegten Finanzmarktstabilisierungsgesetz in der vorgelegten Form zustimmen sollte oder nicht. Zu Recht war die Empörung über die "Bankster" im Lande groß und sie konnte gar nicht groß genug sein. Populisten kochten ihr Süppchen auf diesem Feuer und erweckten den Eindruck, als wollte der Staat den "Brandstiftern in Nadelstreifen" 500 Milliarden Euro hinterherwerfen, während er gleichzeitig behauptet, für Hartz IV - Empfänger, Rentner und Schulen sei kein Geld vorhanden.

Wäre dem so, hätten die Volksvertreter ihre Verantwortung vor dem deutschen Volk nicht erfüllt. Was im Bundestag beschlossen wurde, ist jedoch etwas anderes.

Das Gesetz gibt grünes Licht für die Gründung des "Finanzmarktstabilisierungsfonds - FMS". Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, den Banken im Notfall (!) unter die Arme zu greifen, um das Bankensystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Damit es erst gar nicht zu diesem Ernstfall kommt, wird dieser Fonds Garantien für Kredite abgeben, die sich die Banken gegenseitig zur Verfügung stellen. Das Volumen dieser Garantien - für welche die Banken eine Gebühr von 2 Prozent pro Jahr entrichten müssen - beläuft sich auf maximal 400 Milliarden Euro. Mit weiteren höchstens 70 Mrd. Euro kann der Fonds bei Bedarf notleidenden Banken direkt helfen, um ihnen insbesondere frisches Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug erhält der Fonds Firmenanteile (z.B. Vorzugsaktien), die er langfristig wieder veräußern kann.

Garantien und direkte Hilfen sind gesetzlich an Auflagen gebunden, um ein schlichtes "weiter so" zu verhindern. Dabei sehen sich die Banken, die um Hilfen aus dem Fonds nachsuchen, mit erheblichen Vorbedingungen konfrontiert. So müssen sie u.a. die Bonität ihres Unternehmens nachweisen, Einschnitte bzw. Restriktionen bei Managervergütungen hinnehmen und eine Überprüfung/Korrektur der geschäftspolitischen Ausrichtung vornehmen. Die Summe für die Garantien und die direkten Hilfen ist so gewählt, dass sie nach heutigem Wissen ausreichend ist, um die gewünschte Stabilisierung zu gewährleisten.

Trotz des grundsätzlich richtigen Ansatzes wies der Gesetzentwurf der Regierung einige Mängel auf, die durch das Parlament nicht nachverhandelt und korrigiert werden konnten. Das lag nicht zuletzt auch an der Eile, mit der dieses Gesetz verabschiedet werden musste, um technische Rahmenbedingungen erfüllen und unmittelbar wirksam werden zu können. Aber hier muss nachgebessert werden. Die Möglichkeiten, dies zu tun, sind in den folgenden Monaten rechtlich vorhanden. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, ist dabei zum Beispiel näher zu klären, welche Eigentumstitel der Staat bei direkten Hilfen erwirbt (z.B. Aktien ohne Stimmrecht wie vorgesehen oder Aktien mit Stimmrecht), ob eine konkrete Rückführungsverpflichtung der Banken für in Anspruch genommene staatliche Hilfen in den nächsten zehn Jahren aus den Unternehmensgewinnen eingebaut werden muss und wie vor allem die demokratische Kontrolle über die eingegangenen Verpflichtungen bei der Vergabe der Mittel erhöht werden kann.

2. Die nächste Krise verhindern - auf nationaler Ebene

Märkte funktionieren nicht, wie viele immer wieder glauben und manche nicht müde werden zu predigen, ohne politische Regulierung und demokratische Gestaltung. Das gilt im Besonderen für die globalisierten Finanz- und Kapitalmärkte. Angesichts der dramatischen Situation ist spätestens jetzt wohl allen klar geworden, dass ökonomische Maßlosigkeit in den Abgrund führt und die Selbstregulierung der Finanzmärkte versagt hat. Es hat sich gezeigt, dass die Banken sich von ihrem Kerngeschäft und ihrer Aufgabe, die Realwirtschaft mit finanziellen Mitteln zu versorgen, weit entfernt haben. Statt nachhaltigen, organischen Wachstums zugunsten der Kunden wurde kurzfristige Gewinnmaximierung mit zweistelligen Gewinnmargen verfolgt. Es entstand ein unkontrolliertes Schattenbanksystem und Verbriefungsgeschäft. Private-Equity und Hedge-Fonds konnten in nahezu rechtsfreien Räumen Schuldenpyramiden errichten.

Nach dieser Krise kann es nicht noch einmal so weitergehen wie bisher, darf es für die Finanzwelt kein "business as usual" mehr geben. Es kann nicht sein, dass Brandstiftung in diesem Bereich - wie bis jetzt - auch in Zukunft kein "Delikt" ist und nicht einmal mit Sanktionen verbunden ist. Was wir jetzt brauchen, ist ein neuer Ordnungsrahmen. Die Prävention muss wirksam ausgebaut werden. Und nicht zuletzt: Wer zündelt, muss haften!

Momentan sind sich Alle in ihren Erklärungen der Öffentlichkeit gegenüber einig, dass nach dem Krisenmanagement weitere regulative Schritte folgen müssen. Diese sind auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene vonnöten.

Nach den Ansichten der Regierung und mit den Worten von Kanzlerin Merkel ist das Finanzmarktstabilisierungsgesetz der " 1. Baustein für eine neue Finanzmarktverfassung". Damit es nicht bei dieser Absichtserklärung bleibt, wurde im Parlament gefordert, die nächsten Bausteine für diese Verfassung bis zum Jahresende vorzulegen. Dies ist kein zu enger Zeitrahmen, da die Inhalte seit langem bekannt sind und nicht erst neu erfunden werden müssen. Im Wesentlichen geht es auf der nationalen Ebene um folgende zwölf Punkte.

Verstärkte Eigenmittelvorschriften und strengere Kontrolle

Es sind neue Transparenzpflichten für Risiken und eine höhere Risikovorsorge bei den Kreditinstituten vorzuschreiben. Jeder Finanzmarktakteur muss künftig verpflichtet sein, im Falle eines Erwerbs von Finanzprodukten, speziell von strukturierten Produkten, eine eigene zu dokumentierende Risikoeinschätzung des jeweiligen Produkts zu treffen und die hierfür entsprechende Risikovorsorge zu schaffen. Einschätzungen von beispielsweise Rating-Agenturen dürfen dabei nur als Orientierungshilfe berücksichtigt werden. Bei Veräußerungen von Risiken ist ein ausreichender Anteil in der eigenen Bilanz zu halten.

Die Eigenkapitalunterlegung ist massiv zu verstärken. Insgesamt gilt der Grundsatz: Je höher die Risiken umso höher die Unterlegung mit Eigenkapital.

Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen ist zu verringern.

Daneben muss das bankinterne Risikomanagement ausgebaut und die staatliche Kontrolle durch die Schaffung einer starken, effektiven wie effizienten Kontrollinstanz geschärft werden.

Nachhaltiger Ausbau der Sicherung von Einlagen

Bei der gesetzlichen Einlagensicherung ist der rechtlich geregelte Mindestschutz auf mindestens 50.000 (derzeit 20.000 ) Euro anzuheben; und zwar unbefristet und für 100% der Anlagen.

Die Einlagensicherungsfonds müssen krisenfest gestaltet werden, denn sie sind gegenwärtig viel zu niedrig dimensioniert. Für alle Marktteilnehmer muss erkennbar sein, dass Einlagen im Insolvenzfall einer Bank oder mehrerer Kreditinstitute tatsächlich geschützt sind. Die Banken sind gesetzlich zu verpflichten, den Nachweis der Krisenfestigkeit bzw. der Nachbesserung im Bedarfsfall zu erbringen. Dazu sind freiwillige Einlagensicherungssysteme - beispielsweise durch spezielle Krisenfonds - seitens der Bankenverbände zu errichten. Der Bundesanstalt für Finanzaufsicht sind entsprechende Kontrollbefugnisse einzuräumen.

Die die Einlagensicherung betreffende politische Willenserklärung der Bundesregierung ist in eine rechtlich verbindliche Regelung zu überführen. Eine staatliche Garantieerklärung ohne gesetzliche Konkretisierung würde der Spekulation um die Auslegung des Geltungsbereichs Tür und Tor öffnen und damit das Ziel verfehlen, Vertrauen her- bzw. wiederherzustellen.

Produktkennzeichnung und Produktkontrolle

Für Finanzprodukte ist eine verpflichtende Kennzeichnung einzuführen. Ein dementsprechendes Label - ähnlich dem Energielabel bei Haushaltsgeräten oder der geforderten Nährwertampel für Lebensmittel - soll dem Bürger auf einen Blick eine zusammenfassende Verbraucherinformation geben. Darin müssen alle Schlüsselparameter des Finanzprodukts wie Kosten, Verfügbarkeit, Risiken etc. enthalten sein. Die Begründung ist, dass alle bisherigen Versuche, Transparenz, Verständlichkeit und Vergleichbarkeit bei Finanzprodukten herzustellen, gescheitert sind. Wo aber beispielsweise Risiken verschleiert werden, sind kostspielige Fehlentscheidungen zumeist die Folge.

Die Einführung eines solchen Labels muss begleitet werden von einer effektiven Produktkontrolle. Die Einhaltung sämtlicher Informationspflichten muss kontinuierlich sowohl quantitativ wie qualitativ überwacht werden. Dazu bieten sich die Verbraucherzentralen und speziell ihre von unabhängigen Experten ausgewerteten verdeckten Test-Beratungen an.

Genehmigungspflicht für neue Finanzprodukte und - instrumente

Bevor neue Produkte und Instrumente auf dem Markt angeboten werden können, müssen sie eine Zulässigkeitskontrolle durchlaufen und unterliegen der Zulassungspflicht. Bei der Prüfung ist zu analysieren und zu bewerten, ob und für welche Anleger sich das Produkt eignet und wann und für wen ein Vertriebsverbot gelten soll. Schon jetzt ist der Vertrieb der risikobehafteten Einzel-Hedgefonds an Privatanleger untersagt. Ein solches Verbot ist entsprechend Auszudehnen. Grundsätzlich muss die Option bestehen, solche Produkte und Instrumente verbieten zu können, die sich aufgrund ihrer erhöhten Risiken negativ systemisch auswirken können.

Den "Grauen Kapitalmarkt" austrocknen

Die derzeitige Trennung zwischen dem überwachten und dem grauen Kapitalmarkt muss aufgehoben werden. Unabhängig von ihrer Funktionsweise und Struktur müssen alle Produkte, die auf dem Finanzmarkt gehandelt werden, den allgemeinen und spezifischen Produktanforderungen genügen und einer staatlichen Kontrolle unterstellt werden. Außerdem sind für die Vermittlung dieser Kapitalanlagen klare Verhaltens- wie auch Haftungsregeln zu definieren. Der Gesetzgeber kann sich zur Kontrolle des "Grauen Kapitalmarktes" nicht weiter auf die Regelungen zum Verkaufsprospekt beschränken. Dies machen die jährlich amtlich bekannt werdenden Milliardenschäden infolge von - wissentlich - unseriös konzipierter Kapitalanlagen und unseriöser Vertriebsstrukturen überdeutlich. Ferner muss die Zusammenarbeit der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden unter Hinzuziehung der Verbraucherverbände verstärkt und besser verzahnt werden.

Finanzaufsicht stärken und verbraucherorientiert gestalten

Die Erkenntnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) müssen prozessöffentlich gemacht werden können. Die bisherige ausnahmslose Geltung der Verschwiegenheitspflicht muss so gelockert werden, dass Erkenntnisse der BaFin in ihren internen Prüfberichten zu Schadensfällen gerichtlich genutzt werden können. Begründung ist, dass die bisherige Praxis häufig die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen verhindert, da beispielsweise geschädigte Verbraucher ohne den Prüfbericht der BaFin nicht den Beweis der Falschberatung erbringen können.

Im präventiven Bereich muss die BaFin den Auftrag erhalten, die Öffentlichkeit zu warnen, wenn ihr Erkenntnisse über Missstände und gravierendes Fehlverhalten von Anbietern vorliegen. Nur wenn das Verhalten der Finanzmarktbranche gegenüber den Verbrauchern systematisch und streng überwacht wird, kann über gefährliche Marktpraktiken aufgeklärt werden. Diese Ausdehnung des Aufgabenbereichs der BaFin erweitert einerseits die Eingriffsmittel der Aufsicht und stärkt andererseits ihre Durchsetzungskraft. Die neuen Aufgaben sind im Kreditwesengesetz und im Wertpapierhandelsgesetz zu verankern.

Erweiterte persönliche Haftung

Für unrichtige Kapitalmarktinformationen und grobe Managementfehler, die für außerordentliche Kursrückgänge ursächlich sind, müssen Vorstände, Aufsichtsräte und Leitungsorgane von Finanzdienstleistungsinstituten persönlich haftbar gemacht werden können. Diese Haftungsregel hat bereits der Entwurf für das sogenannte Kapitalmarktinformationsgesetz ( KapInHaG ) vorgesehen. Er wurde jedoch auf Druck der Anbieter 2004 vom Bundesfinanzministerium zurückgezogen. Dieser Gesetzesvorschlag muss umgehend wieder aufgegriffen und ins Parlament eingebracht werden.

Veränderte Vergütungsregeln für Vorstände und Manager

Das Anreizsystem und die Vergütungsstruktur für Leitungsorgane im Finanzdienstleistungssektor muss neuen Regeln unterworfen werden. Die Bezahlung von Managern hat sich in Form von exorbitanten Vergütungen im letzten Jahrzehnt von der Entwicklung der übrigen Gehälter deutlich abgekoppelt. Das hat nicht nur zu einem Gerechtigkeitsdefizit und zu falschen Vergütungsanreizen geführt, sondern darin ist auch eine Ursache für die jetzige Finanzmarktkrise zu suchen. Vergütungssysteme wie beispielsweise (Jahres-) Boni oder Tantiemen, die nur auf kurzfristigen Unternehmensgewinn gerichtet sind, aber auch Aktienoptionen oder Vergütungselemente, die nur kurzfristige Renditeinteressen begünstigen, müssen begrenzt und massiv eingeschränkt werden. Dies ist in § 87 Aktiengesetz unter dem Kriterium der "Angemessenheit" näher zu spezifizieren und aufzunehmen.

Eine auf den kurzfristigen Shareholder Value ausgerichtete Unternehmenspolitik kann nicht länger toleriert werden. Es ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für die persönliche Haftung der Aufsichtsräte bei unangemessener Vergütungsfestsetzung zu schaffen. Die Verantwortung für Vorstandsvergütungen ist dem Aufsichtsrat insgesamt zu übertragen und soll nicht länger einem Ausschuss vorbehalten sein. Daneben ist der Ausübungszeitraum bei Aktienoptionen auf mindestens vier und mehr Jahre zu verlängern. Die Verpflichtung der Offenlegung der individuellen Vorstandsvergütung ist vor allem in Bezug auf Abfindungen und Ruhegelder muss spezifiziert und konkretisiert werden. Außerdem ist die Möglichkeit vorzusehen, Vergütungen von Vorständen und Managern bei schlechter Unternehmensführung nachträglich zu begrenzen.

Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung

Das Recht des Verbrauchers, bei falscher und irreführender Beratung Schadensansprüche geltend und durchsetzbar machen zu können, muss gestärkt werden. Die Dokumentationspflicht des Beratungsgesprächs gegenüber dem Kunden ist einzuführen und gesetzlich zu verankern. In Anlehnung an das Versicherungsvertragsgesetz ist die Pflicht des Bank- bzw. Anlageberaters zu regeln, dokumentarisch die Risiken des empfohlenen Produkts sowie die Gründe für die Empfehlung festzuhalten.

Darüber hinaus haben Berater und Vermittler die Richtigkeit der Finanzberatung zu beweisen und nicht wie jetzt die Verbraucher die Falschberatung. Die Beweislast ist daher umzukehren(!). Die Verjährungsfrist muss von jetzt drei auf zehn Jahre verlängert werden. Außerdem muss gesetzlich festgehalten werden, dass die Finanzdienstleistungsinstitute und -akteure die Anlage zurückkaufen müssen, wenn diese unter Vorspiegelung falscher Produkteigenschaften dem Kunden veräußert wurden.

Qualifikationsnachweis für Finanzvermittler

Es kann nicht weiter toleriert werden, dass Personen ( natürliche und juristische) ohne entsprechende Qualifikation Finanzprodukte verkaufen können. Die Anforderungen an Finanzvermittler - unabhängig davon, ob sie Anlagen, Kredite oder Versicherungen makeln - müssen deshalb einheitlich gesetzlich geregelt werden. Dabei sind u.a. folgende Punkte zu spezifizieren: Nachweis der ausreichenden Sachkunde, Registrierung in entsprechender Berufssparte, Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung sowie die Pflicht zur Dokumentation (insb. der Vermittlungsgespräche).

Einführung eines "Finanz-Wachhundes" zur Stärkung der Verbraucher

Um die Interessen der Verbraucher aktiv gegenüber den Anbietern, den Finanzaufsichtsbehörden und dem Gesetzgeber vertreten zu können, sollte eine entsprechende Institution vorgesehen werden. Aufgabe eines solchen Finanz-Watchdog / Finanz-Wachhundes bzw. "Finanz - TÜV" wäre u.a. Qualitätskontrollen in den Finanzmärkten vorzunehmen, Finanzprodukte und -mittel zu prüfen, Erkenntnisse über Missstände an die Aufsichtsbehörden weiterzugeben und diese zur Abhilfe aufzufordern. Weitere Aufgaben wären die zielgruppenorientierte Verbraucheraufklärung und -beratung sowie die Streitschlichtung. Eine Anbindung dieser Institution und ihrer Aufgaben an die Verbraucherzentralen und ihren Dachverband wäre sinnvoll, damit die Finanzmärkte auch wieder im Sinne der Verbraucher funktionieren.

Flächendeckende Bildung in Finanzfragen

Bildungslücken in Finanzfragen können gravierende individuelle, soziale und gesamtwirtschaftliche Negativfolgen haben. Dies zeigen immer wieder Fälle der mangelnden oder falschen Risikoabsicherung, die Beispiele unzureichender finanzieller Vorsorge, die Fälle unzureichender Budgetierung der privaten Finanzen oder das Problem der Überschuldung. Deshalb ist in den Lehrplänen der Schulen die Pflicht zur Finanz- und Wirtschaftsbildung zu verankern. Die Wirtschafts- und Konsumkompetenz ist durch effektive Bildungsprogramme (spezifische Schulcurricula ) zu verbessern. Die Bildungsprogramme sind sukzessive auf die Erwachsenenbildung auszudehnen.

3. Was ist auf der Ebene der Europäischen Union zu tun?

Erstens: Der ordnungspolitische Rahmen, die regulatorischen Instrumente sowie die Funktionen wie Aufgaben der Kontrollinstanzen sind bezogen auf den Finanzsektor in der EU gegenwärtig extrem unterschiedlich. Es ist daher notwendig, auf EU-Ebene eine Finanzrichtlinie zu erlassen, da sie in kürzester zu einem einheitlichen Standard in den 27 Mitgliedsstaaten führt. Darin sind alle auf der nationalen Ebene (s.o.) angesprochenen Punkte aufzunehmen. Sollte die Verabschiedung einer Richtlinie nicht möglich sein, gilt es schnellstmöglich eine Harmonisierung herbeizuführen.

Zweitens: Auch auf der europäischen Ebene gilt, dass es künftig keine unregulierten Finanzmarktbereiche und auch keine "Regulierungs - Arbitrage" mehr geben darf. Dies ist einmal durch verstärkte europäische Kodifizierung von Finanzmarktregulierungen und zum anderen durch eine stärkere Kooperation der nationalen Aufsichtsbehörden sicherzustellen. Darüber hinaus müssen auch internationale Vereinbarungen wie beispielsweise Basel II Gültigkeit haben und in geltendes Recht umgesetzt werden.

Drittens: Die sich beschleunigende Integration der Finanzmärkte auch in Europa erfordert starke, effektive und effiziente Kontrollinstanzen. Aufgaben, Funktionen und Strukturen der nationalen Aufsichtsbehörden müssen vereinheitlicht und die Kompetenzen europäisch in einer engen Zusammenarbeit gebündelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es nicht zwingend geboten, eine einheitliche europäische Aufsichtsbehörde zu errichten.

Viertens: Europäisch ist zu gewährleisten, dass Risiken nicht außerhalb von Bilanzen platziert werden dürfen. Dazu sind europäisch einheitliche Bilanzierungsstandards zu schaffen. Diese müssen insbesondere klare und einheitliche Bewertungsregeln mit jeweils adäquaten Wertansätzen enthalten. Um Krisenverschärfungen zu vermeiden, sollten die Möglichkeiten zur Vermeidung von Prozyklität genutzt werden können. Außerdem sollte klar reguliert und beaufsichtigt für den Krisenfall vorgesehen werden, dass eine begrenzte Übertragung zwischen Handels- und Bankenbuch erfolgen kann.

Fünftens: Den existierenden Steueroasen sowie den weitgehend regulierungs- und rechtsfreien Offshore-Finanzzentren muss der existentielle Boden entzogen werden. Da sich diese wie auch die "Parkplätze für schwarze Kassen weiterhin auch auf europäischem Boden befinden, muss die EU bei deren Bekämpfung vorangehen. Zu diesem Zweck muss der Kapitalverkehr mit Steueroasen und Offshore-Zentren sanktioniert und durch Sondersteuern eingeschränkt werden. Vor allem Steuerhinterziehung ist durch verschärfte Gesetzgebung wie Strafverfolgung entschlossener zu bekämpfen.
Sechstens: Die EU muss sich auf allen Ebenen massiv dafür einsetzen, dass es zu einer internationalen Regulierung und Aufsicht von Rating- Agenturen kommt.

Verantwortliches Handeln muss rechtsverbindlich sichergestellt werden.
Ansatzpunkt bietet der nur als Selbstverpflichtung bestehende "Code of
Conduct".

Beratende Tätigkeit, die Erstellung von Finanzprodukten und die Bewertung müssen zukünftig gesetzlich getrennt werden. Vor allem ist sicherzustellen, dass diese drei Dienstleistungen nicht durch die gleiche Unternehmensgruppe erfolgen können.

Für Rating-Agenturen sind einheitliche Standards vorzusehen. Die Vergleichbarkeit muss gewährleistet sein. Sorgfältige und pflichtgemäße Bewertungen müssen verbessert, Risikoanalysen transparenter gestaltet werden.

Es ist zu prüfen, ob nicht eine europäische Rating-Agentur gegründet werden muss, da es bislang nur US-amerikanische Institute gibt. Siebtens: Kreditfinanzierungen über sogenannte leveraged buy-outs (LBO), wie sie überwiegend von Hedge-Fonds und Private Equity- Gesellschaften durchgeführt werden, müssen verbindlich stärker reguliert werden. Auf EU-Ebene sind einheitliche Mindeststandards (die auch auf internationaler Ebene durchgesetzt werden müssen) einzuführen, was die Kontrolle und Aufsicht der Finanzmarktakteure bei deren Kreditaufnahme anbetrifft. Eigenkapitalanforderungen (beispielsweise mindestens 30% bei Hedge-Fonds) und der Einsatz von Eigenkapital bei LBOs sind wesentlich zu verschärfen. Dies kann auch über ein zeitweises Verbot fremdfinanzierter Sonderausschüttungen oder einer Begrenzung des LBO durch eine Mindestkapitalquote für einen bestimmten Zeitraum erfolgen.

Achtens: Um auf EU-Ebene die Spekulation einzudämmen, ist eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Diese hat den Effekt, dass kurzfristige spekulative Transaktionen spürbar verteuert werden.

4. Was ist auf globaler Ebene zu tun?

Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF)
Die Debatte um eine "Neue Internationale Finanzarchitektur" und die Rolle, die der IWF dabei spielen soll, ist, was die vorherrschenden regierungs- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen anbetrifft, eher von konzeptionellen Schwachstellen geprägt als von visionären Überlegungen, die die Gründer des "Bretton Woods-Systems" auszeichnete. Diese zogen die Konsequenzen aus der Weltwirtschaftskrise und den ökonomischen Ursachen der Katastrophen zweier Weltkriege und legten ein konkretes Konzept zur zukünftigen Stabilisierung der Weltwirtschaft vor. Dieses wurde in Bretton Woods verabschiedet; ihm verdanken der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre Existenz. Demnach bestand eine wesentliche Aufgabenstellung des IWF darin, das internationale Finanzsystem mit Liquidität zu versorgen, um einen harmonischen und ungestörten Verlauf der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu gewährleisten.

Spätestens seit dem Zusammenbruch dieses Systems 1973 und der Freigabe fester Wechselkurse ist der IWF dieser Aufgabe nicht mehr gerecht geworden. Seitdem häufen sich die Finanzkrisen und ihr Auftreten hat sich im letzten Jahrzehnt spürbar beschleunigt. Vor allem im Zuge der Globalisierung nach Ende des Ost-West-Konflikts hat die Instabilität des internationalen Finanzsystems extrem zugenommen. Doch statt eines Konzepts mit neuem Regelwerk ging und geht es den meisten "Finanzarchitekten" weiterhin um Feinkorrekturen am bestehenden System. Man setzte auf den liberalisierten Markt, auf Kapitalmarktöffnung, auf Privatisierung und Deregulierung. Im Kern verfolgte der wirtschaftliche und politische mainstream die "Stärkung" der bestehenden "Finanzordnung" und nicht ihre notwendig gewordene grundlegende Erneuerung. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die entscheidungsrelevanten Debatten um eine internationale Finanzordnung in exklusiven Gremien wie der G7-er Gruppe oder gleich unter handverlesenen Finanzpolitikern im IWF stattfinden. Die von dort auf "offizieller" Ebene unterbreiteten Vorschläge zielen fast ausschließlich auf die Veränderung von Regierungspolitiken und fokussieren nicht die eigentliche Ursache der wachsenden Krisenhaftigkeit des internationalen Finanzsystems - nämlich das Versagen der Märkte.

Gegenwärtig wäre es ein Euphemismus zu konstatieren, es bestünde eine - oder sogar eine funktionierende - internationale Finanzordnung. Gerade die Abwesenheit von Ordnung charakterisiert seit geraumer Zeit die Situation auf den Kapital- und Finanzmärkten - und das nicht nur international sondern in weiten Teilen auch national. Der von vielen Verantwortlichen angestimmte chorale Ruf nach einer Reform dieser "Ordnung" verliert sich daher im Leeren. Was dagegen geschaffen werden muss, ist ein grundlegend neues Ordnungskonzept für die globalen Kapital- und Finanzmärkte. In diesem Rahmen kann dem IWF eine neue - auch bedeutende - Rolle zuwachsen, sofern eine klare Veränderung in seiner Aufgabenstellung vorgenommen wird.

Die "neue Ordnung" verlangt einen politischen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel: Die Philosophie des neuen Konzepts ist erstens nicht länger an national abgeschotteten Wirtschaften auszurichten, sondern an einer global vernetzten Wirtschaft mit globalen - regional unterschiedlich strukturierten - Kapital- und Finanzmärkten. Der Umstand, dass die national und/oder regional geprägten Finanzaufsichten mit der Globalisierung nicht Schritt gehalten haben, verlangt zweitens nach grenzüberschreitender und globaler Finanzaufsicht wie Kontrolle. Drittens macht die Intransparenz dieser Märkte es erforderlich, dass in einer internationalen Institution die Verantwortung nach Transparent-Machen gebündelt wird. Zum Vierten ist die öffentliche Rechenschaftslegung international auszudehnen und vergleichbar zu machen. Letztlich ist eine Partizipation von gesellschaftlicher Seite auf globaler Ebene zu verankern.

In seiner jetzigen Form und Arbeitsweise ist der Internationale Währungsfonds (IWF) eher als ineffektiv, entwicklungsfeindlich und undemokratisch denn als Garant für Stabilität im Finanzsystem anzusehen. Weit entfernt von seiner ursprünglichen Funktion hat er in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr die Rolle einer gesellschafts- und ordnungspolitischen Disziplinierungsinstanz übernommen; ist er zur Kontrollinstanz des Nordens (die Gläubiger) über den Süden (die Schuldner) geworden, ist er nach und nach in eine Art internationaler Betreibungsagentur für Gläubigerforderungen hinein gewachsen.

Vornehmlich fixiert am Interesse internationaler Kapitaleigner nach Wertstabilität ihrer Anlagen hat er mit seiner daran orientierten Politik nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass Finanzkrisen nicht nur nicht verhindert sondern sogar verschärft wurden. Dies wird inzwischen sowohl für die Asienkrise von 1997/98 wie auch für die Lateinamerika/Russlandkrise von 1998/99 zugegeben.

Außerdem hat der IWF durch sein Handeln eher den Eindruck verstärkt als vermindert, nur das Instrument seiner wichtigsten Anteilseigner zu sein. Und dies sind allen voran die USA mit ihrer Sperrminorität sowie die G7-Staaten. Da diese Länder nicht mehr auf die Kredite des IWF angewiesen sind (die letzte Transaktion erfolgte 1976 ), da es sich beim IWF um eine intergouvernementale Organisation handelt (in der die Regierungen bzw. ihre Finanzministerien die Politik bestimmen) konnten die "Gläubiger" ohne Gewissensbisse in der letzten Konditionen für Kredite ausarbeiten und durchsetzen, mit deren Anwendung auf sich selbst sie nicht rechnen mussten.

Damit angesichts dieser Situation der IWF als Bock nicht zum Gärtner gemacht wird, ist eine umfassende Reform seiner Struktur und Funktion notwendig. Das heißt, dass die Ausrichtung seiner Politik substantiell verändert, die institutionelle Struktur grundlegend umgebaut und seine Rolle bei der Regulierung wie Stabilisierung auf den globalen Finanz- und Kapitalmärkten neu definiert werden muss. Im Wesentlichen sind es vier Punkte, an denen sich diese Reform auszurichten hätte.

Erstens muss die weltwirtschaftliche Koordinierungs-, Steuerungs-, Regulierungs- und Überwachungsfunktion massiv ausgebaut werden. Beispielsweise indem der Fonds a) die Befugnisse einer globalen Finanzaufsichtsbehörde übernimmt, indem er b) für antizyklische Überbrückungskredite sorgt, indem er c) als internationaler TÜV für Finanzprodukte fungiert.

Zweitens muss die Finanzierungsfunktion neu fokussiert werden. Beispielsweise reicht es, wenn die Kreditvergabe an Fonds-Mitglieder auf wenige Bedingungen wie Rückzahlungs- und Zinsmodalitäten sowie die Einhaltung elementarer Menschenrechte beschränkt ist.

Drittens muss die gesellschafts- und ordnungspolitische Disziplinierungsfunktion minimiert werden. Beispielsweise muss das detaillierte Hineinregieren in die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Mitgliedsstaaten seitens des Fonds aufgegeben werden. Unterschiedliche wirtschaftspolitische Ansätze müssen zugelassen und multipolaren Entwicklungskonzepten entscheidender Raum eingerichtet werden.

Viertens muss die Governancefunktion innerhalb des Fonds demokratisiert werden. Die Verteilung der Stimmrechte muss dahingehend modifiziert werden, dass einem einzelnen Staat (USA ) oder einem Staatenverbund (z.B. EU ) kein faktisches Veto-Recht aufgrund seiner Sperrminorität eingeräumt wird. Das herrschende einseitige Dominanzsystem der Industrieländer über die restlichen Staaten würde dadurch ersetzt werden. Orientieren könnte man sich beispielsweise an Modellen wie dem Anti-FCKW-Fonds des Montreal-Protokolls, das das Diktat des Nordens ebenso vermeidet wie Majorisierungsstrategien des Südens und das darüber hinaus gesellschaftlichen Gruppierungen Mitspracherechte einräumt.