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Frage von Volker N. •

Frage an Werner Hoyer von Volker N. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Dr. Hoyer

Worin unterscheidet sich eine liberale konkret von einer grünen Aussenpolitik?
Angenommen, Sie wären Anfang der letzten Legislaturperiode Aussenminister geworden, bei welchen Themen hätten Sie persönlich anders gehandelt als ein Aussenminister Joschka Fischer?

Mit freundlichen Grüssen,

Volker Neunz

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Neunz,

gerne beantworte ich Ihre Frage, erlaube mir hier aber eine etwas längere Ausführung. Beiliegend erhalten Sie auch einen Antrag "Grundzüge der FDP füe eine Liberale Außenpolitik", wie er vom Bundesvorstand der Partei bereits beschlossen wurde.

Zu Ihrer Frage:

Liberale Außenpolitik ist freiheitlich, deutlich in Sachen Menschenrechte, orientiert an Marktwirtschaft, Freihandel und Hilfe zur Selbsthilfe. Sie setzt auf Vertrauen, auf Bündnisse und auf den Multilateralismus - und damit auf die EU, die NATO, die OSZE und die UNO anstelle nationaler Alleingänge.

Rot-Grün hat an manchen Traditionslinien festgehalten – zu Recht, denn Außenpolitik taugt weniger als anderes zu parteipolitischer Profilierung. Aber die transatlantische Freundschaft ist beeinträchtigt, die europäische Integration in der Krise, die kleinen und mittleren EU-Partner sind irritiert, die UN-Reform droht im Sand zu verlaufen, die menschenrechtspolitische Glaubwürdigkeit ist erschüttert. All das gilt es jetzt durch Rückbesinnung auf bewährte Stärken und Prinzipien neu zu bearbeiten, manches auch zu korrigieren.

Am wichtigsten ist und bleibt unsere Einbettung in Europa. Die EU ist Garant ist für Frieden und Freundschaft unter den europäischen Völkern. Wir brauchen die Integration auch, weil als Exportnation unser Wohlstand davon abhängt. Trotzdem ist ein „Weiter so“ heute keine Option. Das Verfassungsprojekt geht zwar trotz aller Mängel in die richtige Richtung, die EU demokratischer und bürgernäher zu machen. Eine Neuauflage desselben Textes wird es aber auch nach einer „Denkpause“ nicht geben können. Es gilt, den Text von allem zu entschlacken, was nicht wirklich konstitutioneller Regelung bedarf. Wir brauchen eine Verfassung, die ihren Namen verdient, mit Grundrechten und den wichtigsten Strukturfragen. Fast die Hälfte des EU-Budgets für die Landwirtschaft, in der nur fünf Prozent der Menschen in Europa beschäftigt sind – so ist den Bürgern ein zukunftsgerichtetes Europa nicht mehr zu vermitteln. Die EU-Mittel müssen mehr für gemeinsame Zukunftsaufgaben verwendet werden können, für Wissenschaft und Forschung, kurzum für Innovation.

Die Transformationsländer in Südost- und in Osteuropa brauchen die Europa-Perspektive, um Spannungen zu überwinden und die schwierigen Reformprozesse einzuleiten. Aber die EU ist kein allgemeiner Mitgliederverein, sie darf sich mit der Erweiterung nicht überdehnen. Deshalb darf diese Stabilisierungsfunktion nicht nur auf Vollmitgliedschaft fokussiert bleiben. Für die Türkei gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Aber die Verhandlungen müssen auch wirklich ergebnisoffen geführt werden.

Deutschland muss wieder Anwalt und vertrauensvoller Partner gerade der kleinen und mittleren EU-Länder werden. Rot/Grün hat das durch das Gerede über eine „Achsen-Bildung“ Paris-Berlin-Moskau, durch anti-amerikanische Begleittöne und durch unglückliches Handeln des deutsch-französischen Tandems vernachlässigt. Polen muss bei einem auch um Großbritannien zu erweiternden Führungs-Quartett der EU unbedingt mit an Bord.

Neue Dynamik braucht auch die transatlantische Freundschaft. Die neuen Bedrohungen mit dem islamistischen Terrorismus richten sich gegen die gesamte freie Welt. Das haben gerade die furchtbaren Terroranschläge von London wieder gezeigt. Das Vertrauen zwischen der Bush-Administration und der Bundesregierung ist seit den Verwerfungen über den Irak-Krieg beschädigt. Rot/Grün hat auch die bewährte außenpolitische Linie aufgegeben, nie in eine Situation zu kommen, in der zwischen Paris und Washington gewählt werden müsste.

Der grundlegende Wertekonsens und die transatlantische Freundschaft sind und bleiben unabhängig von den jeweiligen Regierungen. Der Beginn des Irak-Kriegs ohne klares UN-Mandat, die Misshandlungsszenen in Abu Ghraib, die rechtsstaatlich zweifelhafte Situation in Guantanamo, die Nicht-Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs – all das ist kritikwürdig, aber eben unter Freunden, und nicht durch Abwendung von den USA. Mit der NATO hat die transatlantische Partnerschaft einen zukunftsfähigen institutionellen Rahmen. Die USA müssen wieder überzeugt werden, dass die NATO mehr ist als ein Werkzeugkasten für Ad-hoc-Koalitionen. Nicht Gegen-Gewicht zu den USA, sondern mehr Gewicht für Europa im atlantischen Bündnis – das muss der Ansatz sein.

Das wichtigste gemeinsame transatlantische Projekt ist und bleibt der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Terroristen dürfen keinen Zugriff auf Massenvernichtungswaffen erhalten. Die westlichen Gesellschaften dürfen im Kampf gegen den Terrorismus nicht überreagieren, sich abschotten und Freiheit und Toleranz als grundlegende Ordnungsprinzipien über Bord werfen. Der Westen muss vielmehr alles daran setzen, die Modernisierung in vielen islamisch geprägten Staaten zu unterstützen. Eine Stabilisierung des neuen Irak ist bei aller berechtigten Kritik am letzten Irak-Krieg auch in unserem Interesse. Die EU und auch Deutschland müssen sich z.B. beim Aufbau von Rechtstaat, Polizei und Medizinwesen stärker engagieren, ohne deshalb Truppen in den Irak schicken zu müssen. Der Iran muss von seinen gefährlichen Nuklearwaffenambitionen abgebracht werden. Das Vertrauen Europas gepaart mit der Stärke Amerikas müssen hierbei klug eingesetzt werden.
Der Kampf gegen islamistischen Terrorismus kann ohne eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes nicht gewonnen werden. Voraussetzungen für eine tragfähige Friedenslösung bleiben die Anerkennung des Existenzrechts Israels als jüdischer Staat, die Abkehr von Gewalt und Terrorismus und die Durchsetzung der Ansprüche der Palästinenser auf einen eigenen, lebensfähigen Staat. Die Friedenslösung muss von innen kommen, aber die internationale Staatengemeinschaft kann und muss von außen aktiver Hilfe leisten.

Die Menschenrechte müssen wieder zur Leitlinie der Außenpolitik werden. Das gilt etwa in der Russland-Politik. Die Tschetschenien-Frage und die dramatisch verschlechterte Lage der Bürgerrechte in Russland wurden vernachlässigt, und Bundeskanzler Schröder hat den russischen Präsidenten als „lupenreinen Demokraten“ gelobt. Liberale Außenpolitik sucht Russland als großen, wichtigen Nachbarn. Aber sie zielt auch auf eine Förderung der Transformationsprozesse und eine Stärkung der russischen Zivilgesellschaft. Wir müssen gegenüber Russland die ausgestreckte Hand mit dem offenen Wort verbinden.

Bundeskanzler Schröder tritt für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China ein, obwohl dort die Menschenrechtslage überaus bedenklich bleibt. Er verkennt, dass das „Signal“ einer Aufhebung des Embargos von Peking als menschenrechtspolitisches Gütesiegel missbraucht werden würde. China ist wirtschaftlich und politisch ein Partner von enormer Bedeutung. Aber die Kooperations-Erfolge der USA mit China zeigen, dass man dazu die bedenkliche Menschenrechtslage in China nicht unter den Tisch kehren muss. Japan und Indien müssen als bedeutende Partner in Asien ernster genommen werden. Wir müssen unseren Blick in der Asien-Politik insgesamt erweitern, ohne China zu vernachlässigen.

Auch Lateinamerika als bedeutender Wachstumsmarkt wurde von Deutschland in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt. Die Anknüpfungspunkte sind aufgrund traditioneller Verbindungen, weitgehend fehlender historischer Belastungen und dem Interesse, den Einfluss der USA durch enge Beziehungen zu Europa auszubalancieren, hervorragend. Das gilt es nutzen.

Das Subsahara-Afrika gilt heute vielen als „hoffnungsloser Kontinent“. Schuld daran ist auch eine Entwicklungshilfe, die falsche Anreize gesetzt hat. Im Juli haben die G 8 eine erhebliche Aufstockung der Mittel für Afrika beschlossen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass reine Finanztransfers zu Abhängigkeit führen, Eigeninitiative hemmen und Reformanstrengungen und Entwicklung blockieren. Entwicklungshilfe darf nicht zur Weltsozialhilfe verkommen. Eine maßvolle Erhöhung der Hilfe für Afrika muss das „Gießkannen-Prinzip“ aufgeben und Reformprozesse einfordern. „Good Governance“ ist die entscheidende Voraussetzung für Entwicklungschancen. Die Öffnung der Märkte der Industrieländer für die Produkte der Entwicklungsländer wäre erheblich wirkungsvoller als ihre gesamte Entwicklungshilfe.

Die Handlungsfähigkeit und Legitimität der UNO muss gestärkt werden. So muss etwa die Menschenrechtskommission endlich zu einem glaubwürdigen und handlungsfähigen Gremium umgestaltet werden. Die Bundesregierung hat mit ihrer Fokussierung auf einen ständigen Sicherheitsrats-Sitz das Gesamt-Reformpaket nicht ausreichend unterstützt. Ein europäischer Sitz wäre einem deutschen ohnehin vorzuziehen. Wenn Deutschland jetzt einen Sitz erhält, sollte es diesen Sitz zumindest „treuhänderisch“ für die EU-Partner mit wahrnehmen.

Deutschland trägt 15 Jahre nach der Wiedervereinigung international mehr Verantwortung. Wir dürfen uns dem nicht verweigern - aber uns auch nicht übernehmen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben zugenommen, und die multilateralen Anforderungen werden weiter steigen. Deutschland kann und darf sich nicht grundsätzlich sperren – das verbieten unsere Sicherheitsinteressen, unsere besondere Verantwortung für Frieden und Menschenrechte und unser aktives Bekenntnis zum Multilateralismus und zur Stärkung der UNO. Die Bundeswehr ist zudem eine gute Visitenkarte für Deutschland.

Andererseits darf Deutschland jetzt nicht mit Militäreinsätzen Politik machen wollen. Die Soldaten können der Politik helfen, ersetzen können sie diese nicht. Der eigentliche Erfolg einer Friedensmission, wie in Afghanistan oder dem Balkan, liegt nicht in einer vorübergehenden Konfliktberuhigung oder in internationalem anerkennendem Schulterklopfen, sondern ist erst dann erreicht, wenn ein Einsatz nach erfolgter politischer Stabilisierung auch einmal wieder beendet werden kann. Deutsche Soldaten in gefährliche Auslandseinsätze zu schicken, das ist kein Prestige-Objekt und kein Politik-Ersatz, sondern eine Last, die es aus Verantwortungsbewusstsein dann (aber nur dann) zu tragen gilt, wenn es anders nicht geht.

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte, seiner geographischen Lage, seiner Stellung als mittelgroße Macht und aufgrund der Exportabhängigkeit seiner Wirtschaft jedes Interesse daran, ein geachteter, verlässlicher und eingebundener Partner in der Weltpolitik zu sein. Das war, ist und bleibt die Leitlinie liberaler Außenpolitik.

In der Hoffnung, Ihnen mit diesen Ausführungen behilflich gewesen zu sein, sowie mit freundlichen Grüßen
Werner Hoyer