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Volker Blumentritt
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Frage von Robert W. J. •

Frage an Volker Blumentritt von Robert W. J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Blumentritt,

die Diskussion um eine mögliche Wahlrechtsreform ist ja nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes neu entbrannt.

Meine Frage dazu lautet, wie Sie respektive Ihre Partei zu einer unumschränkten Einführung des allgemeinen Wahlrechts stehen? Damit meine ich ein Wahlrecht, bei dem alle Bürger eine Stimme haben, die zählt und politisch Gehör findet. Schließlich wird bislang eine große Gruppe (ca. 25 %) des Volkes, von dem laut GG die Staatsgewalt ausgeht, nicht berücksichtigt. Kinder und Jugendliche, die ganz besonders von Entscheidungen der Legislative betroffen sind, haben faktisch keine Stimme, müssen jedoch viele Entscheidungen, die heute getroffen werden, in späteren Jahren "ausbaden". Dies ist meines Erachtens undemokratisch. Wenn Säuglinge Großaktionäre, Kinder und Jugendliche geschäfts- und straffähig sind, warum können sie nicht wahlberechtigt sein?

Vielleicht gibt es ja auch schon Initiativen dazu? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um dies in die Diskussion einzubringen!

Über eine Stellungnahme Ihrerseits würde ich mich sehr freuen. Mit bestem Gruß,

Robert W. Jahn

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Jahn,

vielen Dank für Ihre Fragen zum Thema Kinderrechte und Gesetzgebung.

Unsere Wahlen zu allen Volksvertretungen sind allgemein (jeder deutsche Staatsangehörige, über 18 Jahre ist zur Wahl berechtigt), unmittelbar (die Stimme wird direkt einem Kandidaten gegeben), frei (kein Wahlzwang), gleich (jede Stimme ist gleichwertig) und geheim (Wähler werden nicht überwacht). So lautet der Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes In Deutschland genießen alle Bürger ab 18 Jahren das passive Wahlrecht auf kommunaler und auf Bundesebene. Auf der Ebene der Länder, liegt das Alter für die Wählbarkeit bei 18 Jahren. (mit Ausnahme Hessens, dort liegt es bei 21 Jahren) Bei Kommunalwahlen reicht in bestimmten Bundesländern das Erreichen des 16. Lebensjahres aus.
Vom bestehenden deutschen Wahlrecht sind rund 14 Millionen Bundesbürger aufgrund ihres Alters ausgeschlossen (17 Prozent). Kinder sind in fast keinem Land wahlberechtigt.

Für undemokratisch halte ich dieses Wahlrecht nicht. Es steht allen Staatsbürgern zu, die das Wahlalter erreicht haben-, ohne dass die Wahlberechtigung von Voraussetzungen wie z.B. Geschlecht, Einkommen, Bevölkerungs- oder Berufsgruppe, Religionszugehörigkeit, abhängig gemacht wird

Aktuell gibt es in Deutschland kontrovers geführte Diskussionen über die Einführung eines Eltern-, Kinder - oder Familienwahlrechts. In diesem Fall sollen die Eltern für jedes noch nicht wahlberechtigte Kind (unter 18 Jahren) eine weitere bzw. eine halbe Stimme abgeben können (stellvertretendes Kinderwahlrecht). Allerdings untergräbt das Prinzip der Höchstpersönlichkeit des Wahlrechts, da die Kinder ihr Stimmrecht auf die Eltern übertragen würden.
Die Interessen der Eltern weichen oft erheblich von den Interessen der Kinder ab. Wählen die Eltern anstelle und für ihre Kinder, wird unter Umständen nicht die Meinung der Kinder, sondern die der Eltern repräsentiert. Im Ergebnis handelt es sich dann nicht um ein Kinderwahlrecht, sondern um ein zusätzliches Wahlrecht für Eltern. Gemäß dem Fall, das Eltern die Stimme ihrer Kinder „treuhänderisch verwalten“, müssten die Eltern die Wahlstimme ihrer Kinder vorerst erfragen. Dies verstößt gegen den Grundsatz der geheimen und Gleichheit einer Wahl, da Eltern faktisch über mehrere Stimmen verfügen. Auch die Frage, ob Eltern dem Wahlwunsch ihrer Kinder folgen leisten, wenn dieser der elterlichen Ansicht und Überzeugung widerspricht, kann nicht eindeutig beantwortet oder überprüft werden, ohne damit gegen die Grundsätze der Wahl nach Artikel 20 im Grundgesetz zu verstoßen.

Weiterhin gibt es Vorschläge für ein „echtes“ Kinderwahlrecht mit Vollendung der Geburt, bei dem Kinder selbst ihre Stimme abgegeben können. Ebenso existieren Forderungen nach der Senkung des Wahlalters auf 14 oder 16 Jahre.

Über eine Herabsetzung des Wahlrechtalters z.B. auf das 16. Lebensjahr lässt sich durchaus diskutieren. Was aber soll ein Säugling bzw. ein Kleinkind mit einem Recht anfangen, das es selbst gar nicht ausüben kann? In keinem demokratischen Staat ist ein Wahlrecht für Kinder vorgesehen. Bis zum Alter von 18 Jahren gilt ein Kind als unmündig und damit als nicht in der Lage, die eigenen sozialen Rechte und politischen Interessen in der Gesellschaft selbstständig zu vertreten. Das juristische System entspricht einer altersgestaffelten Geschäfts- und Straffähigkeit. Säuglinge sind geschäfts- und strafunfähig, Kinder und Jugendliche ab 14 Jahre begrenzt geschäfts- und straffähig (Jugendstrafrecht), spätestens mit 18 Jahren voll geschäftsfähig bzw. mit 21 Jahren voll straffähig.

Natürlich ist eine öffentliche und breite Diskussion über die Lage unserer Kinder und der Familien wichtig und notwendig. Trotzdem begegne ich dem Vorschlag eines Kinderwahlrechtes in der beschriebenen Form der „Stimmverwaltung“ der Eltern skeptisch. Aufgeführte verfassungsrechtliche, demokratietheoretische und pragmatische Einwände lassen an der Eignung dieses Instrumentes zweifeln.

Geht es um die Interessen von Kindern und Jugendlichen und um Maßnahmen, die ihnen zugute kommen könnten, halte ich eine Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre, für ein sinnvolleres Instrument (auch wenn ich mich dafür nicht einsetzen werde), als die Forderung nach einem „Stellvertreterwahlrecht“ für Kinder, welches Kinder am Ende nur über ihre Eltern wahrnehmen könnten. Dies stärkt in keinem Fall die Privilegien oder Interessen der Kinder.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Blumentritt