Thilo Fester
PIRATEN
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Frage von Henning T. •

Frage an Thilo Fester von Henning T. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Herr Fester!

Sie schreiben in Ihrem "Kandidatencheck":

"Ich tendiere zu alternativen Ideen, die Mitarbeiter eines Unternehmens am wirtschaftlichen Erfolg beteiligen. Auf diese Art und Weise kann man Arbeitsplätze erhalten und trotzdem Anreize schaffen."

Was sind denn für Sie persönlich Anreize, zu arbeiten? Was ist Ihnen an einer Arbeit wichtig? Wenn Sie beispielsweise die freie Wahl hätten zwischen zwei Stellen mit praktisch gleichen Aufgaben, die eine Stelle mit einem meinetwegen tariflich geregelten Gehalt und eine Stelle mit erfolgsabhängigem Gehalt, was würden Sie nehmen? Oder Sie haben die Wahl zwischen einer sehr gut bezahlten Stelle, deren Aufgaben Sie aber nicht herausfordern, oder die sie gar moralisch ablehnen, die Kollegen oder Chef unausstehlich sind und auf der anderen Seite eine weit schlechter bezahlte Stelle, deren Aufgaben genau die sind, die Sie schon immer beackern wollten, und wo Sie zeitlich und örtlich völlig selbstbestimmt arbeiten können und wo sie weit reichend im Unternehmen mitbestimmen dürfen. Wie würden Sie wählen, wenn diese perfekte Stelle sogar weniger Einkommen bringen würde als ALG I und Sie vor der Entscheidung stünden, diese Stelle anzunehmen oder aber in die Erwerbslosigkeit mit ALG I zu gehen?

Wie immer Ihre Prioritäten liegen - was schätzen Sie, bei wievielen Menschen die Prioritäten ähnlich liegen?

Antwort von
PIRATEN

Hallo Herr Thielemann,

der Gedanke hinter einem einheitlichen Mindestlohn ist die Gerechtigkeit und der Kampf gegen Lohndumping. Ich empfinde das an sich auch als lobenswertes und gutes Ziel. Ich habe mich mit meiner Antwort im Kandidatencheck direkt auf die Frage nach "einen allgemein verbindlichen Mindestlohn für alle Branchen" bezogen. Hierbei sollten Sie beachten, dass ich mit meinem Kommentar nur sehr knapp schreiben durfte, was eventuell das Bild meiner Meinung etwas verzerrt (Beschränkung der Antwortlänge im Kandidatencheck).

Nun ist es eben so, dass es einige Anzeichen [1, 2] dafür gibt, dass branchenübergreifende Mindestlöhne in Bezug auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen eventuell (vor allem in Ostdeutschland) gar nicht mehr Gerechtigkeit bringen, als im ersten Moment gedacht. Klar, jeder entschließt sich für die bessere und stabile Bezahlung, wenn er die Wahl hat. Dafür muss man allerdings die Wahl haben. Soll heißen, dass ich mich nicht aus einem Bauchgefühl heraus und aufgrund des Bezugs auf das Arbeitnehmerverhalten sowie dem anfangs offensichtlich erscheinenden Gerechtigkeitsgedankens für so einen Mindestlohn aussprechen kann, wenn man damit am Ende Menschen in die Arbeitslosigkeit schickt und dann eben jenen, nun besser Verdienenden, dafür doch die Kosten dafür aufbürden muss. Beunruhigend ist in meinen Augen auch die mögliche Konsequenz neuer Unterschiede im wirtschaftlichen Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland.

Beschränkt man sich jedoch nicht auf branchenübergreifende, flächendeckende Mindestlöhne kann man die ganze Situation allerdings schon etwas anders bewerten (wie bspw. sehr schön in [3] beschrieben), da man hierbei durchaus auf die Probleme eingehen kann, die die oben benannte Idee des einheitlichen Mindestlohns mit sich bringt.

Die Anreize über die ich spreche, lassen sich dabei durchaus tariflich regeln. So wie es Menschen gibt, die auf ihr Gehalt verzichten, um ihr Unternehmen am Leben zu halten, wenn es einmal soweit kommt, dass es auf der Kippe steht, gibt es genauso Menschen, die sich mit dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, identifizieren und durchaus gewillt sind, zum Wohl des Unternehmens mehr als nur das Notwendige zu leisten, wenn man sie dafür am Erfolg beteiligt. Ich sehe dies durchaus durch Gewerkschaften und ihre Anstrengungen teils umgesetzt und kann mir auch gesetzliche Ansätze vorstellen, die entsprechend wirken. Eine gewisse Flexibilität der Löhne in Bezug auf die Stabilität des Unternehmens ist daher meiner Ansicht nach eine Vernünftige Idee und ein Kompromiss, der Fairness und wirtschaftliches Wachstum vereinbart.

Abschließend will ich sagen, dass die Folgen der Thematik im Moment nicht klar abschätzbar sind. In der Politik voreilige, undurchdachte Prognosen in Bezug zu einem einheitlichen, branchenübergreifenden Mindestlohn durch den Wahlkampf zu katapultieren, halte ich für falsch und unverantwortlich. Es wird die Bürger letztendlich nur erneut frustrieren. Jedem Entscheidungsträger ist bewusst, dass hier sowohl durch die Zustimmung als auch die Ablehnung Risiken auftreten, mit der die Bevölkerung sich einverstanden erklären sollte, bevor es zu einer Entscheidung kommt: zum einen ist dies die Möglichkeit negativer gesamtwirtschaftlicher Effekte, zum anderen auch ein Angriff auf Gerechtigkeits- und Gemeinschaftsbewusstsein in Deutschland. In meinen Augen ist es daher unbedingt wichtig, dass wir hier eine qualitativ hochwertige Lösung finden, die nicht allein nur auf den Meinungen der Parlamentarier aufbaut, sondern auf dem Wissen der Gemeinschaft. Alternativen dürfen wir vernünftiger Weise daher genauso wenig von vornherein ablehnen. Letztendlich sogar noch wichtiger ist, dass diese Lösungsideen von den Bürgern mit all ihren Konsequenzen akzeptiert werden.

Hierfür würde ich, wie schon in meiner letzten Frage hier auf abgeordnetenwatch.de beschrieben, politisch neutral grundsätzlich Initiativen in LiquidFeedback [4, 5] forcieren, dass am Ende nicht Bauchgefühl und politische Strategie zur Gesetzeslage wird, sondern ein auf kollektiver Intelligenz basierender, qualitativ hochwertiger Ansatz, der mit dem Meinungsbild der Öffentlichkeit untermauert ist.

Viele Grüße
Thilo Fester
http://www.thilofester.de

[1] http://www.cesifo-group.de/link/20070509-WELT-Mindestloehne.pdf
[2] http://doku.iab.de/discussionpapers/2007/dp3007.pdf
[3]
http://www.ifo.de/portal/pls/portal/portal_ifo.navigation.link/ifosd_2008_6_3.pdf
[4] http://liquidfeedback.org/mission/
[5] https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/LiquidFeedback