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Frage von Alexander C. •

Frage an Sebastian Edathy von Alexander C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Werter Herr Edathy,

aufgrund eines aktuellen Vorkommnisses in der Hamelner City (nahe Ihres Wahlkreises), bei dem eine türkische und eine libanesische Großfamilie mit Waffen (Baseballschläger, Messer und Gaspistolen) aufeinander losgingen und diese Massenschlägerei erst durch ein Großaufgebot der Polizei beigelegt werden konnte

http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article13537998/Grossfamilien-gehen-mit-Waffen-aufeinander-los.html

möchte ich diesbezüglich folgende Fragen stellen:

Glauben Sie, dass die Ursache dieser interkulturellen Meinungsverschiedenheit auf den grassierenden Rechtspopulismus hierzulande zurückgeführt werden kann oder ob das abscheuliche Verbrechen eines Rechtsradikalen in Norwegen - wie viele Politiker befürchten - diese Menschen erst zu solch einem Konflikt aufgewiegelt hat? Oder sind die Perspektivlosigkeit und die fehlenden Jobs für Fachkräfte als ursächliche Faktoren zu erwägen?

Des Weiteren frage ich mich, ob Sie meine Besorgnis teilen, dass ein derartiger Zwischenfall und der dadurch resultierende (Groß-)Einsatz unserer Polizei der Zündfunke für ähnliche Ausschreitungen, wie derzeit in GB, sein könnte?

Zu einem vergleichbaren Thema (rechtsfreie "No-Go-Areas" in der BRD)
äußerte sich der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut jüngst folgendermaßen:

"Wir aber wissen natürlich, wo wir mit dem Streifenwagen hinfahren und wo schon beim ersten Mal nur noch mit den Mannschaftswagen. Der Grund ist, dass die Kolleginnen und Kollegen sich dort zu zweit nicht mehr sicher fühlen können und fürchten müssen, selbst Opfer einer Straftat zu werden. Wir wissen, dass es diese Gegenden gibt. (...)
Betroffen sind hauptsächlich Milieus, in denen viele Migranten leben. Einsatzleiter müssen zum Beispiel manchmal entscheiden, ob sie Kolleginnen schicken. Frauen werden dort nicht als Autorität ernst genommen."

http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/In-Problemvierteln-fuerchtet-sich-sogar-die-Polizei-id4926287.html

mfG
Alexander Christiansen

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Antwort von
SPD

Südfrankreich, 18. August 2011

Sehr geehrter Herr Christiansen,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich alle mit "nein" beantworte.
Dabei will ich es aber nicht belassen, zumal so viele "Interessierte" meiner Beantwortung harren.
Die Hamelner Polizei gibt „private Differenzen“ als Grund des seit längerem schwelenden Streits zwischen den beiden Familien an. Sie, Herr Christiansen, vermischen die individuelle Ebene eines aktuellen Beispiels mit der Ebene gesamtgesellschaftlicher Probleme, was Ihnen sicherlich bewusst ist. Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen machen, denn ich empfinde es als sehr bedenklich, dass in der derzeitigen Diskussion Fakten und Vorurteile vermischt werden.
Nach kriminologischen und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen ist für Gewalt- bzw. Kriminalitätsneigung nicht ethnische Zugehörigkeit, sondern sozialer Hintergrund ein wichtiger Faktor. Menschen werden dort sozialisiert, wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Wenn ein Mensch in der Bundesrepublik geboren wird, hier zur Schule geht, findet eben die Sozialisation hier statt und nirgendwo sonst - unabhängig von der Frage, ob ein Migrationshintergrund besteht oder nicht.
Ich stimme sicher mit Ihnen in der Auffassung überein, dass Gewaltbereitschaft - gerade auch unter Jugendlichen - ein ernstzunehmendes Thema ist. Die Gewalt geht aber nicht allein von Menschen mit Migrationshintergrund aus. Vielmehr stellt sich Gewaltkriminalität oftmals als ein Problem von Personen mit schwachem sozio-okönomischen Hintergrund dar. Gerade unter dieser Gruppe befinden sich leider viele ausländische Jugendliche und Heranwachsende. Würde allerdings der Anteil der deutschen Jugendlichen und Heranwachsenden aus vergleichbaren Verhältnissen als Maßstab genommen, gäbe es auch hier einen erheblich höheren Anteil. Ob es in diesem Zusammenhang zu einem Ausbruch ähnlich wie in Großbritannien auch in Deutschland kommen kann, vermag niemand ganz auszuschließen. Jugendgewalt ist jedoch keinesfalls ein Phänomen, das sich bestimmten Ethnien zuordnen ließe, und resultiert auch in Großbritannien aus den prekären Lebensumständen der Beteiligten - mit und ohne Migrationshintergrund.
Meine Position gegenüber jeglicher Art von Gewaltkriminalität: Sie ist nicht zu tolerieren, und der Staat muss sein Möglichstes tun, diese zu unterbinden. So erachte auch ich die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen bzw. Heranwachsenden als problematisch. Das Jugendstrafrecht ist jedoch in seinen diversen Sanktionsformen ein vollkommen ausreichendes Instrument zur Bestrafung der Täter. Auch der gesetzliche Strafrahmen ist ausreichend. Wichtig ist es dagegen, der Präventionsarbeit einen höheren Stellenwert einzuräumen, um die Jugendkriminalität dauerhaft zu bekämpfen. Gleichermaßen müssen Jugendlichen und Heranwachsenden eine bessere Bildung ermöglicht und Chancen eröffnet werden. Straftaten wie gefährliche Körperverletzung, um bei dem von Ihnen angeführten Beispiel zu bleiben, in Deutschland auszuschließen, ist allerdings so wünschenswert wie unrealistisch. Es gibt Maßnahmen zur Gewaltprävention sowie Instrumente der Strafverfolgung und zum Schutz der inneren Sicherheit, die im hohen Maße wirksam sind, jedoch wird es niemals gelingen, auszuschließen, dass Menschen anderen Menschen Gewalt antun.
Sie zitieren den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, zu „Problemvierteln“. Er weist darauf hin, dass oftmals in Bezirken, in denen viele Migranten leben, mangelnder Respekt vor der Autorität der Polizistinnen und Polizisten besteht. Er sagt aber auch: „Die Institution Polizei muss ihre Autorität zurückerobern, aber nicht nur dort, sondern auch in der deutschstämmigen Gesellschaft. Das geht nur, wenn die Politik ihr den Rücken stärkt. Wir wünschen uns auch, dass mehr junge Leute mit Migrationshintergrund sich für den Polizeiberuf entscheiden. Das sind die besten Botschafter der Werte, die wir vertreten.“
Das sehe ich ebenfalls so.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Edathy, MdB