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Frage von Christine G. •

Frage an Sebastian Edathy von Christine G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Edathy,

in der Sendung 1 gegen 1 auf Sat1, in der Sie am 28. März gegen Herrn Sarrazin angetreten sind, behaupten Sie, dass türkische Gastarbeiter in den 60er und 70er Jahren nach Deutschland gekommen sind, da sie von der deutschen Regierung angeworben wurden. (Sendeminute 12-13 bzw. 17-18). Hier unterliegen Sie einem weit verbreiteten Irrtum, was ich Ihnen auch nicht vorwerfe, da einschlägige Quellen lange unter Verschluss gehalten wurden.

Mittlerweile sind die Quellen des Auswärtigen Amtes für die 60 er und 70er Jahre frei verfügbar. Aus diesen Quellen geht hervor, dass die Bundesregierung Gastarbeiter aus der Türkei gerade nicht angeworben hat. Die zuständigen deutschen Ministerien unternahmen bewusst nicht die Initiative, um Arbeitskräfte aus der Türkei in die Bundesrepublik zu vermitteln. Vielmehr ging die Initiative von der Türkei aus, die auf eine Vereinbarung zur Vermittlung von Arbeitskräften drängte. Die Bundesregierung musste der Initiative der türkischen Militärregierung schließlich zustimmen, aber hier spielten außenpolitische Erwägungen die entscheidende Rolle wie die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO und der beabsichtigte Beitritt der Türkei in die EWG.

Es ist somit ein Irrtum, dass die Bundesrepublik türkische Gastarbeiter aus arbeitspolitischen Erwägungen angeworben hat.

Ich bitte Sie, sich die Zeit zu nehmen und die entsprechenden Textstellen hier nachzulesen:

Knortz, Heike: Diplomatische Tauschgeschäfte, Köln 2008, S. 8, S.80f. und insbesondere S.112ff.

Teile des Buches, leider nicht die entscheidenden, sind online einsehbar unter http://books.google.de/

Vgl. auch: http://de.wikipedia.org/

Werden Sie Ihre und die weit verbreitete historisch falsche Annahme, dass Deutschland türkische Gastarbeiter angeworben habe angesichts der hier dargestellten neuen Quellenlage revidieren und könnten Sie sich vorstellen, für eine Richtigstellung in der Öffentlichkeit einzutreten?

Mit freundlichen Grüßen
Chr. Gärtner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Gärtner,

vielen Dank für Ihre Frage. Für den Hinweis auf die Studie von Frau Knortz danke ich Ihnen ebenfalls. Ich mache dazu gerne einige Anmerkungen.

Fakt ist, dass in den 60er und 70er Jahren in Deutschland ausländische Arbeitskräfte als wesentlicher Motor des Aufschwungs dazu beigetragen haben, dass dieses Land wirtschaftlich nach vorne kam. Frau Knortz nennt in ihrer Studie sowohl vielfältige Gründe für die Interessen der Herkunftsländer, Fachkräfte nach Deutschland zu entsenden, als auch Deutschlands wirtschaftliche Interessen an den Handelsbeziehungen zu diesen Ländern. Dabei spielen sicher auch arbeitsmarktpolitische Gründe eine Rolle, denn dass es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erheblichen Mangel an Arbeitskräften gab, ist unbestritten. Konrad Adenauer wird auf Seite 34 der Studie entsprechend zitiert: "Angesichts nahezu erreichter Vollbeschäftigung und sogar drohenden Arbeitskräftemangels plante die Bundesregierung, durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und dadurch gleichzeitig auf künftige Lohnforderungen dämpfend zu wirken." Interesse an dem Einsatz von Kräften aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, Türkei, Jugoslawien, Marokko und Tunesien bestand somit auf beiden Seiten, und es kam zu entsprechenden bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und diesen Ländern.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB