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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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Frage von Eberhard S. •

Frage an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von Eberhard S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
herzlichen Dank dafür, dass Sie auf meine Frage am 06.03.2007 geantwortet haben. Die Abgeordneten der Oppostition im Bundestag sind nicht dafür da, die Regierung gegenüber dem Volk in Schutz zu nehmen, sondern vielmehr, die Regierung und die nachgeordneten Verwaltungen des Staates (z.B die DRV-Bund) auf ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze hin zu kontrollieren. Sie sind nicht nur aus Ihrer Zeit als Bundesministerin der Justitz von 92-96 als aufrechte Liberale und Rechtsstaatlerin bekannt. Umsomehr wundert es mich jedoch, dass Sie anstatt auf meine Frage einzugehen, auf die (nicht weniger wichtige, aber völlig andere) Thematik der Stasiopferrente ausgewichen sind. Sie waren seit 1990 in alle gesetzgeberischen Akte mit involviert. Den Eindruck, als wüßten Sie nicht, was gemeint ist, können Sie nicht erwecken wollen. Warum also weichen Sie aus? Soll ich daraus schließen, dass Sie mit der klammheimlichen Wegnahme bereits zugesagter Anwartschaften und deren Perpetuierung einverstanden sind? Ist es wirklich rechtens, dass Ostzonenflüchtlinge (mit C-Ausweis) nachträglich für die Abstimmung mit den Füßen bestraft werden obgleich der Grundsatz "nullum poena sine lege" auch für sie gilt? Glauben Sie, dass die Liberalen, die die letzte große Bürgerrechtspartei sind, so ihrem Nimbus gerecht werden, wenn deren Top- Repräsentanten wie z.B. Sie, auf eine klare Frage nicht eine dezidierte Antwort finden? Ich würde mich freuen, wenn Sie dieser Problematik dennoch zugewand blieben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Eberhard Sonntag

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Sonntag,

Übersiedler, d. h. Bürger der ehemaligen DDR, die vor dem 18. Mai 1990 in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, wurden bis 1992 rentenversicherungsrechtlich nach dem Fremdrentengesetz (FRG) behandelt, ab 1993 nach dem allgemeinen Rentenüberleitungsgesetz (RÜG), wodurch ihre Rentenanwartschaften teilweise sanken.

Nach dem Rentenüberleitungsgesetz vom 21. Juni 1991 galt für Übersiedler noch das FRG. Mit dem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993 wurde dann aber beschlossen, nur für die rentennahen Jahrgänge bis einschließlich 1936, diese Regelung beizubehalten. Für die jüngeren Jahrgänge wurde nun statt dem FRG das allgemeine RÜG angewandt. Im Ergebnis sanken dadurch für einige Anwartschaftsinhaber nach dem Fremdrentengesetz die Anwartschaften und damit ihre späteren Renten ab. Insbesondere für Frauen stiegen aber durch die neue Rechtslage die Renten an.

Die Anwartschaften sinken durch die neue Rechtslage teilweise, weil mit dem Fremdrentengesetz den Übersiedlern bis 1990 Entgeltpunkte vollumfänglich nach dem bundesdeutschen Rentensystem gutgeschrieben wurden. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz nach der Wiedervereinigung wurde dagegen als Maßstab zugrunde gelegt, wie viel in der ehemaligen DDR wirklich verdient und in die Sozialversicherung eingezahlt wurde und dann entsprechend dem Rentenüberleitungsgesetz diese Rentenansprüche auf gesamtdeutsches Niveau hochgerechnet.

In einer Gesamtabwägung erscheint mir die Forderung der Betroffenen nicht zwingend. Es ist letztlich eine Abwägungsentscheidung, ob man dem Bestandsschutz von gutgeschriebenen (und auch privilegierenden) Rentenanwartschaften nach dem FRG den Vorrang gibt, oder einer rentenrechtlich realistischeren Anspruchsberechnung, die aus einer Anwendung des RÜG folgt.

Für die Forderung der Betroffenen spricht:

- Politisch ist eine rückwirkende Maßnahme, die Betroffenen Ansprüche und Vermögenspositionen entzieht, auch wenn diese sehr begünstigend waren, immer unbefriedigend.

- Bei der Modifikation des Rentenüberleitungsgesetzes 1993 wurde die hier diskutierte Änderung von den Abgeordneten nicht vertieft diskutiert. Insofern hat die Regelung keine ausreichende politische Auseinandersetzung im Parlament erfahren.

Zumindest einige Übersiedler machten nicht von allen Rentenvorsorgemöglichkeiten der ehemaligen DDR Gebrauch, weil sie nicht damit rechneten, in der ehemaligen DDR eine Rente zu beziehen. Durch die realitätsnähere Rentenberechnung nach dem RÜG wirkt sich das negativ auf ihre Renten aus. In wie vielen Fällen und über welche Zeiträume allerdings dieser Verzicht auf Zusatzvorsorge in der ehemaligen DDR wirklich vorliegt, ist unklar.

Für die geltende Rechtslage spricht:

- Die Stichtags- und Vertrauensschutzregelung verstößt nicht gegen den Eigentumsschutz des Artikels 14 Grundgesetz, da die gutgeschriebenen Anwartschaften nach Fremdrentengesetz nicht dem Eigentumsschutz des Artikel 14 unterfallen, sondern die Höhe der Anwartschaften politisch festgelegt war. Das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht haben die Stichtags- und Vertrauensschutzregelung nicht beanstandet.

- Die Rentenberechnung nach dem FRG war ein politisches Hilfsmittel, da man die wirklichen wirtschaftlichen und rentenrechtlichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR nicht kannte. Die Rentenberechnung fiel großzügig aus, da man einfach je nach geleisteter Arbeit westdeutsche Rentenanwartschaften gutschrieb. Mit der Wiedervereinigung erlangte man aber genauere Kenntnisse über die tatsächlichen einkommens- und rechtenrechtlichen Verhältnisse. So konnte man eine realitätsnähere Bewertung der rentenrechtlichen Positionen der Betroffenen bestimmen. Daher entschied man sich 1993 nicht nur die Bürger in den neuen Bundesländern, sondern auch die Übersiedler aus der Zeit vor 1990, jedenfalls ab Jahrgang 1937, in das Rentenüberleitungsrecht einzubeziehen.

- Mit der Anwendung des RÜG soll für die Bürger der ehemaligen DDR ein möglichst weitgehend vereinheitlichtes Rentenüberleitungsrecht geschaffen werden und nicht über Jahrzehnte FRG und RÜG nebeneinander gelten.

- Die Übersiedler sind weiter privilegiert, da sie für ihre Anerkennung von in der DDR geleisteten Beitragszahlungen weiterhin Entgeltpunkt West (26,13) und nicht Entgeltpunkte Ost (22,97) gutgeschrieben bekommen.

- Insbesondere für die ehemals in der DDR berufstätgen Frauen ist nach Aussagen des Ministeriums das jetzt geltende Rentenrecht günstiger als die Anwendung des Fremdrentengesetzes. Nicht für alle Personengruppen würde die Anwendung des Fremdrentengesetzes daher Vorteile bringen.

- In Fällen, in denen jemand noch zu seinen Lebzeiten in der DDR aus dem Zusatzversorgungssystem „FZR“ heraus gezwungen wurde, kann er dies als Unrechtsmaßnahme über die Regelungen für berufliche Rehabilitierung geltend machen und Entschädigungen erhalten (Bis 31.12.2007 geltend zu machen).

- In Fällen, in denen jemand weitergehendes Unrecht erlitt, weil er einen Ausreiseantrag gestellt hatte, soll er durch das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz entschädigt werden.

- Trat jemand aus der FZR aus, weil er einen Übersiedlungsantrag gestellt hatte und deshalb nicht weiter in die FZR einzahlen wollte, nahm er damit bewusst in Kauf, dass er weniger Rentenpunkte erwarb und verzichtete auch zugleich noch während seines Aufenthaltes in der DDR auf soziale Absicherungen wie Krankheits- Mutterschafts- und Invaliditätsschutz.

- Eine einheitliche Lösung – Anwendung des FRG – ist nicht interessengerecht, denn es fordern ebenso viele Versicherte, nicht nach FRG, sondern RÜG behandelt zu werden

Nachträglich anzunehmen, die Menschen seien in der FZR versichert gewesen widerspricht den obigen Argumenten; eine Nachversicherung zum Stichtag 1990, die immer wieder gefordert wird, konnte es nicht geben, denn eine rückwirkende Nachversicherung gibt es nicht. Zudem ist meist nicht feststellbar, was die Versicherten in eine FZR gezahlt hätten.

Eine Anwendung des FRG wäre für die Betroffenen nachteilhaft: für Rentenzugänge nach 1996 werden Renten nach dem FRG (für Aussiedler) nur noch auf Sozialhilfeniveau gezahlt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung bestätigt. Dasselbe würde dann für die Übersiedler gelten.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger