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Patrick Döring
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Frage von Markus S. •

Frage an Patrick Döring von Markus S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Döring,

ich wende mich heute mit einer Frage an Sie, die einen großen Teil der politisch interessierten Bundesbürger beschäftigt:

Wie stehen Sie zu dem Entwurf des ESM Vertrages, welcher mit einem Startkapital von EUR 700 Milliarden, versehen mit der Möglichkeit der Nachforderung in beliebiger Höhe (also unbegrenzt), mit einer bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsverpflichtung im Wesentlichen durch die Bundesrepublik Deutschland (Zahlungsfrist: 7 Tage) ausgestaltet ist?

Der deutsche Haftungsanteil beträgt zunächst (vor unbegrenzter Nachforderungsmöglichkeit) ca. EUR 210 Milliarden. Hinzu kommt, dass Deutschlands Haftungsanteil um die Haftungssummen der jeweils ausfallenden Länder erhöht wird. Ein deutscher Bundeshaushalt hat ein Volumen von ca. EUR 310 Milliarden.

Auf die totale Immunität der Führung des ESM und seiner Angestellten möchte ich hier gar nicht im Detail eingehen. Für mich sind die Größenordnungen der Haftungssummen, die ja nach oben offen sind, schockierend genug.

Zwar handelt es sich hier zunächst um Eventualverbindlichkeiten, doch Sie haben sicher eine Vorstellung davon, dass Bürgschaften im Zweifel auch einzulösen sind.

Besteht ein Finanzierungsplan für diese gigantischen Zahlungsverpflichtungen, welche Steuern werden erhöht, welche Leistungen gesenkt um im ersten Schritt (!) EUR 210 Milliarden leisten zu können?

Sind Sie der Ansicht ein Mandat zu haben, für eine solche weit reichende Entscheidung, die auch künftige Generationen betrifft ?

Wie steht es mit rechtlichen Bedenken (No Bailout Klausel, Grundgesetz)?

Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Schneider

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Schneider,

Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben einiges zur ESM-Debatte klar zu stellen. Zunächst sollten sich alle, bei aller berechtigten Sorge, klar sein, dass der Vertrag zum ESM noch verhandelt wird und noch keine Details feststehen. Über die bereits feststehenden Eckpunkte gibt es aber einige Missverständnisse, die ich hier ausräumen möchte.
Am Donnerstag, den 28. September 2011 hat der deutsche Bundestag zunächst die Ausweitung des bisherigen Rettungsschirms EFSF beschlossen. Im Frühjahr 2012 soll dann in den nationalen Parlamenten darüber abgestimmt werden, ob der EFSF in den ESM umgewandelt, der europäische Stabilisierungsmechanismus zum Europäischen Stabilitätsmechanismus werden soll. Der ESM soll dann den EFSF 2013 ablösen. Der ESM wird ein Grundkapital von 80 Milliarden Euro, einzahlbar über fünf Jahre hinweg, haben. Darüber hinaus wird für 620 Milliarden Euro garantiert werden können. Das macht zusammen 700 Milliarden Euro mittels des ESM verfügbares Kapital. Deutschland wird für 22 Milliarden Euro Grundkapital und für bis zu 168 Milliarden verfügbares Kapital haften, also zusammengezählt 210 Milliarden. Von dem verfügbaren Gesamtkapital, den 700 Milliarden Euro werden aber „nur“ 500 Milliarden Euro benutzt werden können, damit der ESM „übersichert“ ist und die besten Ratings erhält.
Sie befürchten, dass diese Finanzhilfen nicht zurückgezahlt werden können. Seien Sie sich aber bitte bewusst, dass wir alle sicherstellen wollen, gerade durch diese Finanzhilfen, dass die betroffenen Staaten ihre Schulden zurückzahlen können. Jetzt schon über Maßnahmen nach einem Scheitern des ESM zu spekulieren, der erst in zwei Jahren in Kraft treten soll, noch nicht ausverhandelt und beschlossen ist, ist unseriös und trägt nicht zu einer nüchternen Beurteilung der gegenwärtigen Lage bei. Wir gehen davon aus, dass der ESM funktionieren wird.
Noch sind Portugal, Italien, Griechenland und Spanien nicht zahlungsunfähig und wir sollten in unserem eigenen Interesse weiter daran arbeiten, dass das nicht passiert. Unsere deutsche Wirtschaft ist massiv exportabhängig und würde von einer ungeordneten Pleite auch nur eines Landes durch den einsetzenden Dominoeffekt stark in Mitleidenschaft gezogen. Aber wir dürfen nicht einfach blind Geld in die betroffenen Länder pumpen. Das beseitigt das Kernproblem, die schlechte Haushaltspolitik nicht, sondern verschlimmert es nur. Die FDP wird dem ESM-Vertrag deshalb nur dann zustimmen, wenn die Vergabe von Finanzhilfen an klare Bedingungen geknüpft ist.
Erstens: Finanzhilfen dürfen nur gegeben werden, wenn der Deutsche Bundestag zustimmt und müssen in Europa einstimmig beschlossen werden. Das sichert die demokratische Legitimation und nationale Souveränität. Das Bundesverfassungsgericht sieht zwar bei den bisherigen Finanzhilfen die Haushaltsautonomie gewahrt - jeder künftigen Hilfe muss aber der Bundestag zustimmen. Der Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die sogenannte „No-Bailout-Klausel“ bleibt unangetastet.
Zweitens: Finanzhilfen dürfen nur gegeben werden, wenn das Empfängerland seinen Haushalt konsolidiert. Das verhindert, dass die Schulden ausufern und die Verantwortung jedes einzelnen Landes für seinen eigenen Haushalt versickert. SPD und Grüne, denen wir wegen ihrer Aufweichung des Wachstums- und Stabilitätspakts die Schuldenkrise zu verdanken haben, fordern europäische Staatsanleihen, sogenannte „Eurobonds“. Gemeinschaftliche Zinsen würden aber die Verantwortung für den eigenen Haushalt versickern lassen. Der Zinssozialismus, den die Opposition fordert, ist deshalb mit der FDP nicht zu machen. Die deutsche Regierung steht vor allem mit dieser Forderung, dass die nationale Haushaltsverantwortung gewahrt bleiben soll jedoch weitestgehend allein. Hier haben wir in Europa noch schwere Debatten vor uns.
Drittens: Wenn ein Land in einer Schuldenkrise seinen Haushalt nicht konsolidiert, dann bekommt es keine Finanzhilfen und muss insolvent gehen können. Damit alle Beteiligten gegen unkontrollierbare Dominoeffekte geschützt sind, muss ein Insolvenzrecht für Staaten geschaffen werden. Mit seinem „Resolvenzplan“ hat der Wirtschaftsminister und FDP-Vorsitzender Philip Rösler jüngst konkrete Vorschläge unterbreitet. Dass ein Insolvenzrecht für Staaten geschaffen werden soll, ist übrigens schon längst von Bundesregierung und Bundestag beschlossen. Die Vorwürfe von Opposition und Medien, die FDP sei populistisch und eurokritisch entbehrt jeglicher Grundlage.
Bei alledem muss klar sein: Die FDP ist für Europa. Die europäische Staatengemeinschaft ist eine urliberale Idee und muss bewahrt werden. Eine starke Gemeinschaft kann nur auf starken Einzelstaaten beruhen. Deshalb kämpfen wir als FDP für die strikte Einhaltung des Wachstums- und Stabilitätspakts. Unter Rot-Grün wurde gegen ihn verstoßen. Die heutige Schuldenkrise in Europa ist das Resultat aus der fatalen Politik von SPD und Grüne. Der ESM, wie wir ihn als FDP wollen, geht an die Lösung der Ursachen der Finanzierungskrise der betroffenen Staaten heran. Nur wenn einzelne Staaten stabil sind, ist die europäische Gemeinschaft und unsere gemeinschaftliche Währung, der Euro, stabil.
Der ESM soll ein Instrument bieten, das die geordnete Insolvenz von Staaten möglich macht. Wenn ein Land seine Gläubiger nicht mehr bezahlen kann, trifft das zuerst die Gläubiger und das sind vor allem Banken. Die Banken sind durch Geschäftsbeziehungen sehr stark voneinander abhängig. Wenn zum Beispiel Bank A ihr Geld nicht mehr bekommt, weil ein Land nicht mehr zahlt, dann kommen auch die Banken B, C und D in Schwierigkeiten, weil sie auf eine liquide Bank A angewiesen sind, auch wenn sie selbst keine Staatsanleihen besitzen. Die fatalen Auswirkungen einer Bankenpleite zeigte uns die Insolvenz von Lehman Brothers 2008. Der Dominoeffekt, der einsetzte, weil eine Bank nicht mehr ihre Verpflichtungen einhalten konnte und Vertrauen verlorenging, kostete die Welt laut einer Commerzbank-Studie 10,5 Billionen Dollar. Damit sich das nicht wiederholt, muss eine Staateninsolvenz geordnet von statten gehen, damit die Gläubiger ihrerseits nicht Insolvenz anmelden müssen. Durch den ESM wird es möglich sein, Banken, bei einem für sie kritischen Zahlungsausfall eines Staates, zu rekapitalisieren.
Wir müssen das Bankensystem vor dem Zusammenbruch retten. Das reale Lehrstück Lehman Brothers zeigt: Eine Bankenrettung wird uns weniger kosten als eine Bankenpleite. Das ist unpopulär, aber vernünftig. Wer auf Genugtuung hofft, wenn „die Banker“ ihren Job verlieren, der hat noch nicht realisiert, dass er seinen eigenen Arbeitsplatz, seinen eigenen Wohlstand, sein eigenes Haus, sein eigenes Erspartes, seine eigene Lebensversicherung verlieren wird. Dass die Banken durch den ESM rekapitalisiert werden können, ist eine reine Notmaßnahme. Außerdem überwindet der Steuerzahler die Krise nicht allein. Gläubiger müssen auf Forderungen gegenüber dem insolventen Staat verzichten, damit dieser Staat sich wieder aufrichten und wieder solvent werden kann. Diese Krise ist nur gemeinsam zu bewältigen.
Und Notlösungen zu akzeptieren heißt nicht, die Ursachen dieser Notsituation hinzunehmen. Wir brauchen nicht nur eine Feuerwehr wenn es brennt, sondern auch Brandschutzrichtlinien, um Bränden vorzubeugen. Dafür müssen wir fragen, warum es jetzt brennt. Wie konnte es dazu kommen, dass einzelne Akteure, Staaten oder Banken solche Risiken eingehen konnten? Und wie konnte es dazu kommen, dass der Ruin dieser Akteure so unabsehbare Ausmaße annähme, dass wir den Ruin der Verantwortlichen abwenden müssen?
Wesentliche Teile dieser Fehlentwicklung muss die Politik verantworten. In der Sozialen Marktwirtschaft hat der Staat eigentlich die Aufgabe durch gute Ordnungspolitik die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass jeder Einzelne sich in dieser Gesellschaft entfalten und durch seine Leistung sich selbst und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit voranbringen konnte. Dieser Leitgedanke einer liberalen Ordnungspolitik stellt den Einzelnen in den Mittelpunkt. Er geriet in den vergangenen Jahrzehnten jedoch immer mehr in Vergessenheit. In der Folge degenerierte der Staat vom unabhängigen Hüter einer freiheitlichen Ordnung zum Spielball der Interessen. Wir erlebten, dass die Wirtschaft immer stärker politisiert und die Politik immer stärker ökonomisiert wurde. Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie für den Euro noch von der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankert worden waren, wurden aufgeweicht und vergessen. Man hat die Notwendigkeit einer neuen Ordnungspolitik in Zeiten globalisierter Wirtschafts- und Finanzbeziehungen nicht mehr erkannt. Das Ergebnis sind Wildwuchs und eine Vermachtung von Marktstrukturen, die einzelne Akteure in die Lage versetzten, massive Risiken auf Kosten der Gesellschaft einzugehen.
Wir Liberale wollen und müssen dem Prinzip der Fairness und Leistungsgerechtigkeit wieder zum Durchbruch verhelfen. Wir müssen uns auf die Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft rückbesinnen. In der Sozialen Marktwirtschaft nutzt es dem Einzelnen, wenn er mehr leistet – der Einzelne haftet aber auch für die Risiken, die er auf seinem Weg eingeht. Dieses Prinzip wurde in Deutschland und Europa allzu oft außer Kraft gesetzt.
Wir wollen ein gemeinsames Europa und wir stehen zum Euro. Wir müssen aber, wenn wir retten, aber auch wenn wir die Europäische Union mittel- und langfristig weiterentwickeln und vertiefen, zwei Ziele besonders verfolgen: Die Politik der Mitgliedstaaten muss selbstverantwortlich und berechenbar sein. Dazu brauchen wir einen neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Erste Schritte in diese Richtung sind getan, seit das Europäische Parlament unlängst das sogenannte „Six Pack“ verabschiedet hat. Weitere Beschlüsse müssen und werden folgen. Die FDP bringt sich in diese Debatte derzeit mit Nachdruck ein: Philip Rösler schlägt mit seinem bereits erwähnten „Resolvenzplan“ Verfahren zur geordneten Insolvenz von Euro-Staaten und Konzepte für Kontroll- und Sanktionsmechanismen zur Durchsetzung der vereinbarten Stabilitätskriterien vor.
Aber nicht nur bei den Staaten Europas, auch auf den Finanzmärkten müssen und werden wir für eine neue Kultur der Verantwortung sorgen. Gerade für die Finanzmärkte brauchen wir eine Ordnungspolitik des 21. Jahrhunderts. Das ist ein dickes Brett, das wir nicht im nationalen Alleingang bohren können. Aber wenn wir nicht den Anstoß geben, dann wird es keiner tun. Mit dem Restrukturierungsgesetz für deutsche Banken, einer Bankenabgabe zur Finanzierung zukünftiger Krisen und dem frühzeitigen Verbot von Leerverkäufen hat die christlich-liberale Bundesregierung hier erste wichtige Schritte unternommen. Deutschland ist deshalb bereits besser aufgestellt als viele unserer europäischen Nachbarn. Vieles bleibt aber noch zu tun. Wir arbeiten an einer umfassenden Reform der Finanzaufsicht und engagieren uns für europaweite Regeln und Aufsichtsstrukturen.
Weiterhin zweifeln Sie, ob die Immunität für Angestellte des ESM gerechtfertigt ist. Zunächst ist festzuhalten, dass sie nicht „totale Immunität“ genießen, so wie Sie es formulieren. Die Bediensteten des ESM werden mit komplexen rechtlichen Vorgängen zu tun haben. Sie werden Immunität nur im Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit genießen. Die ESM-Spitze wird darüber hinausgehend weiterreichende Immunitäten genießen, damit sichergestellt ist, dass sie, ungehindert von einem partikularem nationalen Interesse, ihrer Arbeit nachgehen können. Diese Regelung ist normal bei internationalen Finanzorganisationen. Sie gewährleistet, dass die Organisation unabhängig funktionieren kann.
Gerne antworte ich auf Ihre Bedenken und Anregungen.
Mit herzlichen Grüßen,

Patrick Döring, MdB