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Frage von Matthias R. •

Frage an Martina Bunge von Matthias R. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Dr. Bunge,

welche Maßnahmen sind im Gesundheitswesen zu treffen, um die solidarische Beteiligung der gesamten Bevölkerung zu erreichen (Einnahmenseite)?

Welche Maßnahmen sind im Gesundheitswesen zu treffen, um das vorhandene Budget effizient (notwendiges soll finanziert werden, unnötiges nicht) einzusetzen (Ausgabenseite)?

Halten Sie das Gesundheitswesen für unterfinanziert, zu teuer, oder stehen genug Mittel zur Verfügung?

Sind Sie der Meinung, dass generell Gesetze und Maßnahmen nur dann sinnvoll sind, wenn die Beteiligten und die Behörden die tatsächlichen Vorgänge überprüfen und kontrollieren können?

Halten Sie das derzeitige Gesundheitswesen für genügend kostentransparent?

Wieviel Mittel versickern durch Mißbrauch oder einfach durch Ineffizienz oder Bürokratie im System? Gibt es darüber Vorstellungen oder Schätzungen im Ausschuss?

Könnte nicht der Patient, der am ehesten weiß,welche Leistungen er wirklich erhalten hat, Abrechnungen von Ärzten und Krankenhäusern kontrollieren?

Sollten nicht die Krankenkassen kontrollieren können, ob bestimmte Behandlungs- und Untersuchungsformen für bestimmte Symptome von der Solidaritätsgemeinschaft mitgetragen werden können?

Sollten die Apotheker nicht das günstigste Medikament mit dem verschriebenem Wirkstoff zum Wohle des Patienten suchen können?

Halten Sie es für überlegenswert, Versicherte mit einem Selbstbehalt (gedeckelt prozentual zum Einkommen) und an eventuellen Beitragsrückerstattungen bei Nichtinanspruchnahme der Krankenversicherung für die Kontrolle der Kosten und der Verminderung der Bürokratie zu interessieren?

Wie soll der Wettbewerb bei Kassen, Ärzten und Apotheken funktionieren?

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Radlinger

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Radlinger,

hier meine Antworten auf Ihre Fragen:

Welche Maßnahmen sind im Gesundheitswesen zu treffen, um die solidarische Beteiligung der gesamten Bevölkerung zu erreichen (Einnahmenseite)?

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat in ihren Eckpunkten für eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung die Kernpunkte beschrieben. Es geht darum, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ergiebiger und gerechter zu machen sowie den versicherten Personenkreis und die Einnahmebasis auszuweiten. Die paritätische Beteiligung der Arbeitgeber ist zu erhalten bzw. wieder herzustellen. So könnten wir gesamtgesellschaftliche Solidarität auf einer stabilen Finanzierungsbasis erreichen.

Welche Maßnahmen sind im Gesundheitswesen zu treffen, um das vorhandene Budget effizient (notwendiges soll finanziert werden, unnötiges nicht) einzusetzen (Ausgabenseite)?

Im deutschen Gesundheitssystem wird durchaus oftmals zu wenig, zu viel oder falsch behandelt. Die Ursachen für die bestehenden Probleme liegen in falschen finanziellen Anreizstrukturen, fehlender Integration der Versorgungssektoren, unzureichender Qualitätssicherung, mangelhafter Prävention sowie Intransparenz. Zudem ist das Krankenversicherungssystem insgesamt nicht ausreichend in der Lage, die Anbieterdominanz von Pharmakonzernen, Krankenhäusern und Ärzten zurückzudrängen. Hier muss unbedingt etwas verändert werden.

Halten Sie das Gesundheitswesen für unterfinanziert, zu teuer, oder stehen genug Mittel zur Verfügung?

Wir müssen umschwenken von einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik hin zu einer
aufgabenorientierten Ausgabenpolitik. Die Aufgabenbestimmung ist der erste, die Finanzierung der zweite Schritt. Die derzeitige politische Debatte läuft umgekehrt und zeigt damit ihre Unzulänglichkeit. Wir stellen der lohnnebenkostenfixierten Rationierungspolitik der Bundesregierung unser Konzept einer Solidarischen Bürgerversicherung entgegen.

Sind Sie der Meinung, dass generell Gesetze und Maßnahmen nur dann sinnvoll sind, wenn die Beteiligten und die Behörden die tatsächlichen Vorgänge überprüfen und kontrollieren können?

Nein, gerade die Schwachen der Gesellschaft brauchen zur Wahrung ihrer Rechte klaren gesetzlichen Schutz, auch wenn nicht jede/r jeden Schritt immer kontrollieren kann. Allerdings sollten Gesetze unter breiter Beteiligung der betroffenen Verbände entstehen, und in ihrer Konsequenz selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen.
Auf das Gesundheitssystem bezogen resultiert die Notwendigkeit zur Überprüfung und Kontrolle nicht zuletzt daraus, dass dort die falschen ökonomischen Anreizstrukturen gesetzt sind. Eine veränderte Weichenstellung kann hier mehr verbessern helfen als die Ausweitung eines Kontrollsystems. Statt Misstrauen und Kontrolle sollte ein Rahmen für Zusammenwirken und Vertrauen gesetzt werden.

Halten Sie das derzeitige Gesundheitswesen für genügend kostentransparent?

Sicherlich nicht für die Bürgerinnen und Bürger, sei es als Versicherte oder als Patientin bzw. Patient. Doch auch für Ärztinnen und Ärzte ist dieses System oft nicht mehr durchschaubar, und uns Politikerinnen und Politikern fällt es oft schwer, sich hier den nötigen Durchblick zu verschaffen.

Wieviel Mittel versickern durch Mißbrauch oder einfach durch Ineffizienz oder Bürokratie im System? Gibt es darüber Vorstellungen oder Schätzungen im Ausschuss?

Im Ausschuss für Gesundheit ist dies im letzten Jahr nicht explizit beraten worden. Eigene Berechnungen haben wir nicht. Ich schließe mich den Schätzungen an, dass durch unzweckmäßige Leistungen um die 10 Milliarden Euro erschlossen werden könnten.

Könnte nicht der Patient, der am ehesten weiß, welche Leistungen er wirklich erhalten hat, Abrechnungen von Ärzten und Krankenhäusern kontrollieren?

Die Ärzteschaft begrüßt überwiegend den Vorschlag, vom bisher geltenden Sachleistungsprinzip umzustellen auf eine Kostenerstattung, bei der die Patientinnen und Patienten nach der Behandlung oder Untersuchung eine detaillierte Rechnung bekommen und zu begleichen haben. In diesem Fall hätten zwar die Patientinnen und Patienten den genauen Überblick über das, was sie direkt in der Arztpraxis an Leistungen erhalten und zu bezahlen haben, unsicher bleibt jedoch, ob sie ihre Auslagen auch von der Kasse nachträglich erstattet bekommen. Einer kranken und notleidenden Person kann nämlich schnell noch die eine oder andere Zusatzleistung „empfohlen“ und verordnet werden, die aber nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten ist und deren Kosten daher gänzlich von den Erkrankten selbst zu tragen ist. Wenn diese Form der Kontrolle von Arzt-Abrechnungen durch die Patientinnen und Patienten umgesetzt würde, ist also eine weitere Kostenverschiebung zuungunsten der kranken Versicherten zu befürchten. Darum setze ich mich für den Erhalt des Sachleistungsprinzips ein. Sicherlich wünschenswert ist allerdings auch eine größere Transparenz über das Kosten- und Leistungsgeschehen. Patientinnen und Patienten brauchen einen besseren Überblick über das, was in Arztpraxen und Kliniken mit ihnen geschieht. Dies fördert auch den Heilungsprozess und verbessert den gesundheitlichen Zustand. Die geplante elektronische Gesundheitskarte wird zu dieser Transparenz allerdings nicht ausreichend beitragen.

Sollten nicht die Krankenkassen kontrollieren können, ob bestimmte
Behandlungs- und Untersuchungsformen für bestimmte Symptome von der Solidaritätsgemeinschaft mitgetragen werden können?

Die genaue Ausformulierung des Leistungskatalogs obliegt derzeit dem „Gemeinsamen Bundesausschuss“, dem höchsten Gremium der Selbstverwaltungsorgane, also der Spitzenverbände der Krankenkassen und der (Zahn-)Ärzteschaft sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Hier treffen also Kostenträger und Leistungserbringer einvernehmlich die zentralen Weichenstellungen. Dies erscheint mir auch eine sinnvolle Lösung. Die Patientinnen und Patienten sind seit 3 Jahren, wenn auch derzeit noch nicht ausreichend, beteiligt. Hier ist sicherlich noch Änderungsbedarf gegeben.

Sollten die Apotheker nicht das günstigste Medikament mit dem verschriebenem Wirkstoff zum Wohle des Patienten suchen können?

Den Patientinnen und Patienten hilft es in der Tat nicht, dass ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte eine Menge an Zeit für diese Fragen aufwenden müssen, in der sie sich besser den Kranken widmen könnten. Denn das ist ihre zentrale Kompetenz, nicht jedoch Spezialistentum für die diversen Rabattverträge zwischen den Pharmaunternehmen, Kassen und Apotheken und für unterschiedlichste Festbetragsgruppen für Generika oder patentgeschützte Medikamente. Zudem besteht seit der Einführung der Bonus-Malus-Regelung im letzten Jahr der nicht unbegründete Verdacht, dass die Patientinnen und Patienten nicht immer das benötigte Medikament verordnet bekommen, sondern ein solches, das sich für die Arztpraxis wirtschaftlich rechnet. Die Arzneimittelhersteller könnten auch Jahr für Jahr Milliarden einsparen, wenn sie nicht mehr Heerscharen von Vertretern in die Arztpraxen schickten. Eine Positivliste wäre für all die Probleme die eleganteste Regelung.

Halten Sie es für überlegenswert, Versicherte mit einem Selbstbehalt (gedeckelt prozentual zum Einkommen) und an eventuellen Beitragsrückerstattungen bei Nichtinanspruchnahme der Krankenversicherung für die Kontrolle der Kosten und der Verminderung der Bürokratie zu interessieren?

Wahltarife in der GKV widersprechen dem Grundprinzip des Sozialsystems und heizen die Risikoselektion weiter an. Der im Entwurf der Gesundheitsreform geplante Selbstbehalttarif kommt jedoch nur für solche Menschen in Frage, die davon ausgehen können, Gesundheitsdienstleistungen kaum oder gar nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Solche Tarife rechnen sich also nur für junge und gesunde Versicherte und sind daher in ihrer Wirkung entsolidarisierend. Da chronisch Kranke nicht die geringste Chance haben, durch Nichtinanspruchnahme eine Prämie zu erhalten, wirkt dieser Vorschlag sozial diskriminierend. Darüber hinaus werden durch eine Beitragsrückerstattung dringend benötigte Mittel aus dem System heraus genommen. Des Weiteren sei auf die besondere Problematik der Unterdeckung hingewiesen, wenn Patienten nicht in der Lage sind, den entsprechenden Selbstbehalt im Krankheitsfall zu finanzieren.

Wie soll der Wettbewerb bei Kassen, Ärzten und Apotheken funktionieren?

Ein Wettbewerb, der nur Kostensenkung und ggf. Einnahme- und Profitsteigerung zur Maxime hat, wirkt sich auf die kranken Versicherten durchweg negativ aus und ist daher entschieden abzulehnen. Im Mittelpunkt des Gesundheitssystems müssen immer die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem gesundheitlichen Bedarf stehen. Daran müssen sich die Kostenträger und die Leistungsanbieter orientieren. Wettbewerb im Gesundheitssystem kann alleinig Wettbewerb um die beste Qualität der Behandlung bedeuten, aber nicht – wie durch die geplante Gesundheitsreform zwangsläufig erfolgen müsste – das Anlocken gutverdienender und möglichst gesunder Versicherter und die Ausrichtung an deren Interessen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Martina Bunge