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Frage von Isolde W. •

Frage an Martin Güll von Isolde W. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Güll,
was halten Sie als Praktiker im Bildungswesen von einem Schulmodell wie z.B. der Laborschule Bielefeld? Wie könnte man im Schulsystem individuellere Betreuung für Schüler unterschiedlicher Begabungen erreichen, ohne die Kinder schon nach der 4. Klasse zu trennen? Inzwischen hat bereits ein Großteil der Grundschulkinder regelmäßige Nachhilfe; das kann doch nicht der Sinn der Sache sein? Und wie könnte man die Elternarbeit an den Schulen verbessern? Ich ärgere mich z.B. immer wieder, weil an den Schulen meiner 3 Kinder (Realschule und Gymnasium Lkr. Dachau) es kaum möglich ist, am Nachmittag oder Abend einen Gesprächstermin zu erhalten. Für die berufstätigen Eltern in Bayern wäre es sicher eine Erleichterung, wenn die Lehrer z.B. 1x/ Monat einen Abendtermin anbieten würden.
Mit freundlichen Grüßen
Isolde Wuschek

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Sehr geehrte Frau Wuschek,

von allen Reformschulen können wir auch im staatlichen Schulwesen viel lernen, so natürlich auch von der Bielefelder Laborschule oder der Helene-Lange-Schule, die von der der legendären Schulleiterin Enja Riegel in eine integrierte Gesamtschule mit reformpädagogischem Profil umgewandelt wurde. Das imponiert mir sehr. Aber wir sind in Bayern meilenweit von diesen innovativen Schulkonzepten, in denen gefördert und nicht ausgegrenzt wird, weg.

Ich setze in einem ersten Schritt auf Schulkonzepte wie das der Bodenseeschule in Friedrichshafen, übrigens einer kirchlichen, aber staatlich anerkannten Schule mit besten Pisa-Ergebnissen. Nach diesem Konzept könnte man in Bayern sofort und ohne großen Mehraufwand leistungsfähige und schülergerechte Ganztagsschulen in allen Schularten einrichten. Ich habe den in Fachkreisen sehr bekannten und geschätzten Schulleiter dieser Schule, Rektor a.d. Alfred Hinz, an meine Schule eingeladen und mir Tipps geholt, wie man eine richtige Ganztagssschule aufbauen muss. Seine Kernaussage war: Man muss das Rad nicht neu erfinden. Es ist alles gedacht, man muss es nur einfach tun. Und das würde ich auch als Mitglied des Landtags sofort tun und regional angepasste Schulen nach diesen oder ähnlichen Konzepten einrichten, die die bayerische Schullandschaft entscheidend verändern, aber nicht gleich umhauen würde.

Wie man individuelle Förderung praktisch umsetzen kann, lässt sich beispielsweise auch in der genannten Bodenseeschule oder an dem mit dem deutschen Schulpreis ausgestatteten Marbacher Gymnasium lebendig erleben. Genau bei der individuellen Förderung muss das Umdenken an allen Schulen, insbesondere auch an den Gymnasien einsetzen, wie das das Marbacher Gymnasium sehr eindrucksvoll vormacht. Dieses Gymnasium versteht sich in erster Linie als "Förderschule". Schulleitung und Lehrerkollegium haben ein ausgeklügeltes System der Diagnose und Therapie von Lernschwierigkeiten entwickelt. Die Fülle an Förderangeboten und ihre engmaschige Staffelung ist beeindruckend. So soll garantiert werden, dass schwache Schüler nicht den Anschluss verpassen - und starke über sich hinauswachsen können.

Die größte Baustelle im bayerischen Schulsystem ist der unmenschliche Leistungsdruck in der Grundschule. Nicht für alle Kinder, Gott sei Dank, aber für immer mehr. Die Zunahme des Nachhilfeunterrichts und der Teilleistungsstörungen wie LRS und AD(H)S sprechen eine deutliche Sprache. In meinem Schulkonzept ist als erste Maßnahme die Ausweitung der Grundschulzeit bis maximal zur 6. Klasse bei gleichzeitigem Abschaffen des Übertrittszeugnisses enthalten. Wichtig dabei: Die Kinder bleiben in ihrer Heimatschule, also z.B. in Petershausen und sie gehen an weiterführende Schulen, wenn sie dazu fähig und bereit sind, also zwischen der 4. und 6. Klasse. In diesem Übertrittskorridor werden sie individuell gefördert, damit sie zu ihrer bestmöglichen Leistungsfähigkeit kommen, aber nicht im Nachhilfeinstitut, sondern in der Schule. Und weil natürlich in einem gegliederten Schulsystem, das man ja über Nacht nicht abschaffen kann, nicht jeder auf ein Gymnasium gehen kann, habe ich in meinem Konzept neben der Realschule eine für Eltern und Kinder akzeptable Alternative entworfen: die berufliche Mittelschule (Arbeitstitel) oder Profilschule. Wesentliches Merkmal: Jeder Jugendliche kann die mittlere Reife oder auch nur Teile davon in seinem Begabungsspektrum machen, die Schule ist frei wählbar und wird ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der individuellen Förderung, also Lernen nach Bildungsstandards und Modulen in Kleingruppen geführt. So kann wohnortnah ein Maximum an schulischer Bildung und Berufsvorbereitung erreicht werden.

Ihre Überlegungen zur Elternarbeit teile ich uneingeschränkt. Für mich persönlich als Schulleiter ist es selbstverständlich, dass ich zuerst die Eltern frage, wann sie Zeit für ein Gespräch haben. Ich kenne viele Lehrer, die Gespräche nach Vereinbarung auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten führen oder sogar Hausbesuche machen, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Die Zeit, wo Eltern in die Schule zitiert wurden, muss vorbei sein. Eltern sind Partner der Schule und nur so kann man zum Wohle der Kinder arbeiten.

Vielen Dank für Ihre interessanten Fragen.

Herzliche Grüße nach Petershausen

Martin Güll