Portrait von Lothar Binding
Lothar Binding
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Lothar Binding zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Jörg L. •

Frage an Lothar Binding von Jörg L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Bindung,

könnte man bzw. der Gesetzgeber nicht durch eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze sowie gleichzeitige massive Abschmelzung der steuerlichen bzw. abgabentechnischen Progression, nicht viel
mehr Leistungen - und Innovationen fördern und damit volkswirtschaftlich wichtige Effekte erzielen ?

Für Ihre Antwort vielen Dank im Voraus.

MfG
Jörg L. aus München

Portrait von Lothar Binding
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Lindeholz,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen ein wichtiges und gleichsam komplexes Thema an. Zwei Vorbemerkungen:

· Von „steuerlicher bzw. abgabentechnischer Progression“ möchte ich nicht sprechen, weil zwar unser Einkommensteuersystem progressiv, unser Abgabensystem aber im Gegenteil regressiv wirkt.

· Im Sinne Ihrer Frage scheint es mir sinnvoll nicht nur die Beitragsbemessungsgrenze sondern auch an die Pflichtversicherungsgrenze zu denken.

Ich möchte zunächst den Begriff Steuergerechtigkeit ein wenig illustrieren um den von Ihnen benutzten Begriff „Progession“ zu beleuchten: Zunächst gehe es um Ihr persönliches Einkommen. Stellen Sie sich vor Sie säßen ein einem Vortragssaal.

Im Raum sitzen drei Einkommenskategorien. Ganz hinten werden 10 Euro verdient, in der Mitte werden 100 Euro verdient, in den vorderen Reihen natürlich 1.000 Euro.

Nun einige „gerechte“ Modelle:

1. Jeder gibt 10 % Steuern an die Gemeinschaft. 10 % für alle klingt doch gerecht… anderseits wird hinten nur ein Euro Steuern bezahlt, in den Mitte werden 10 Euro und vorne sogar 100 Euro bezahlt. Einer zahlt 100mal so viel wie ein anderer?
2. Jeder bezahlt 10 Euro Steuern - das ist dann wirklich das gleiche für alle. Dann haben die hinteren Reihen zwar Pech gehabt, aber das ist der Preis der Gerechtigkeit - die in den hinteren Reihen müssen sich eben mehr anstrengen.
3. Jedem bleibt gleich viel. Auch wenn das „steuerpolitisch nicht korrekt“ ist, fragen wir, was bleibt: Wenn in den hinteren Reihen 9 Euro zum Leben genügen, genügen 9 Euro auch in der Mitte und natürlich auch in den vorderen Reihen. Aber dann geben die hinten ja nur einen Euro und die vorne 999 mal so viel ab…
4. Jeder gibt 100 Euro ab, also wieder jeder den gleichen Betrag. Die vorderen Reihen kommen damit zurecht - das sollten die mittleren Reihen und die hinteren doch auch schaffen.
5. Jeder gibt einen Euro ab. Das ist zwar einerseits wirklich das Gleiche für jeden, andererseits bleiben Ihnen in den hinteren Reihen 9 Euro übrig, denen in der Mitte 99 Euro und den Vorderen sogar 999 Euro.

Diese Modelle lehnen wir, die SPD-Fraktion, aber ab. Wir halten es für gerecht, der hinteren Reihe das Existenminimum zu belassen - sie bezahlen keine Steuern-, in der Mitte 10 % Steuern zu verlangen und in den vorderen Reihen im Regelfall weniger als 50 %. Wir empfinden die Progression in der Steuer als gerecht. „Jeder gibt gleich viel…“ ist also die falsche Formel. Deshalb sind wir auch gegen die ungerechte „flat tax“. Wir wollen nach der Leistungsfägigkeit besteuern. Wer mehr hat, soll nicht nur einen höheren Betrag - nein, er soll auch eine höheren Prozentsatz an die Gemeinschaft abgeben. Das nennen wir Progression.

Ein Gedanke wie Steuern- und Abgabensystem zusammenwirken:

Viele Menschen sagen „Steuern“, meinen aber „Steuern und Abgaben“. So erklärt es sich auch, das oft sogar von Bürgern über hohe „Steuern“ geklagt wird, die überhaupt keine Steuern bezahlen. Dies kommt sicher auch daher, dass die Abgaben hinsichtlich unseres Gerechtigkeitsempfindens besonders heimtückisch wirken.

Unser Abgabensystem wirkt nämlich regressiv: dabei bezahlen alle bis zu einem bestimmten Einkommen, der Beitragsbemessungsgrenze, den gleichen Betrag. Wer ein höheres Einkommen als die Pflichversicherungsgrenze hat, zahlt in das gesetzliche System nichts ein. Im Ergebnis bezahlt jemand mit niedrigem Einkommen prozentual viel mehr von seinem Einkommen als jemand mit höheren Einkommen. Das kommt wie gesagt einerseits durch die Beitragsbemessungs- bzw. Pflichtversicherungsgrenze, andererseits durch die lineare Abgabenfunktion (Konstanzfunktion) bei den Sozial­abgaben. So wie wir die Progression in der Einkommensteuer gerecht finden, so empfinden wir die Regressionswirkung bei den Abgaben als ungerecht.

In Kombination von Steuer- und Abgabensystem wirkt also jede Steuersenkung unge­recht, weil sie hohe Einkommen stärker entlastet als niedrige und die Regressions­wirkung bei den Abgaben relativ zunimmt. Jede Beitragssenkung bei den Sozialabgaben würde die schwachen Einkommen stärker entlasten als die hohen Einkommen - leider ist die Hoffnung auf sinkende Abgaben, bezogen auf die Altersvorsorge, die Pflege und das Krankenversicherungsystem eher gering.

Zusammenfassend ist zu sehen, dass es gut ist Steuern und Abgaben getrennt zu betrachten.

Ihr Vorschlag zur „Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze“ würde natürlich die Einnahmeseite der Sozialversicherungen stärken, weil dann alle unterhalb der Pflichtversicherungsgrenze nicht nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze, sondern mit ihrem Einkommen bis zur Pflichtversicherungsgrenze beteiligt würden. Diese Überlegung geht in gleiche Richtung wie der Vorschlag der SPD zur Bürgerversicherung.

Ihr zweiter Vorschlag „Abschmelzung der steuerlichen bzw. abgabentechnischen Progression“- verstanden als Senkung der Abgaben und Steuern - würde die Sozialversicherungen schwächen und es wäre zu erklären, welche Leistungen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung künftig nicht mehr übernehmen. Die Senkung der Steuern kann „Leistungen - und Innovationen fördern“, wenn der dann privat verfügbare zusätzliche Teil von Einkommen oder Gewinn nicht nur in den Konsum fließen. Andererseits muss dann natürlich der Staat seine Ausgaben weiter drosseln und würde die Nachfrage schwächen, vielleicht auch seine Aufgaben nicht mehr vollständig leiten können.

Deshalb haben wir viele andere Vorschläge gemacht, um Ihre Ziele: „mehr Leistungen - und Innovationen fördern und damit volkswirtschaftlich wichtige Effekte erzielen“ zu erreichen. Dafür möchte ich Sie auf das Programm der SPD verweisen, Sie finden es unter:

http://www.spd.de/linkableblob/96686/data/20130415_regierungsprogramm_2013_2017.pdf

Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort weiter.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Lothar Binding