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Frage von Andreas H. •

Frage an Lars Lindemann von Andreas H. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Lindemann,

ich bin, wie viele andere gesetzlich Krankenversicherte (vermutlich Millionen) gezungen, obwohl ich völlig gesund bin, 1 x im Quartal den Arzt aufzusuchen, nur um mir ein Rezept ausstellen zu lassen.
Sie sollten einmal die Frage stellen, wieviel Personen in Deutschland auf Dauermedikamention angewiesen sind (hier z.B. Schilddrüsenhormone, wird lebenslang eingenommen).
Das Rezept gilt nur für das Quartal, die größtmögliche verschreibungsplichtige Packung enthält nur die Ration für ein Quartal und kostet wenige Euro.

In Nachbarländern gelten die Rezepte für Mehrfachnutzung bis zu 2 Jahre!!

Da es unwahrscheinlich ist, dass dieses sowohl der KV, den Kassen und der Politik nicht bekannt ist, scheint es doch wohl ein Interesse zu geben, möglichst viele Arztbesuche pro Quartal in Deutschland zu haben.

Es würde mich interessieren, welche Interessen dahinter stecken !

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Heyden

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Heyden,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12. Dezember 2011!

Der von Ihnen beschriebene Sachverhalt stellt in der Tat einen Mißstand dar, an dem sich ein grundsätzliches Problem der Bürokratie im deutschen Gesundheitssystem zeigt. Die Verordnung von Arzneimitteln inklusive der Verordnungsintervalle sollte sich eigentlich nur nach einem Kriterium richten: dem was medizinisch sinnvoll ist. Darüber sollten sich eigentlich Patient und Arzt verständigen. Krankenkassenvorschriften sollten darauf keinen Einfluß nehmen, tun dies aber leider in zunehmendem Maß.

Sie schreiben in Ihrer Frage, daß Sie trotz völliger Gesundheit einmal im Quartal den Arzt aufsuchen müßten, um sich ein Schilddrüsenhormon verordnen zu lassen. Nun produziert die Schilddrüse völlig gesunder Menschen eigentlich ausreichend Schilddrüsenhormone, so daß die Zuführung als Medikament bei völlig Gesunden nicht nötig ist. Bei Patienten mit Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) kann sich die Aktivität der Schilddrüse je nach Krankheitsursache im Laufe der Erkrankung verändern. Deshalb wird oft eine Anpassung der Dosis von L-Thyroxin nötig. Eine langfristige Fehldosierung mit Schilddrüsenhormonen kann sehr gefährlich sein. Deshalb sind regelmäßige ärztliche Kontrollen eigentlich im Sinne des Patienten und medizinisch geboten.

Recht haben Sie allerdings in der Frage der Untersuchungs- und Verordnungsintervalle. Diese sollten eigentlich nicht festgelegt sein durch die Organisation der Abrechnung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen, also sachfremde Kriterien. Diese Intervalle sollten vom Arzt gemeinsam mit seinem Patienten nach medizinischen Erfordernissen festgelegt werden. So kann es je nach Erkrankung zum Beispiel am Anfang sinnvoll sein, einen Patienten in kurzen Intervallen zu untersuchen und nur geringe Mengen eines Medikamentes in einer bestimmten Dosis zu verordnen, während es bei einem seit Jahren bekannten Patienten mit hochstabilem Zustand sinnvoll sein kann, deutlich längere Intervalle zu vereinbaren und das Medikament langfristig zu verordnen.

Das dies nur sehr begrenzt möglich ist, ist ein typisches Beispiel für die Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit durch die Krankenkassenbürokratie, unter der am Ende vor allem der Patient leidet.

Deshalb setze ich mich für die Wiederherstellung der Therapiefreiheit ein. Nur größtmögliche Therapiefreiheit führt zu den bestmöglichen Ergebnissen und zur Anpassung der Therapie an den individuellen Patienten. Die Tatsache, daß jeder Patient anders ist und ärztliches Handeln sich dem individuellen Patienten und seinen Erfordernissen anpassen können sollte, erfordert eben auch die rechtliche Freiheit des Arztes, sich den Bedürfnissen seiner einzelnen Patienten individuell anzupassen. Aber diese Freiheit ist durch die gegenwärtige Organisation des Systems stark eingeschränkt. Die Krankenkassen treiben völlig im Gegensatz dazu seit Jahren eine immer stärkere Normierung der Versicherten zu pauschalierten Behandlungsfällen mit standardisierten Bedürfnissen voran. Weicht ein Arzt in seiner Behandlung von der Norm ab, kann das erhebliche Folgen für ihn (existenzbedrohende Regresse) und für den Patienten (Kostenübernahme der Krankenkasse entfällt) haben. Diese Tendenz nimmt in den letzen zwanzig Jahren leider immer mehr zu und der Handlungsspielraum der Ärzte und Patienten ab.

In meiner parlamentarischen und meiner Öffentlichkeitsarbeit weise ich immer wieder auf diesen Mißstand und die Nachteile für die Versorgungsqualität der Patienten hin und versuche im mir möglichen Rahmen, die Selbstverwaltung und die Krankenkassen zu einem Mentalitätswechsel zu bewegen, der endlich wieder eine differenziertere Behandlung ermöglicht und den Ärzten die Freiheit gibt, die sie benötigen, um den Einzelnen individuell optimal zu behandeln. Sie haben ebenfalls Recht damit, daß sich unter anderem dadurch auch überflüssige Arztbesuche vermeiden ließen und die rarer werdenden Ärzte dadurch mehr Kapazitäten für die medizinisch tatsächlich begründeten Arztbesuche übrig hätten.

Sie stellen außerdem die Frage nach den hinter dem von Ihnen beschriebenen Mißstand stehenden Interessen.

Das Interesse der Krankenkassen, jedem Vertragsarzt einen bestimmten Betrag zuzuweisen, für dessen Gegenwert er pro Quartal Medikamente verordnen darf besteht sicherlich in der Vorstellung, dadurch ließen sich Kosten dämpfen. Das Kriterium der resultierenden Versorgungsqualität für den Patienten scheint dabei leider dem Kriterium Kostenkontrolle untergeordnet zu werden. Dabei bliebe letztlich noch die Frage zu klären, ob das kurzfristige Vorenthalten von individuell optimierten Therapien nicht langfristig mehr Kosten erzeugt. Die Kurzfristigkeit der Einsparung scheint aber so verlockend für die Kassen zu sein, daß der langfristige Effekt bisher nicht ernsthaft untersucht wurde.

Die Ärzte haben keinen Vorteil von dieser Regelung, denn sie können ihre Patienten eben oft nicht die individuell optimale Behandlung bieten, die sie ihnen eigentlich bieten wollen. Ihr Arzt ist gezwungen, pro Quartal pro Patient einen bestimmten Verordnungsbetrag durchschnittlich nicht zu überschreiten, egal wo die realen Bedürfnisse seiner Patienten nach seiner Meinung liegen.

Ich will Ihnen hierfür gern ein Beispiel nennen: HNO-Ärzte in Berlin dürfen nach den aktuellen Richtgrößen der Krankenkassen einem Patienten pro Quartal Arznei- und Verbandmittel im Wert von 16,64 €, bei einem Rentner sogar nur für 9,58 € verordnen. Der KV-Vorstand und viele Berufsverbände äußerten deshalb die Befürchtung, daß mit diesen Arzneimittelrichtgrößen eine ausreichende medikamentöse Versorgung der gesetzlich Versicherten in Berlin nicht gewährleistet werden kann. Denn wenn die Patienten eines HNO-Arztes in Berlin im Durchschnitt aber kränker sind als durch den Pauschalbetrag der Krankenkassen geplant und er ihnen verordnet, was sie nicht geplant, sondern tatsächlich benötigen und damit den Pauschalbetrag überschreitet, dann zahlt er die Differenz aus dem Pauschalbetrag und dem realen Bedarf seiner Patienten selbst. Deshalb schwebt über jedem Vertragsarzt, der Medikamente verordnet bei jeder einzelnen Verordnung das Damoklesschwert des Regresses. Wenn ein Arzt also das Interesse hat, seine berufliche Existenz und diejenige seiner Mitarbeiter zu erhalten, dann muß er Überschreitungen der vorgeschriebenen Richtgrößen vermeiden.

Je nach Standort der Praxis behandeln viele Vertragsärzte pro Quartal erheblich mehr Patienten als von der KV durch Regelleistungsvolumen und Fallzahl geplant, so daß für die über die Planung hinaus behandelten Patienten keine kostendeckende Vergütung mehr erfolgt (Abstaffelung). Die Ärzte haben also ein Interesse daran, medizinisch überflüssige Arztbesuche zu vermeiden, um sich besser den wirklich Kranken widmen und die Abstaffelung vermeiden zu können.

Mein Interesse ist eine qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung in Deutschland. Voraussetzung dafür ist ein fairer Umgang aller Beteiligten im Gesundheitssystem, eine ehrliche Abbildung der Kosten, gute Arbeitsbedingungen der Gesundheitsschaffenden und eine größtmögliche Therapiefreiheit. Das Gesundheitssystem, für das ich mich einsetzte, trägt dem Patienten als Individuum Rechnung und hört endlich auf damit, ihn zum geplanten Behandlungsfall zu degradieren, der eben Pech hat, wenn er kränker ist und einen größeren Behandlungsbedarf hat als es seine Krankenkasse geplant hatte. Planwirtschaft ist und bleibt unmenschlich, gerade im Gesundheitssystem.

Deshalb unterstützte ich die Abschaffung der Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel und die Wiederherstellung der Therapiefreiheit. Dafür gibt es aber leider derzeit noch keine politischen Mehrheiten. Ich werde weiterhin dafür kämpfen.

Klären Sie mit Ihrem Arzt, welches Verordnungs- und Kontrollintervall Ihres Medikamentes medizinisch sinnvoll ist. Falls Ihr Arzt eine langfristige Verordnung Ihres Medikamentes medizinisch für sinnvoll hält, empfehle ich Ihnen übrigens in jedem Fall, bei ihrer Krankenkasse zu erfragen, warum sie die Neuverordnung je Quartal verlangt, obwohl Ihr Arzt ein abweichendes Vorgehen für sinnvoll hält und Sie dies wünschen. Nehmen Sie Ihre Kasse in die Verantwortung, das ist als Beitragszahler Ihr selbstverständliches Recht.

Mit besten Wünschen für Ihre Gesundheit ein frohes Fest und ein gutes neues Jahr verbleibe ich,

Ihr

Lars F. Lindemann