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Katja Keul
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Frage von Hans-Jürgen B. •

Frage an Katja Keul von Hans-Jürgen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Frau Keul!

Die letzten Tage habe ich zu dem Thema ESM in verschiedenen Meldungen vernommen, dass für die Verabschiedung des so genannten Fiskalpaktes eine Zweidrittel Mehrheit notwendig sei.
(Quellen: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bundestagesm102.html und http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,824458,00.html )
Nun ist mir bekannt, dass die Notwendigkeit einer Zweidrittel Mehrheit ausschließlich bei Verfassungsänderungen gegeben ist. Leider ist nirgends ersichtlich, so auch nicht auf Ihren Internet Seiten, für was diese Verfassungsänderung stattfinden und wie sie ausfällen soll.

Meine Fragen:

- Können Sie mir erläutern, was hier an Änderungen geplant ist?
- Welche Auswirkungen werden diese Änderungen auf die Souveränität des Volkes, des Einzelnen und des Bundestages als Institution haben?
- Welches Gremium wird dann über die Finanzen bestimmen und wie steht es um die demokratische Legitimation dieser Institution?
- Warum ist nirgends eine mediale Aufklärung zu bekommen?

Vielen Dank im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Jürgen Bletz

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Bletz,

vielen Dank für Ihre sehr berechtigte Frage. Auch ich habe persönlich erhebliche Zweifel an der rechtlichen Bewertung der Bundesregierung. Die Vereinbarung einer Schuldenbremse allein begründet sicherlich keine verfassungsändernde Mehrheit, da im Grundgesetz die Schuldenbremse bereits verankert wurde. Eine Selbstverpflichtung des Gesetzgebers, das Grundgesetz an dieser Stelle nie mehr zu verändern wäre ohnehin auch mit 2/3 Mehrheit nicht möglich und wird im Fiskalpakt auch nicht verlangt.

Schwieriger ist bereits die Frage, ob durch den vereinbarten automatischen Korrekturmechanismus eine Übertragung von Hoheitsrechten erfolgt. In dem Fall könnte eine 2/3 Mehrheit nach Art 23 GG erforderlich sein. Der Fiskalpakt ist an dieser Stelle allerdings nicht nur völlig unbestimmt, was den Korrekturmechanismus betrifft, sondern auch noch in sich widersprüchlich. In Artikel 3 Nr.2 heißt es nämlich: "Der Mechanismus achtet uneingeschränkt die Haushaltsvorrechte der nationalen Parlamente".
Danach erfolgt also doch keine Übertragung von Hoheitsrechten, was allerdings den beabsichtigten Korrekturmechanismus zur Wirkungslosigkeit verdammt. Der Fiskalpakt ist damit eher eine politische Absichtserklärung (die Absicht Haushaltsdefizite abzubauen begrüße ich ausdrücklich) als eine rechtsverbindliche und wirksame Vertragsvereinbarung. Der Fiskalpakt gibt vor mehr zu sein, als er wirklich ist.

Gleiches gilt für die Bestimmung des Art. 8 zu den Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass der Gerichtshof Kompetenzen erhält, den Vertragsstaaten im Falle einer Pflichtverletzung haushaltwirksame Maßnahmen vorzuschreiben wäre auch aus diesem Grunde eine 2/3 Mehrheit wegen der Übertragung von Hoheitsrechten erforderlich.
Es bestehen allerdings erhebliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Europarecht, da es sich bei dem Fiskalpakt um einen Vertrag außerhalb der Europäischen Union handelt und dem Gerichtshof auf diesem Wege kaum Kompetenzen übertragen werden können. In dem Fall würde auch eine 2/3 Mehrheit im Bundestag nicht weiter helfen.

Fazit: Eine effektive positive Wirkung wird der Fiskalpakt nur dann entfalten, wenn wir uns als Opposition mit unseren Forderungen durchsetzen können. Dazu gehören insbesondere die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der Eurozone, die Integration des Fiskalpaktes in das geltende EU Recht soweit wie möglich, die Stärkung der parlamentarischen Beteiligung und die Anhebung des Eigenkapitals der Europäischen Investitionsbank zur Finanzierung von Wachstumsprogrammen innerhalb der EU.
Ohne diese Maßnahmen bleibt der Fiskalpakt eine eher harmlose politische Willenserklärung.

Mit freundlichen Grüßen
Katja Keul

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