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Hermann Ott
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Frage von Gert J. •

Frage an Hermann Ott von Gert J. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Dr. Ott,

ich habe letzte Woche im Gesundheitsbericht 2011 der AOK Plus für Sachsen und Thüringen gelesen, dass es für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen Verordnungen von Ritalin in Höhe von 3,5 Millionen Euro gab, das entspricht einer Menge von 1,1 Tonnen Ritalin! Das hat mich schon sehr erschreckt. Und das allein in 2 Bundesländern und einer Krankenkasse!
Ich habe immer noch den Eindruck, dass Ritalin oft sehr schnell verabreicht wird, obwohl es auch noch einige andere Methoden gibt, die den Kindern helfen. Vor allem Methoden, die den KIndern in der Schule direkt helfen, wie zum Beispiel ein Konzentrationstraining.

Sehen sie politische Möglichkeiten, diesem scheinbarem Trend der schnellen Medikamentenverordnung entgegenzuwirken oder besteht da kein politisches Interesse?

Vielen Dank für Ihre Antwort!

Mit freundlichen Grüßen

Gert Jahn
Fachtrainer für soziale Kompetenz
Wuppertal

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Jahn,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur Verordnung von Ritalin.

Ich teile Ihre Befürchtung, dass verhaltensauffälligen Kindern viel zu häufig Ritalin verabreicht wird. Seit 1993 hat sich der Verbrauch von Methylphenidat - das ist der Wirkstoff, der Ritalin zugrunde liegt - auf mehr als das 20fache erhöht. Das hängt sicher auch mit den veränderten Lebensumständen von Kindern zusammen. Der Druck in Schule und Ausbildung sowie neue Formen von Armut machen sich hier bemerkbar. Die Vervielfachung des Verbrauchs ist aber auch unzureichenden Anforderungen an die Verordnung dieses Medikaments geschuldet.

Eine Verschreibung von Psychostimulianzien sollte bei Kindern nach meiner Auffassung immer erst nach einer qualifizierten Diagnostik durch Kinder- und Jugendtherapeuten erfolgen dürfen. Und dies umso mehr, als wir wenig über die Langzeitwirkungen einer solchen Therapie im Kindesalter wissen. Zudem müssen nichtmedikamentöse Präventions- und Therapiemaßnahmen in die Behandlung eingebunden werden. Denn eine Therapie im eigentlichen Sinne, d.h. eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Verhaltensstörung, kann ein Medikament nicht leisten.

Und nicht zuletzt sollten wir uns fragen, ob wir möglicherweise nicht falsche Maßstäbe an kindliches Verhalten anlegen. Hat sich beim kindlichen Verhalten tatsächlich etwas verändert? Oder wird beispielsweise etwas, was vor 40 Jahren noch als typisches Jungenverhalten gewertet wurde, nunmehr als Störung diagnostiziert? Wenn Kinder nicht in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, kann dies auch bedeuten, dass etwas mit den Anforderungen oder den Bedingungen, unter denen sich die Kinder entwickeln, nicht stimmt.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Hermann Ott