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Elisabeth Scharfenberg
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas L. •

Frage an Elisabeth Scharfenberg von Thomas L. bezüglich Gesundheit

Warum halten die Grünen an Zerschlagung der dezentralen Versorgung durch eigenständige Ärzte und Apotheken fest, an der Konzentration in Händen von Konzernen und sog. "Heuschrecken " , wenn das abschreckende Bild Norwegens jedem klar macht ,wohin dies führt, zu höheren Preissteigerungen und Zerfall der Versorgung ländlicher Gebiete.
Die Misstände und Kosten des dabei von Bender und Fischer so bewunderten Systems, sind ansonsten jedem anderen vernünftigen Menschen mehr als einsichtig, nur diesen nicht.
Oder sind die Großkonzerne für führende Grüne auf einmal Garanten einer bürgernahen günstigen Versorgung? wenn wir die Preise unserer Versorger anschauen ist dies geradezu lächerlich.
Gerade die Ausfälle von Biggi Bender etc. müßten dann ja auch zur Zerschlagung von kleinen bäuerlichen Einheiten führen und zur Einführung der Agroindustrie ala USA.
Eventuell täusche ich mich ja und Sie basteln gerade an entsprechenden Maßnahmen, die Förderung der ehemaligen Riesenbetriebe der LPGs durch Frau Künast. zulasten kleinerer bäuerlicher Familienbetriebe war ja schon erstaunlich, aber somit wenigstens folgerichtig, evt. hat man den Schwenk nur noch nicht dem dummen Wahlvolk nahegebracht.
Oder sind die Grünen nicht mehr fähig, - oder aus anderen Gründen willens ? so etwas zu sehen. Früher war gerade dies ein Vorbild, auch bei Energieerzeugung wird es dann wieder gepredigt. Sobald die Medien anwesend sind, zeigt sich ja die Grünenspitze gerne bei Attac etc. im Ausschußhinterzimmer wird das Gegenteil gemacht und einzig für Konzerninteressen gekämpft. Ich kann nur zutieftst bedauern, früher leidenschalftlich für die Grünen gekämpft zu haben, jetzt weiß man wofür diese stehen, dies ist bitter, aber, wer hat schon versprochen, daß die Welt gerecht oder vernünftig ist.

MFG
Thomas Lohr

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Lohr,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 13. Oktober. Sie fragen darin im Kern nach dem Hintergrund unserer Forderung für Wettbewerb auf dem Apothekenmarkt oder nach der Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots und verweisen kritisch auf das Beispiel von Norwegen. Sie werden verstehen, dass ich mich zu Ihren Anmerkungen zu Frau Bender und auch zu Frau Künast nicht äußern werde. Ich denke, das steht mir nicht zu und Sie sollten Frau Bender und Frau Künast direkt um eine entsprechende Antwort bitten, sofern noch nicht geschehen.

Wir Grünen gehen davon aus, dass die in Deutschland geltenden Regelungen zum Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken auf Dauer nicht zu halten sein werden. Zum einen weil der Europäische Gerichtshof mit sehr großer Wahrscheinlichkeit das deutsche Fremdbesitzverbot, das den Betrieb einer Apotheke nur Apothekerinnen und Apothekern erlaubt, als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit verwerfen wird. Ihre Haltung in dieser Frage haben die Richter bereits vor zwei Jahren in ihrem „Optiker-Urteil“ deutlich gemacht. Damals hatte der EuGH entschieden, dass das bis dahin in Griechenland geltende Fremdbesitzverbot für Optikergeschäfte nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Der Schutz der öffentlichen Gesundheit könne auch mit Maßnahmen erreicht werden, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark einschränken. Wir halten es für unwahrscheinlich, dass der EuGH hinsichtlich des Fremdbesitzverbots bei Apotheken anders entscheidet. Das sieht offensichtlich auch die EU-Kommission so. Deshalb hat sie bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, Österreich und Spanien eingeleitet. Dort gelten für den Apothekenmarkt ähnliche Beschränkungen, wie bei uns. Gegen Deutschland wird die Aufnahme eines derartigen Verfahrens derzeit geprüft.

Darüber hinaus glauben wir aber, dass es auch sachliche Gründe für die Liberalisierung des Arzneimittelhandels gibt. Das Gesundheitswesen und die Gesundheitspolitik werden auf Dauer nicht auf die Wirtschaftlichkeitsgewinne verzichten können, die mit größeren Einheiten und Kooperationsverbünden verbunden sind (Rationalisierungsreserven im Wareneinkauf sowie im Bereich IT, Personalmanagement, Logistik, Immobilien u. a.). So kommen Prof. Dr. Gerd Glaeske und das Wissenschaftliche Institut der AOK in einem 2003 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums entstandenen Gutachten („Stärkung des Wettbewerbs in der Arzneimittelversorgung“) auf ein Einsparvolumen von bis zu 2 Milliarden Euro. Grundlage ihrer Berechnung war dabei der Vergleich der Handelsspanne in Deutschland, mit den Handelsspannen in den Ländern, in denen entsprechende Regulierungen nicht existieren.

Recht haben die Kritikerinnen und Kritiker einer Liberalisierung natürlich mit dem Argument, dass die Qualität der Beratung gewährleistet sein müsse. Das stimmt. Dafür würde es aber auch völlig ausreichen, wenn in jeder Apotheke ein qualifizierter Apotheker beschäftigt werden muss. Für die Qualität der Beratung haben die Besitzverhältnisse keine Bedeutung. Darauf hat auch der Europäische Gerichtshof in dem erwähnten „Optiker-Urteil“ hingewiesen. Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit reicht es seiner Ansicht nach aus, wenn in jedem Optikergeschäft ein Optiker als Arbeitnehmer oder als Gesellschafter anwesend ist.

Darüber hinaus wird häufig angeführt, dass eine Liberalisierung die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln gefährden würde. Die entstehenden Apotheken-Ketten würden sich nur die „Rosinen aus dem Kuchen“ heraussuchen. In strukturschwachen und ländlichen Regionen gebe es dann gar keine Apotheken mehr. Aber auch das ist m.E. kein gutes Argument. Auch heute schätzen Apothekerinnen und Apotheker selbstverständlich ab, was für Umsätze sie an einem Standort erzielen können, bevor sie eine Apotheke eröffnen. Das ist auch der Grund, weshalb die Apothekendichte in Deutschland zwischen Stadt und Land und zwischen wohlhabenden und ärmeren Regionen so unterschiedlich ist. An diesem Kalkül würde sich auch auf einem freieren Apothekenmarkt nichts ändern. Allerdings würden sich natürlich auch weiterhin Apothekerinnen und Apotheker außerhalb der Ballungsräume niederlassen. Denn dort wäre die Wettbewerbsintensität geringer.

Zu den von Ihnen angeführten Fallbeispiel Norwegens lässt sich sagen: Dort ist es tatsächlich so, dass sechs Jahre nach der 2001 erfolgten Deregulierung des Arzneimittelhandels vier von fünf Apotheken in der Hand der drei dominierenden Großhändlern sind. Allerdings muss man – um diesen Konzentrationsprozess realistisch einschätzen können – auch wissen, dass es im Jahr 2001 in Norwegen gerade einmal 400 Apotheken gegeben hat (inzwischen sind es rund 600), weil das Land sehr dünn besiedelt ist. Damit hatte schon vor der Liberalisierung jede Apotheke quasi eine Monopolstellung in ihrem jeweiligen Einzugsbereich inne. Darüber hinaus war der norwegische Apothekenmarkt weitaus staatsgesteuerter als bei uns. In Norwegen hatten die Apothekerinnen und Apotheker keinerlei Erfahrung damit, sich als selbstständige Geschäftsleute zu verhalten. Für Deutschland hält das norwegische Beispiel daher nur wenige Lehren bereit. Interessanter und vergleichbarer sind da für uns schon die Niederlande und Großbritannien. In beiden Ländern ist der Apothekenmarkt traditionell nur gering reguliert. Apothekenketten gibt es hier schon seit längerem. Aber auch in diesen Ländern sind die Ketten weit davon entfernt eine Monopolstellung einzunehmen. In den Niederlanden gehören 25 Prozent der Apotheken einer Kette an. In Großbritannien gehören 25 Prozent der Apotheken zu einer der drei großen Ketten, weitere 25 bis 30 Prozent gehören zu kleineren Zusammenschlüssen, und rund 40 bis 45 Prozent der Apotheken arbeiten selbstständig. Und auch in Deutschland finden wir genug Beispiele dafür, dass ein offener Markt nicht zwangsläufig zu Oligopolen und Monopolen führen muss. Obwohl es bundesweit tätige Optiker-Ketten gibt, existieren überall im Land selbstständige Brillengeschäfte.

Inzwischen wird der noch geltende Rechtsrahmen zunehmend zu einer leeren Hülle. Immer mehr Apotheker, Versandhändler und absehbar auch Großhändler unterlaufen das Mehrbesitz- und das Fremdbesitzverbot mit Franchise-Systemen. Die beteiligten Apothekerinnen und Apotheker bleiben zwar rechtlich selbstständig. Doch zahlen sie für die Verwendung eines einheitlichen Geschäftskonzepts, Namens und Auftretens nach außen. Auch der Einkauf erfolgt zuweilen zentral. Das Fremd- und das Mehrbesitzverbot werden damit zu einer bloßen Attrappe.

Angesichts der Steigerung der Lebenserwartung und der zunehmenden Bedeutung, die Gesundheitsleistungen für die Menschen haben, hat die Apothekenbranche sehr gute Zukunftsaussichten. Allerdings werden sich die Verhältnisse auf dem Apothekenmarkt verändern. Dabei wird es für die Politik darum gehen, beizeiten einen neuen Ordnungsrahmen zu schaffen, damit die zunehmende Konkurrenz tatsächlich zu niedrigeren Preisen, höherer Qualität und schnelleren Innovationen führt. Dabei müssen die hohen Anforderungen, die das deutsche Apothekenrecht an die Qualifikation der Apothekerinnen und Apotheker und die Ausstattung der Apotheken stellt, erhalten bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Scharfenberg