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Elisabeth Scharfenberg
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Frage von Helmut E. •

Frage an Elisabeth Scharfenberg von Helmut E. bezüglich Senioren

Hallo!

Focus-Online berichtet heute, sie wollten, als Oppositions-Abgeordnete der Grünen, für Pflegeheim-Bewohner Sex durch u.a. Prostituierte zu Lasten der Pflegeversicherung ermöglichen.

Frage 1.) Gibt es dafür momentan überhaupt die Chance auf eine Bundestagsmehrheit?
2.) Welche Kosten würden dafür entstehen und wer soll das bezahlen?
3.) Was ist mit dem Risiko der Übertragung von STI(=Sexually Transmitted Infections)?
4.) Wollen sie damit auch Armuts- und Zwangsprostituierte, z.B. aus Südosteuropa, denen die Einnahmen von Organisierten Kriminellen zu einem grossen Teil abgepresst werden, finanzieren, also Pflegegelder in die Taschen von Organisierten Verbrecher-Bossen leiten?
5.) Was ist mit der Strafbarkeit von Sexuellen Handlungen an Heimbewohnern nach §174a StGB?

gez.: H.Epple

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Epple,

am Sonntag, 8. Januar 2017, hat die Welt am Sonntag zwei Artikel zum Thema Sexualassistenz in Pflegeeinrichtungen veröffentlicht. Zahlreiche Medien haben das Thema aufgegriffen, so auch der Focus.

Die Artikel in der Welt am Sonntag befassen sich mit den sexuellen Bedürfnissen alter, pflegebedürftiger Menschen. Ich werde dabei zitiert mit der Aussage: „Eine Finanzierung für Sexualassistenz ist für mich vorstellbar […] Die Kommune könnte über entsprechende Angebote vor Ort beraten und Zuschüsse gewähren“. Im weiteren Verlauf des Artikels wird unter anderem auf die Praxis in den Niederlanden verwiesen, wo es für Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf die Möglichkeit gibt, finanzielle Zuschüsse für die sog. Sexualassistenz zu erhalten.

Eine ganzheitliche Pflegepolitik, die den Menschen mit all seinen Bedarfen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellt, ist seit langer Zeit ein wichtiges Anliegen der Arbeit der grünen Bundestagsfraktion. In einer alternden Gesellschaft sind unsere Schwerpunktthemen im Pflegebereich unter anderem Strategien gegen den Personalmangel, eine nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung und eine gute Qualität der Pflegeleistung. Zu diesen und vielen, vielen weiteren drängenden Themen der Pflegepolitik haben wir in den letzten Jahren engagiert gestritten und Konzepte erarbeitet. Wir wollen mit unserer Politik ein gutes Leben im Alter, bei Pflegebedürftigkeit, mit Demenz oder einer Behinderung fördern. In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit allen Fragen menschlicher Grundbedürfnisse befassen, die etwa in stationären Pflegeeinrichtungen Thema sind.

Dazu gehört auch, dass Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung natürlich auch sexuelle Bedürfnisse haben, diese aufgrund ihrer Beeinträchtigung jedoch häufig nicht erfüllen, befriedigen können. Wer viel in Pflegeeinrichtungen unterwegs ist und mit den dortigen Leitungs- und Arbeitskräften spricht, weiß, dass Sexualität ein Thema ist, das im Alltag der Betroffenen wie auch der Beschäftigten eine ganz und gar nicht unwesentliche Rolle spielt. Deswegen sollte man darüber sprechen und dieses Thema nicht verdrängen.

Ich bin bereits im August 2016 von der Welt um ein kurzes Statement zu diesem Thema gebeten worden und wurde nun selbst vom Zeitpunkt und der Darstellungsweise der Veröffentlichung überrascht. Zumal für mich andere Bereiche der Pflegepolitik, etwa der Personalmangel in der Pflege, im Vordergrund meiner Arbeit stehen. Der Welt gegenüber habe ich auf die konkreten Fragen meine persönliche Haltung geäußert und auch nicht vorgegeben, es handele sich um eine Forderung bzw. eine beschlossene Position der Fraktion oder Partei. Eine Beschlusslage der Bundestagsfraktion gibt es zu diesem Thema nicht. Ich wollte mit meinen Äußerungen zum Ausdruck bringen, dass ich eine Diskussion für notwendig halte und offen für das Thema bin. Ein fertiges Konzept habe ich nicht, freue mich aber auf eine sachliche Diskussion – in der natürlich auch Bedenken und Gegenargumente benannt und abgewogen werden müssen! Mir ist wichtig, damit darauf aufmerksam zu machen, dass Sexualität im Alter, bei Pflegebedürftigkeit und/oder Behinderung ein großes Thema ist, das bisher total vernachlässigt wird.

Sexualassistenz ist für mich nicht gleichbedeutend mit Prostitution. Ich bin von der Welt auch nicht zur Prostitution, sondern zur Sexualassistenz befragt worden und habe auch in meinen Antworten ausschließlich diesen Begriff verwendet. Für mich wäre des Weiteren wichtig, dass geeignete Sexualassistentinnen und -assistenten sich mit den speziellen Gegebenheiten und Anforderungen auskennen müssen, die etwa bestimmte Behinderungen, chronische Krankheiten, Pflegebedürftigkeit oder Demenz mit sich bringen. Der Wunsch der Betroffenen, eine Sexualassistenz in Anspruch nehmen zu wollen, müsste natürlich eindeutig von diesen selbst ausgehen. Noch bedeutsamer ist jedoch die Ermöglichung von Privat- und Intimsphäre in Pflege- und Behinderteneinrichtungen.

In den zum Teil heftigen Reaktionen auf meine Äußerungen kritisieren viele meine Überlegungen zu finanziellen Zuschüssen für die Sexualassistenz . Ich habe in diesem Zusammenhang die Kommunen genannt. Daraus ist in der medialen Berichterstattung sehr schnell „Sex auf Rezept“ geworden und der Eindruck, die Krankenkassen sollten das bezahlen. Das habe ich nicht gesagt. Es gibt sicherlich viele weitere Möglichkeiten, Offenheit für das Thema Sexualassistenz zu schaffen. Ich würde mich freuen, wenn hierzu sachlich weiter diskutiert würde.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit die Hintergründe der aktuellen Berichterstattung etwas näher bringen.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Scharfenberg