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Claudia Roth
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Frage von Lucine B. •

Frage an Claudia Roth von Lucine B. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Roth,

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sehr viele türkische Mitschüler und Jugendliche den Völkermord an den Armeniern leugnen, ihn als "Armenier-Lüge" bezeichnen und die Opfer verhöhnen. In der Türkei selbst werden bis heute Menschen verfolgt, wenn sie den Völkermord an den Armeniern öffentlich eingestehen, das gilt dort als "Verunglimpfung des Türkentums". Sogar der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk wurden deswegen angeklagt.

Ich finde es sehr gut, dass in Deutschland z.B. das Leugnen des Holocaust verboten ist. Es darf nicht sein, dass Nationalisten die Ermordung von Millionen Menschen leugnen und das Schicksal und die Würde der Opfer, der Überlebenden und der Angehörigen verunglimpfen. Aber warum gilt das nicht auch für den Völkermord an den Armeniern? Meine Vorfahren stammen aus Armenien und auch in meiner Familie gab es Opfer des Genozids. Ich kann es nicht verstehen, wieso es in Deutschland erlaubt ist, den Völkermord zu leugnen und die Opfer zu verhöhnen, obwohl man doch beim Holocaust auch durchgreift, wenn sowas geschieht.

Ich weiss, dass der Bundestag vor ein paar Jahren eine Entschliessung verabschiedet, die die Türkei auffordert die historische Verantwortung für den Genozid zu übernehmen. In Berlin haben damals viele türkische Nationalisten öffentlich dagegen demonstriert, dass die "Armenier-Lüge" vom Bundestag anerkannt wird.

Das ZDF-Magazin Frontal21 hat mal darüber berichtet:
http://www.youtube.com/watch?v=SzIgJfAbEHY

Meine Frage an Sie ist, ob sie sich dafür einsetzen können, dass das genauso wie beim Holocaust verboten wird, das Schicksal von Millionen Todesopfern zu leugnen und sie damit zu verhöhnen. Ich denke doch die Würde der armenischen Opfer und die Gefühle der Überlebenden und Angehörigen sollten vom Staat genauso ernstgenommen werden, wie die der jüdischen Holocaust-Opfer.

Es würde mich freuen, wenn Sie als Menschenrechtspolitikerin im Bundestag etwas für uns tun könnten.

Freundliche Grüße

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Berg,

dass es sich bei den Geschehnissen von 1915 in der damaligen Türkei um einen Genozid/Völkermord handelt, wird nun kaum bezweifelt, außer vielleicht von üblichen Verdächtigen aus dem nationalistisch-chauvinistischen Lager in der Türkei und ihren engen Freunden.
Die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermords (z.B. die sogenannte Ausschwitzlüge) ist ja in Deutschland explizit unter Strafe gestellt. Diese herausgehobene Vorschrift im deutschen Strafgesetzbuch begründet sich aus der deutschen Geschichte. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beabsichtigt nicht, diese speziell auf die Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus bezogene Vorschrift auszuweiten. Volksverhetzende Angriffe auf die Menschenwürde sind im deutschen Strafgesetzbuch bereits geregelt. Beim Kampf gegen die verschiedenen Formen von Rechtsextremismus und anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit müssen die Vorgaben der internationalen und europäischen Konventionen und Gremien gegen Rassismus, wie dem Menschenrechtskommissar des Europarats, des UN-Antirassismus-Ausschusses (CERD) und der Europäischen Kommission gegen Rassismus (ECRI) konsequent umgesetzt werden. Dies gilt selbstverständlich auch hinsichtlich der Auslegung volksverhetzender Angriffe auf die Menschenwürde einer bestimmten Gruppe von Menschen. Wir setzen uns in unseren außenpolitischen Aktivitäten dafür ein, dass eine offene und öffentliche Debatte über den Genozid von 1915 in der Türkei stattfindet und die türkische Nationalversammlung sich mit dem Thema befasst, um die Geschehnisse von 1915 als das anzuerkennen, was sie waren: ein Völkermord.

Mit freundlichen Grüßen

Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro

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