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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas M. •

Frage an Claudia Roth von Thomas M. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Roth,

Wir haben ein Scheidungsrecht, das Kinder zu einer Lebensversicherung für allein sorgeberechtigte Elternteile (i.d.R. Mütter) macht und damit Belohnungen aussetzt für die Zerstörung von Familien. Wir haben ein Unterhaltsrecht, das einen Kampf um die Kinder fördert und ein Umgangsrecht, das die Bedeutung beider Eltern für die Kinder zwar sieht, aber in der Rechtswirklichkeit nicht zur Geltung bringt. Hunderttausende von nicht sorgeberechtigten Elternteilen (i.d.R. Väter), die ihre Kinder vielfach seit Jahren nicht sehen durften, sind ein Armutszeugnis für eine Frauen-, Familien- und Gleichstellungspolitik, die das Wohl und die Rechte der Kinder nur auf dem Papier garantiert. Den Kindern wird damit ein Teil ihrer Identität genommen.
Ein Missstand, den selbst Gerichte und Jugendämter trotz eindeutiger Rechtslage billigend in Kauf nehmen.

Deutschland wurde unter Rot-Grün bereits mehrfach wegen Menschenrechtsverletzungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR (Straßburg) zu Schmerzensgeldzahlungen an Väter verurteilt, u.a. wegen Verstöße gegen Artikel 6, 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK):

Artikel 8: Achtung des Familienlebens
Verletzung von gesetzlich geschützten Grund- und Menschenrechten

Artikel 14: Verbot der Diskriminierung
Diskriminierung des umgangsberechtigten Elternteils (i.d.R. Väter)

Artikel 6: Recht auf faires Verfahren
Verfahrensverschleppung
Verfahrensmanipulation
Unsachgemäße Verfahrensweise
Bevorteilung des sorgeberechtigten Elternteils (i.d.R. Mütter)

(Datenquelle: Urteilsdatenbanken des EGMR http://www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof/Dokumente_auf_Deutsch/Volltext/Urteile/)
Hier werden die unglaublichen Zeugnisse des menschenunwürdigen Umgangs mit Kindern und Vätern durch Mütter, Jugendämter, Familiengerichte und anderen Akteuren der bundesdeutschen Scheidungsindustrie gesammelt und archiviert.

Was werden Sie bzw. die Grünen dagegen unternehmen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Meierfels,

Die Familienpolitik von Bündnis 90 / Die Grünen orientiert sich ausschließlich am Kindeswohl – dies gilt in besonderem Maße für kritische Lebenssituationen wie eine Trennung oder Scheidung der Eltern. Für Kinder ist in einer solchen Situation meist der Erhalt sozialfamiliärer Beziehungen entscheidend. Dies gilt für Beziehungen zu beiden Elternteilen, Geschwistern, Großeltern oder anderen Bezugspersonen wie FreundInnen oder MitbewohnerInnen – es sei denn, dies ist aus bestimmten Gründen unzumutbar.

Sie sprechen einige Schieflagen des Familien- und Kindschaftsrechts an, die dazu führen, dass dies nicht immer gewährleistet wird. Gerade die rechtliche Situation für Väter ist oftmals wenig zufrieden stellend. Bündnis 90 / Die Grünen haben dies erkannt und es in entsprechenden Arbeitsgruppen mit dem Koalitionspartner immer wieder zum Thema gemacht. Wir sehen hier auf mehreren Ebenen akuten Handlungsbedarf. Gleichzeitig ist die faktische Lage vieler Mütter unzureichend. Der hohe Anteil allein erziehender Mütter sowie der hohe Anteil dieser Mütter, die in Armut leben, ist dafür ein trauriger Beleg.

Zum einen ist eine Reform des Unterhaltsrechts dringend notwendig, um das Kindeswohl zu stärken, mehr Eigenverantwortung der Ehegatten nach Ende der Ehe zu fördern und Unterhaltsberechnungen, gerade im Mangelfall, zu vereinfachen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf befindet sich bereits im parlamentarischen Verfahren. Er sieht eine neue Rangordnung der Unterhaltsberechtigten vor, die dem Kind den ersten Rang vorbehält, gefolgt von Kinder betreuenden und damit unterhaltsbedürftigen Elternteilen oder lang verheirateter Ehepartner. Erst an dritter Rangfolge steht der geschiedene kinderlose oder nicht mehr betreuende Ehepartner mit eigenen Unterhaltsansprüchen. Diese Gewichtung ergibt sich daraus, dass ein gewisser Vertrauensschutz für die Frauen zu gewährleisten ist, die bei langer Ehedauer Vertrauen in die eheliche Solidarität gesetzt haben. Meist beschließen beide Elternteile über die Arbeitsteilung in der Familie. Häufig ist die volle Erwerbstätigkeit des einen Partners – meist des Mannes – nur möglich, wenn die andere – meist die Frau – einen großen Teil ihrer Arbeitskraft für die Versorgungsarbeit der Kinder aufwendet. Auch diese Arbeit trägt zum Familieneinkommen bei. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, setzen wir uns für den Ausbau der Kinderbetreuung und eine Abschmelzung des Ehegattensplittings ein.

Zum anderen besteht Handlungsbedarf zur Änderung des Sorgerechts nicht verheirateter Eltern. Derzeit ist eine gemeinsame Sorge nur dann möglich, wenn einvernehmlich eine entsprechende Sorgeerklärung ausgesprochen wird - unabhängig vom Zusammenleben der Eltern und gemeinsamer Pflichtenübernahme. Gegen die Zustimmung der Mutter hingegen ist eine gemeinsame Sorge beider Elternteile nicht möglich. Gegen dieses "Vetorecht der Mütter" waren mehrere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. In seinem Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Bundesverfassungsgericht die geltende gesetzliche Regelung zum Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt. Denn obwohl beide Eltern Träger der Elternrechte aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz sind, setzt nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung sowohl eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern als auch ein Mindestmaß an Übereinstimmung und eine Ausrichtung am Kindeswohl voraus. "Fehlen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen." Dieses Mindestmaß an Übereinstimmung, das die Verfassungsrichter für die gemeinsame Sorge anführen, spricht eben gegen eine generelle gemeinsame Sorge auch bei Nichtverheirateten.

Andererseits ist unzweifelhaft, dass auch Väter ein Elternrecht haben. Wegen der vorgezogenen Wahlen konnten wir die Frage, ob das unangetastete Vetorecht der Mutter einzuschränken sei, nicht mehr abschließend klären. Klar ist, es geht vor allem um das Wohl des Kindes. Innerhalb der Fraktion gibt es starke Stimmen, die sich für die Möglichkeit einer so genannten Einzelfallentscheidung aussprechen. Die geltende Übergangsregelung für das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern (Altfälle) könnte Modellcharakter für die Zukunft des Sorgrechts bei nicht miteinander verheirateten Eltern haben, in denen sich die allein sorgeberechtigte Mutter weigert, eine Mitsorge des Kindsvaters zuzulassen. Wenn der nicht mit der Mutter verheiratete Vater willens und in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für das gemeinsame Kind in gleicher Weise wie die Mutter zu tragen und dies auch tatsächlich tut, sollte eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zugunsten der gemeinsamen Sorge auch gegen den ausdrücklichen Willen der Mutter möglich sein. Diese gerichtliche Prüfung sollte allerdings nicht - wie in der Übergangsregelung festgelegt - an das gemeinsame Familienleben im Sinne einer tatsächlichen gemeinsamen elterlichen Sorge gebunden sein, sondern auch für Fälle gelten, in denen der Vater seinen Anteil an elterlicher Fürsorge erfüllt und vornehmlich am Willen der Mutter gescheitert ist. Sollte die Mutter die gemeinsame Sorge, wie vom Gesetzgeber in der bestehenden Regelung unterstellt, aus schwerwiegenden Gründen nicht befürworten, werden diese Gründe auch in der Einzelfallprüfung Bestand haben.

Die von Ihnen angesprochenen Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betreffen zum Teil Entscheidungen nationaler Gerichte, die sich weder am Kindeswohl orientierten noch die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Auslegung des Gerichtshofs berücksichtigten. Hierzu sind sie jedoch verpflichtet, soweit die Anwendung der EMRK nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht, verstößt (s. BVerfG, Urteil vom 01.10.2004, 2 BvR 1481/04). Es ist zu hoffen, dass die neuerliche Klarstellung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.04.2005 (BR 1664/04) zur Bindungswirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu einer größeren Berücksichtigung familiärer Bindungen leiblicher Eltern zu ihren Kindern führt, wie Artikel 8 der EMRK dies vorsieht. Hierzu planen wir im Zuge der Reform der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Änderungen, die familienrechtliche Verfahren im Interesse des Kindeswohls beschleunigen und viel deutlicher und offensiver auf einvernehmliche Lösungen der Eltern abzielen. Dadurch sollen gemeinsame Sorgerechtsentscheidungen erzielt werden. Vielfältige – zum Teil auch gerichtlich angeordnete - Beratungsangebote sollen die Vorteile einer einvernehmlichen Lösung aufzeigen und durch Betonung der elterlichen Verantwortung darauf hinwirken. Darüber hinaus muss ein besonderer Wert auf entsprechende Elemente in der Aus- und Fortbildung von Juristen sowie entsprechende Aufklärungs- und Unterstützungsangebote für die Betroffenen gelegt werden.

Mit freundlichen Grüßen

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