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Claudia Roth
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Frage von Tobias B. •

Frage an Claudia Roth von Tobias B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

Ganz sicher bin ich kein Anhänger Erdogans oder der AKP. Ich halte den Islamisierungsprozess in der Türkei für gefährlich, da dieser die Menschen ihrer Freiheiten berauben kann und viele Maßnahmen, die nun beschlossen werden - wie etwa das Alkoholgesetz – in einem islamischen Land quasi unumkehrbar sind.
Ärzte zu verhaften, die verletzte Demonstranten behandeln oder Anwälte verhaften, die Demonstranten verteidigen wollen, das geht gar nicht und sind Verbrechen an rechtsstaatlichen Prinzipien und Grundrechten für jeden Menschen!

Frage 1:
Trotzdem, finden Sie nicht, dass die Türkei als souveräner Staat und mit einer demokratisch legitimierten Regierung trotz allem so viel Respekt verdient, dass man als deutscher Bundestagsabgeordneter den Anstand besitzen sollte, nicht an regierungskritischen, vor Ort nicht genehmigten, Demonstrationen teil zu nehmen?

Frage 2:
Wie würden Sie es finden, wenn in Deutschland etwa eine Demonstration gegen eine Rot-Grüne Bundesregierung stattfindet und an dieser etwa Abgeordnete aus Russland, den USA oder Frankreich teilnehmen würden?

Frage 3:
Sie sind Bundestagsabgeordnete in Deutschland und somit in erster Linie Deutschland verpflichtet. Was konkret bringt Ihre Teilnahme an einer regierungskritischen Demonstration in der Türkei für Deutschland? Oder sehen Sie Ihre Teilnahme an der Demonstration als Baustein einer Außenpolitik aus der Opposition heraus? Oder haben Sie das als Privatperson gemacht?

Frage 4:
Hat Ihre Reise in die Türkei in irgendeiner Form der deutsche Steuerzahler bezahlt oder unterstützt und wenn ja in welcher Höhe? Oder hat die Parteikasse der Grünen Ihre Reise bezahlt oder unterstützt?

Frage 5:
Sind Sie Business Class oder Economy Class nach Istanbul geflogen?

Frage 6:
Sind Sie immer noch für einen EU-Beitritt der Türkei?

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Büttner

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Büttner,

da Sie mehr als eine Frage gestellt haben, die inhaltlich
unterschiedliche Themen tangieren, hier die Antworten in der Reihenfolge:

Die Türkei definiert sich als einen demokratisch verfassten Staat, der alle entsprechenden internationalen Abkommen im Bereich von Menschenrechten und Bürgerlichen Freiheitsrechten ratifiziert hat. Hinzu kommt, dass die Türkei als EU-Beitrittskandidat die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen und in diesem Kontext alle notwendigen Gesetzesänderungen, Anpassungen und Reformschritte umzusetzen hat.. Deshalb darf jede Person, auch wenn sie nicht im Besitz der Staatsbürgerschaft des betreffenden Landes ist, , die garantierten Rechte in Anspruch nehmen und zum Beispiel an legalen Demonstrationen teilnehmen und auch an solchen, die nicht eindeutig verboten sind. Ähnliche Fälle kennen wir auch aus CSD-Kundgebungen in vielen osteuropäischen Staaten oder aus den Protesten gegen die Atomkraftwerke in der Tschechischen Republik wie in Bulgarien oder auch frühere Proteste in der Türkei gegen große Staudammprojekte. Ihre Sicht der nationalen Souveränität der Staaten ist im Grunde nicht vereinbar mit der Universalität der Menschenrechte und der Verbindlichkeit der internationalen Abkommen.

An dem besagten Abend im Istanbuler Gezi-Park ging es nicht um eine nicht-genehmigte Demonstration. Die Polizei war bemüht, den benachbarten Taksim-Platz für den Verkehr freizuhalten, was mit dem Park nicht direkt zu tun hat. Die Menschen machten von ihrem Recht Gebrauch, sich im Park aufzuhalten und zu spazieren, solange dies nicht verboten ist Was nicht in Ordnung und rechtswidrig war, waren die Tränengasangriffe der Polizei, die offenbar ohne Grund und ohne jegliche Vorwarnung erfolgten. So kam es dazu, dass die Menschen vor diesen Tränengasschwadern Schutz in den benachbarten Gebäuden und Hotels suchten.

Wer an Demonstrationen und Protestkundgebungen in Deutschland teilnimmt, wird nicht nach seiner Identität und Staatsangehörigkeit geprüft. Jeder, der sich legal im Land aufhält, darf an solchen Demos teilnehmen, die vom Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gedeckt sind.

Teil unserer Außenpolitik ist es, sich mit der Zivilgesellschaft, mit Demokratiebewegungen in anderen Staaten zu solidarisieren und sie in ihrem Engagement zu unterstützen. Einen Widerspruch darin können nur diejenige sehen, die Politik strikt nationalstaatlich verstehen und keine Antworten auf die dringenden Fragen der sich rasant globalisierenden Welt haben.

Es handelte sich um eine Auslandsdienstreise , die im Rahmen der fraktionsinternen Zuständigkeiten entlang der parlamentarischen Arbeit in den Bundestagsausschüssen genehmigt wurde. Die Kosten wurden vom Abgeordnetenkontingent der Fraktion getragen. Das Genehmigungsverfahren ist das vom Bundesrechnungshof vorgeschriebene Verfahren, an das sich die Fraktion strikt zu halten hat.

Die Flugreisen Berlin-Istanbul sind in der business class erfolgt.

Wir finden es richtig, an den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei festzuhalten, auch hier stimmen wir mit den Forderungen der türkischen Demokratiebewegung überein. Vor allem Deutschland muss sich deutlich zu einer Beitrittsperspektive für die Türkei bekennen, denn nur so kann die EU die Türkei zu Reformen bewegen und die türkische Regierung zu mehr Verbindlichkeit verpflichten. Wir sind dafür, dass die EU innerhalb der Beitrittsverhandlungen unter anderem möglichst bald das Kapitel 23 öffnen sollte, in dem es um Justiz und Grundrechte geht. Das wäre ein klares und deutliches Signal an die Menschen in der Türkei, dass die EU-Beitrittsverhandlungen demokratische Standards und rechtsstaatliche Normen festigen helfen.

Mit freundlichen Grüßen

Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro

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