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Beate Müller-Gemmeke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Stefan F. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Stefan F. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Müller-Gemmeke,

ich schreibe Sie als Sozialpädagogin an, weil mich angesichts der vom Kabinett verabschiedeten Impfpflicht gegen Masern Ihre Stellungnahme interessieren würde.

1. Sehen Sie nicht das essentielle Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Erziehern gefährdet, wenn Erzieher für die Durchsetzung des Masernschutzgesetzes instrumentalisiert werden? Eine mögliche Impfpflicht greift in das Grundrecht des elterlichen Rechts auf Pflege und Erziehung ein, desweiteren in das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit. Diese Grund- bzw. Menschenrechte sind im Grundgesetz niedergeschrieben, das Gesetz würde sie unterminieren, weshalb es in den Augen vieler als verfassungsrechtlich kritisch angesehen wird.
2. Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass das Gesetz de facto außer Masern eine Impfpflicht gegen Mumps und Röteln einführt, weil in Deutschland kein zugelassener monovalenter Impfstoff existiert?
3. Sind Sie ebenfalls der Ansicht, dass es tatsächlich keine Alternativen zu einem Zwang gibt? Viele Experten, darunter hochkarätige auch der STIKO und des RKI, Ärztegesellschaften und auch der Deutsche Ethikrat positionieren sich klar gegen eine Impfpflicht und bewerten eine solche sogar als potentiell kontraproduktiv.
4. Ist Ihnen bekannt, dass die Anzahl der Masernerkrankungen entgegen der Behauptungen weder gestiegen ist, geschweige denn die Masern sich epidemisch ausbreiten? Die Anzahl der Erkrankungen unterliegt jährlichen Schwankungen, die Zahlen können beim RKI eingesehen werden. Das Infektionsschutzgesetz sieht schon jetzt die Möglichkeit zum Ausschluss von Personen aus öffentl. Einrichtungen sowie im Epidemiefall Pflichtimpfungen vor. Eine generelle Impfpflicht ist unverhältnismäßig.
5. Eine große Wählerschaft Ihrer Partei war bis vor kurzem der Ansicht, dass Sie gegen eine Impfpflicht wären. Dies scheint sich aber zuletzt geändert zu haben, weshalb teils großes Unbehagen entstanden ist. Können Sie bitte Ihre Position klarstellen?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr F.,

herzlichen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.

Ganz grundsätzlich vorab: Masern sind eine Infektionskrankheit, die noch immer unterschätzt wird. Und ich meine auch, dass Impfungen ein wirksames Mittel sind, um diese und andere übertragbare Krankheiten endlich zu überwinden. Auf diese gelebte Solidarität sind besonders diejenigen Menschen angewiesen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen. Eine Impfpflicht ist für mich aber keine Alternative.

Der Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn sieht solch eine Impfpflicht für Kinder und Beschäftigte in Kitas und Schulen vor. Für das viel größere Problem – die bedenklichen Impflücken bei Erwachsenen - hat er kein Konzept. Es sind nämlich knapp 97 Prozent der Kinder einmal gegen Masern geimpft und knapp 93 Prozent haben auch die notwendige zweite Masernimpfung. In der Altersgruppe der 30- bis 50-jährigen liegt die Impfquote bei Masern aber weit unter der von der WHO empfohlenen Rate von 95 Prozent.

Unsere Vorschläge sind deshalb aufsuchende Impfangebote beispielsweise in Schulen, Kitas und Betrieben und Impferinnerungen beim Aufsuchen von Ärztin oder Arzt und Krankenhaus. Wichtig wäre auch, dass Kinderärzte Erwachsene impfen dürfen. Dann können ungeimpfte Eltern sich zusammen mit ihren Kinder impfen lassen. Wir halten eine entsprechende Verankerung im SGB V für dringend erforderlich.

Wir schlagen außerdem vor, dass Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patientinnen und Patienten gezielt einladen, um ihren Impfschutz zu vervollständigen. Ein digitaler Impfpass soll sicherstellen, dass niemand mehr nach seinem Impfpass suchen muss und die Informationen zum Impfstatus immer aktuell sind. Eine App auf dem Smartphone könnte dann daran erinnern, dass eine Impfung fällig ist.

Es ist auch wichtig, dass der öffentliche Gesundheitsdienst wieder gestärkt wird. Aufgrund von Sparmaßnahmen fehlt es hier an Personal. Ärztinnen und Ärzte werden dort schlechter bezahlt. Die Gesundheitsämter in den Kommunen können aber am besten erkennen, wo eine problematische Impflücke besteht und wie sie gezielt angegangen werden kann. Sie kennen die Probleme und können beispielsweise gezielt in Schulen und Kitas gehen oder Impfkampagnen für Erwachsene steuern.

Angesichts der geringen Impfquoten bei Erwachsenen zeigt sich: Die Forderung nach einer generellen gesetzlichen Impfpflicht geht am Kern des Problems vorbei. Neben Ihren ausgeführten Argumenten ist eine Impfpflicht aus meiner Sicht zudem kontraproduktiv, weil sie die Akzeptanz von Impfungen insgesamt verringern könnte. Die Menschen müssen durch Aufklärung und Informationen dazu bewegt werden, ihren Impfschutz zu vervollständigen. Zwang und Drohungen mit Sanktionen ist der falsche Weg.

Es ist richtig, dass sich ein grüner Antrag dafür ausspricht, für Kinder und Beschäftigte einen ausreichenden Impfschutz zur Voraussetzung für den Besuch insbesondere der Kita zu machen. Das Hauptargument dafür war, dass dadurch die Kinder am besten vor der Ansteckung durch Masern geschützt werden können, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen oder weil sie für eine Impfung noch zu jung sind. Für eine Impfpflicht reicht mir dieses Argument nicht aus und deshalb habe ich diesem Antrag auch nicht zugestimmt. Und deshalb werde ich auch dem Gesetzentwurf des Gesundheitsministers nicht zustimmen – zumal er die Impflücken der
Erwachsenen überhaupt nicht im Blick hat.

Mit freundlichen Grüßen,
Beate Müller-Gemmeke

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