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Frage von Guido F. •

Frage an Angelika Graf von Guido F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Graf,

in Ihrer Reaktion auf die Anfrage von Herrn Herfurth behaupten Sie, dass eine Legalisierung eine leichtere Verfügbarkeit bedeuten würde, da es dann für alle - auch für Jugendliche - leichter wäre, an Cannabis zu kommen.
Spiegelt diese Aussage Ihre bloße Meinung wieder, oder wird Ihre Darstellung durch wissenschaftliche Arbeiten gestützt?

In der jüngeren Vergangenheit belegten mehrere Forschungsarbeiten, dass Verbote und Strafandrohungen keinen Einfluss auf die Verbreitung des Cannabiskonsums ausüben ( http://tinyurl.com/3pwvqck , http://tinyurl.com/4xraorp , http://tinyurl.com/WHO-WMHS , http://tinyurl.com/BF-GCCR ). Zudem gestand das BKA schon im Jahr 2004 ein, dass polizeiliche Maßnahmen keinen signifikanten Einfluss auf die Verfügbarkeit ausüben ( http://tinyurl.com/7yww9pw ). So ist nicht überraschend, dass Cannabis trotz des Verbots für ca. 40% der 15- bis 16-Jährigen verfügbar ist ( http://tinyurl.com/2fupz2e ) und der Konsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland weiter verbreitet ist als in den Niederlanden ( http://tinyurl.com/2atl48x ).
Welchen Sinn hat es also I.E., jährlich weit mehr als 100.000 Strafverfahren wegen des Umgangs mit Cannabis einzuleiten ( http://tinyurl.com/3tvbd2s )?

Bezüglich Ihrer Zweifel an einer Gleichstellung von Alkohol und Cannabis würde mich interessieren, was Ihrer Ansicht nach gegen ein Werbeverbot für Alkohol und die Beschränkung des Verkaufs auf lizenzierte Fachgeschäfte spricht.
Wie sollte es überhaupt möglich sein, Jugendliche vor den tödlichen Gefahren des Alkoholkonsums zu schützen, wenn selbst Hochprozentiger wie ein harmloses Lebensmittel im Supermarkt verkauft wird?

Erklären Sie angesichts Ihrer Bedenken, dass im Umfeld der "Cannabis-Clubs" der Handel mit illegalen, harten Drogen prächtig gedeihen würde, bitte kurz, warum es besser ist, dass man aufgrund des Cannabisverbots Cannabis und harte Drogen gleich beim selben Dealer kaufen kann.

Freundliche Grüße
Guido Friedewald

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Friedewald,

vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 18. Oktober 2012 zum Thema Cannabis.

Ich teile die Einschätzung, dass repressive Drogenpolitik nicht die Lösung ist. Das ist übrigens schon sehr lange auch die Position der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollen eine Entkriminalisierung Süchtiger, wir wollen aber keine Legalisierung von Drogenhandel. Eine ausführliche Stellungnahme von mir dazu finden Sie hier:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/209936.eine-crackpfeife-ist-kein-feierabendbier.html

Meine These, dass eine Legalisierung eine leichtere Verfügbarkeit bedeutet, begründet sich darin, dass es in diesem Fall mehr und leichtere Möglichkeiten geben würde, an Cannabis zu kommen. Es mag ja sein, dass viele Jugendliche, die unbedingt Cannabis haben wollen, dies auch über einen Dealer erhalten. Das ist aber nunmal eine größere Hürde als ein „offizieller“ Cannabis Club, wo es in der Wahrnehmung der Konsumenten „staatlich geprüft“ und legal „mit staatlichem Segen“ Cannabis geben würde. Ich kenne keine Studie, die belegt, dass bei einer Legalisierung eine höhere Verfügbarkeit entstehen würde, aber eben auch keine die belegen würde, dass eine Legalisierung zu einer geringeren Verfügbarkeit führen würde - so wie Sie es darstellen - und folge daher der Logik. Die von Ihnen angesprochenen Zahlen in den Niederlanden sprechen allerdings auch dafür, dass das niederländische Modell zu einer höheren Verfügbarkeit führt. Bei den von Ihnen genannten Forschungsarbeiten ist es nämlich so, dass diese keineswegs das belegen, was Sie in Ihrer Mail behaupten.

„A report on Global Illicit Drugs Markets 1998-2007“ kann zum Beispiel schon deswegen nicht zum von Ihnen behaupteten Ergebnis kommen, dass Verbote und Strafandrohungen keinen Einfluss hätten, weil darin etliche verschiedene Länder, mit diversen verschiedenen Entwicklungen betrachtet werden und auch gar keine mono-kausale Untersuchung erfolgte. Die Entwicklung kann ohnehin nicht mono-kausal, also an nur einem Punkt, festgemacht werden. Der Bericht gibt keine Empfehlungen ab - das gibt der Bericht auch gar nicht her. Der Bericht, auf den Sie sich beziehen, „The War on Drugs and HIV/AIDS“, bei dem es vor allem um den Zusammenhang von HIV und Drogenkonsum geht, liefert keine Belege dafür, dass eine Cannabis-Legalisierung zu sinkendem Konsum führen würde. Es geht in dem Bericht vor allem um die Problematik des Spritzbestecks und Heroinkonsums. Und in diesem Punkt hat die SPD-Bundestagsfraktion ja bereits in Regierungsverantwortung gehandelt, siehe meine Stellungnahme in dem Link.

Das „Bundeslagebild Rauschgift 2004“ erklärt lediglich, dass „Großsicherstellungen und ähnliche Faktoren“ keinen nennenswerten Einfluß auf die Verfügbarkeit hatten, weil der illegale Drogenhandel diese Lücken offenbar ausgleichen könne. In den Handlungsempfehlungen ist nicht - anders als Sie es darstellen - die Forderung nach einer Legalisierung zu finden, sondern dort werden Forderungen nach einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit sowie ein stärkerer Fokus auf die Beeinträchtigung der Logistik- und Finanzstrukturen der kriminellen Organisationen gestellt.

Die von Ihnen genannte Statistik des „European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction“ kommt zwar zum Ergebnis, dass in Deutschland im Jahr 2007 38 Prozent der 15 bis 16jährigen Schüler eine Verfügbarkeit von Cannabis wahrgenommen hatten - das ist aber eine Verminderung gegenüber 2003, als 41 Prozent die Verfügbarkeit sahen. In den von Ihnen als Vorbild genommenen Niederlanden ist die wahrgenommene Verfügbarkeit in dieser Altersgruppe laut der von Ihnen genannten Statistik von 42 Prozent im Jahr 2003 auf 49 Prozent im Jahr 2007 gestiegen. Diese Statistik ist also beim besten Willen keine Empfehlung für eine Legalisierung. Zumal laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung der Anteil der Jugendlichen in Deutschland, die mindestens einmal im Leben Cannabis probiert haben, von 15,1 Prozent im Jahr 2004 auf mittlerweile 6,7 Prozent gesunken ist (2011). Die andere von Ihnen genannte Statistik ist nicht aussagekräftig - man kann nicht den Anteil derjenigen Jugendlichen mit Cannabis-Konsum zwischen Ländern vergleichen, wenn es sich nicht um die gleiche Altersgruppe handelt. In Deutschland wurden die 18-24-Jährigen im Jahr 2006 betrachtet, also eine ältere Gruppe, in den Niederlanden dagegen die 15-24-Jährigen im Jahr 2005 und damit eine jüngere Gruppe. Da es sich um unterschiedliche Altersgruppen handelt, ist die von Ihnen gemachte Schlussfolgerung, der Konsum unter Jugendlichen sei in Deutschland höher als in den Niederlanden, nicht aus den Zahlen ableitbar.

Bezüglich der Strafverfahren bei Konsumenten bzw. dem Besitz bei geringen Mengen stimme ich Ihnen zu, dass wir hier Verbesserungen brauchen. Ich spreche mich für einen bundesweit einheitlichen Grenzwert für die „geringe-Menge-Regelung“ aus sowie bundesweite Rechtsklarheit, da die Rechtsanwendungsgleichheit bisher meiner Meinung nach nicht ausreichend gewährleistet ist, was dem Ziel der Entkriminalisierung bei geringen Mengen zum Eigengebrauch zuwiderläuft. Ich halte es nicht für zielführend, bei geringen Mengen zum Eigengebrauch die Konsumenten zu kriminalisieren. Das Prinzip muss sein, Konsumenten zu entkriminalisieren, Prävention und Beratung auszubauen, Drogenhandel aber nicht zu legalisieren und Angebot bzw. Verfügbarkeit auf dem Markt nicht zu erhöhen.

Es spricht in meinen Augen nichts gegen eine bessere Alkoholprävention. Die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing (SPD) hatte die Empfehlungen des Drogen- und Suchtrates für ein „Nationales Aktionsprogramm zur Alkoholprävention“ (2009) unterstützt und vorangebracht. Darin waren auch weitergehende Werbeverbote vorgesehen (es gibt ja schon jetzt welche). Eine Umsetzung in der damaligen Großen Koalition scheiterte jedoch am Widerstand von CDU und CSU. Letztere sprechen sich auch in der derzeitigen schwarz-gelben Koalition gegen entsprechende Maßnahmen - die ich für notwendig hielte - aus. Der Verkauf von „Hochprozentigem“ an Minderjährige im Supermarkt ist strafbar.

In einen Cannabis-Club könnten auch diejenigen gehen, die keinen Dealer kennen oder vor einem Dealer und der damit verbundenen Illegalität bisher zurückschrecken. Das wäre auch in Bezug auf den Jugendschutz problematisch und würde die Möglichkeiten, für Minderjährige an Cannabis zu kommen, erweitern - Minderjährige würden dort eine niedrigschwellige Anlaufstelle vorfinden. Die Dealer könnten also im Umfeld von Cannabis-Clubs ein wesentlich breiteres Publikum erreichen und dort auf eine breitere „Zielgruppen“ zugehen. Denn im Umfeld von Cannabis-Clubs würden geballt diejenigen potenziellen „Kunden“ vorzufinden sein, die „experimentierfreudig“ und an Rauschmitteln grundsätzlich interessiert sind.

Mit freundlichen Grüßen

Angelika Graf