Recherche belegt Lobbyarbeit von prominenten Ex-Politikern und Transparenzlücken im Lobbyregister

Veröffentlicht am

Berlin/Hamburg, 4. Oktober 2022 - Mehrere frühere Bundestagsabgeordnete haben in den vergangenen Monaten für Konzerne und Lobbyorganisationen Gespräche mit Mitgliedern von Regierung und Bundestag geführt oder vermittelt. Das zeigen Recherchen der Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de, der Wochenzeitung Die Zeit und dem ZDF Magazin Royale. Außerdem belegen die Recherchen gravierende Transparenzlücken im neuen Lobbyregister.

Von den 293 ehemaligen Abgeordneten, die in der vergangenen Legislaturperiode (2017-2021) aus dem Bundestag ausgeschieden waren, haben mindestens 34 eine lobbyrelevante Funktion aufgenommen, zum Beispiel für einen Konzern, einen Verband oder eine Agentur.  

Der frühere Vizekanzler und Ex-Minister Sigmar Gabriel (SPD) führte demnach mehrere bislang unbekannte Gespräche mit dem Bundeskanzleramt. Gabriel war am 7. April zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats beim Stahlkonzern Thyssen Krupp Steel gewählt worden. Mindestens fünf Mal sprach er seitdem mit Staatssekretär Jörg Kukies, einem Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das erste Telefonat fand noch am Tag seiner Wahl zum Aufsichtsratschef statt. Thema sei, wie bei zwei weiteren Gesprächen, die “deutsche Stahlindustrie” gewesen, erklärte ein Regierungssprecher. Außerdem sprach Gabriel mit Kukies über das EU-Emissionshandelssystem und die Förderung ausländischer Investitionen. 

Am 5. Juli traf Gabriel sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich. Weitere Angaben zu dem Treffen machte die Regierung nicht. Zum Gesprächsinhalt lägen im Haus "keine Informationen" vor, so ein Sprecher. Gabriel wollte sich zu seinen Regierungskontakten nicht näher äußern. Diese seien “nicht von öffentlichem Interesse, sondern meine Privatangelegenheit”.

Trotz seiner mehrfachen Gespräche mit Regierungsvertretern zum Thema Stahl wird Gabriel nicht im Lobbyregister-Eintrag des Stahlkonzerns Thyssen Krupp Steel aufgeführt. Nach dem Lobbyregistergesetz ist dies zulässig: Veröffentlicht werden müssen lediglich die "vertretungsberechtigten Personen" sowie Beschäftigte, “die Interessenvertretung unmittelbar ausüben”. Aufsichtsratsvorsitzende gehören zu keiner der beiden Personengruppen.

Die Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de kritisiert dies. „Im Lobbyregister existieren eklatante Transparenzlücken, durch die Lobbyarbeit verschleiert wird", sagt Sprecherin Léa Briand. „Es braucht endlich eine Veröffentlichungspflicht von Lobbykontakten, verbunden mit abschreckenden Strafzahlungen bei Verstößen." Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das Lobbyregistergesetz nachschärfen zu wollen. Eine Offenlegungspflicht für Lobbykontakte lehnen SPD, Grüne und FDP bislang ab.

Den Recherchen zufolge gab es Lobbykontakte zur Regierung auch von anderen ehemaligen Abgeordneten. So hat der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber Anfang 2022 mindestens zweimal versucht, für die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) ein Treffen mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), zu arrangieren. Dies zeigen E-Mails, die den Medien vorliegen.

Die Terminanbahnung könnte einen Verstoß gegen das Lobbyregistergesetz darstellen, das zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist und Lobbyismus transparenter machen soll. Der Grund: Die DVAG hat sich nicht ins Lobbyregister eingetragen. Das aber ist Voraussetzung, um Kontakt zur Regierung und Abgeordneten aufnehmen zu dürfen. Bei einem Verstoß droht ein Ordnungsgeld von bis zu 50.000 Euro.

Tauber bestritt die Terminanfragen nicht. Eines der von ihm arrangierten Treffen mit dem Staatssekretär habe im April 2022 in Marburg stattgefunden. Der frühere CDU-Politiker erklärte jedoch, bei seinen E-Mail-Anfragen an das Wirtschaftsministerium sei ihm eine Verwechslung unterlaufen. Die Termine habe er nicht für die DVAG vereinbaren wollen, sondern für den im Lobbyregister aufgeführten Deutschen Unternehmensverband Vermögensberatung (DUV). Tauber arbeitet sowohl für die DVAG als auch für die DUV, beide Organisation sind eng miteinander verbunden.

Eine Transparenzlücke besteht außerdem im Fall von Interessenvertreter:innen, die für Lobbyagenturen tätig sind. Bei ihnen ist unbekannt, für welche konkreten Kunden sie arbeiten. So geben die Ex-Politiker Johannes Kahrs (SPD) und Markus Tressel (Grüne) den gesetzlichen Vorgaben entsprechend im Lobbyregister an, mit ihren Beratungsfirmen für die Lobbyagentur Eutop tätig zu sein. Auf die Frage, welche Eutop-Kunden sie vertreten, blieben beide eine Antwort schuldig.

abgeordnetenwatch.de, Die Zeit und ZDF Magazin Royale berichten außerdem, dass der Interessenverein „Union der Wirtschaft" für einen Jahresbeitrag von 10.000 Euro „Zugang zum MdB-Netzwerk” und die „Organisation von Abgeordneten-Treffen im Deutschen Bundestag” verspricht. Dies geht aus einer Preisliste auf der Internetseite des Vereins hervor, in dem sich unter anderem die Metro AG, Unilever und die CenterParcs Deutschland organisiert haben. Gründer und Vorstandssprecher ist der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Marcel Klinge.

Weiterführende Artikel: