Ein Berliner CDU-Politiker baut einen Verein mit öffentlichen Geldern auf – und parallel Firmen im selben Themenfeld. Recherchen von abgeordnetenwatch und Tagesspiegel zeigen, wie der langjährige Abgeordnete Christian Gräff politische Funktionen und eigene wirtschaftliche Aktivitäten miteinander verband.
Politiker Christian Gräff und Nadja Zivkovic haben einen Verein gegründet, der von Steuergeld profitiert.
Wenig Zeit? Die Recherche in 1 Minute
Der langjährige Berliner CDU-Abgeordnete Christian Gräff gründete mehrere Vereine und Unternehmen im Bereich altersgerechtes Wohnen, unter anderem den Smart Living & Health Center e.V.
Gräffs Geschäftspartner, ein Immobilienunternehmer, wirbt in den Räumen des gemeinnützigen Vereins für die Dienste einer gemeinsamen Firma.
Der Verein hat in den vergangenen Jahren 100.000 Euro vom Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf erhalten. Im dortigen Bezirksamt sitzt die Vereinsmitgründerin Nadja Zivkovic (CDU) an der Stelle, wo öffentliche Gelder verteilt werden.
Der Verein gibt Geld für Reisen nach Asien aus, unter anderem für Restaurantbesuche.
Auf die Frage, ob er den Verein für eigene geschäftliche Interessen nutzt oder genutzt hat, bleibt Gräff eine konkrete Antwort schuldig.
Auf Anfrage sieht Gräff keine Interessenkonflikte.
Anfang Oktober zeigt ein Berliner Immobilienunternehmer einer Delegation aus Kommunalpolitikern eine Präsentation. Er steht im "Haus der Zukunft", in den Räumen eines gemeinnützigen Vereins, und preist die Dienste seiner Firma an. LaCaire heißt sie, es geht um Produkte für seniorengerechtes Wohnen.
Rund um diesen Werbevortrag gibt es ein paar Probleme. Die Firma gehört nicht nur dem Immobilienunternehmer. Zur Hälfte gehört sie einem CDU-Politiker – Christian Gräff, langjähriges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Und das ist nicht die einzige Funktion von Gräff. Der Politiker hat sich über Jahre ein Netzwerk aus Vereinen und Unternehmen aufgebaut, bei dem sich die Frage stellt, ob er einen gemeinnützigen und mit öffentlichen Geldern geförderten Verein auch für eigene Geschäftsinteressen nutzt.
Recherchen von abgeordnetenwatch und Tagesspiegel zeigen, wie Gräff sich um den Verein Smart Living Health Center e.V. (SLHC) ein Geschäftsmodell aufgebaut hat in einer Branche, deren Bedeutung in unserer alternden Gesellschaft stetig zunimmt. Mithilfe von Unterlagen aus Vereinsregister, Handelsregister und von der Senatsverwaltung für Wirtschaft lässt sich eine bemerkenswerte Verquickung zwischen Verein und Politik zeigen.
Der Verein
Das Smart Living Health Center e.V. ist ein guter Verein. In dem senfgelben “Haus der Zukunft” im bürgerlichen Teil von Marzahn stellt er in einer Musterwohnung Produkte aus, die Menschen länger das Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen sollen. Interessierte können sich dort zum Beispiel Gegensprechanlagen mit Weitsicht-Video zeigen lassen, so dass man nicht vom Sofa aufstehen muss, um die Tür zu öffnen, sondern dies per iPad machen kann.
Foto: Tania Röttger
Blick aus dem Smart Living Health Center.
An einer Wand hängen eingerahmt die Logos von circa 80 Fördermitgliedern, deren Produkte den Interessierten in Führungen angepriesen werden. Treppenhilfen zum Beispiel oder Toilettensitze, die den Blutdruck messen. Die Unternehmen zahlen laut Satzung Mitgliedsbeiträge zwischen 1.000 und 25.000 Euro pro Jahr, je nach Größe und Umsatz. Explizit für einzelne Produkte werben darf der Verein nicht, das wäre mit der Gemeinnützigkeit nicht vereinbar. Und auch die Mitglieder dürfen durch den Verein keine wirtschaftlichen Vorteile erhalten.
Teil eines Netzwerkes
Der Smart Living Health Center e.V. ist Teil eines Netzwerks. Die zentrale Figur ist Christian Gräff, seit drei Jahrzehnten bestens vernetzt in der Berliner CDU. 1995 wurde er vom späteren Senator Mario Czaja für den Wahlkampf nach Marzahn-Hellersdorf geholt.
Als er 2016 Wirtschaftsstadtrat im Bezirksamt ist, bringt er die Idee des Vereins ins Spiel, von dem er später offenbar indirekt profitieren wird. Im Januar beantragt er, dass der Bezirk einem Smart Living-Verein als Mitglied beitreten soll, der gerade gegründet werde. Als das 2018 passiert, ist Gräff selbst eines der Gründungsmitglieder. Mittlerweile ist er ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen.
In diesen Firmen und Vereinen ist Christian Gräff Geschäftsführer.
Die Unternehmen des Christian Gräff
2017 hat Gräff bereits eine Firma gegründet: die Regionen Entwickler GmbH. Sie bietet Dienste für Unternehmen und Gemeinden an, etwa Konzepte für Gewerbegebiete, aber auch das Finden von Fördertöpfen. Als Geschäftsführer erhält er zwischen 25.000 und 75.000 Euro pro Jahr, wie Gräff beim Abgeordnetenhaus angibt.
Im Jahr 2022 folgt die Smart Living & Health selbstbestimmtes Leben GmbH. Nicht nur der Name ähnelt stark dem des Vereins, sondern auch der Fokus auf „Beratung für selbstbestimmtes und altersgerechtes Wohnen” und “Wohnungen für das selbstbestimmte Leben“. Doch seinen Geschäftsführerposten gibt Gräff beim Abgeordnetenhaus nicht an, ein Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz. Die Frage, warum er das Unternehmen nicht angegeben hat, beantwortet er auf Anfrage nicht.
Plötzlicher Rückzug aus der Politik
Um ein weiteres Unternehmen baut Gräff ein Geschäftsmodell auf. Es ist die LaCaire GmbH, die er 2023 zusammen mit dem Immobilienunternehmer Florian Lanz gründet. Das Geschäft ist die „Entwicklung intelligenter Wohnformen im Alter.“ Auf seiner Webseite bezieht sich das Unternehmen explizit auf die Expertise des gemeinnützigen Vereins. Die LaCaire GmbH wird als Verbindung zwischen dem Verein und Lanz’ Wohnungsbauunternehmen Laborgh dargestellt.
Schaubild auf der Webseite lacaire.de / Screenshot: aw.
LaCaire stützt sich auf die Expertise vom SLHC und Laborgh.
Ende September 2025 gibt Gräff überraschend seinen Sitz im Abgeordnetenhaus ab. Wenige Wochen vorher hat er ein viertes Unternehmen gegründet: die Smart Living & Health selbstbestimmtes Leben Verwaltungs GmbH. Hier ist der Zweck „die Verwaltung eigenen Immobilienvermögens“. Auf die Frage, wofür die Unternehmen gegründet wurden, deren Namen dem des Vereins so ähneln, antwortet Gräff lediglich, sie seien “bisher nicht wirtschaftlich tätig geworden und haben keinerlei Einnahmen, gleich welcher Art, erzielt”.
Wie wichtig ihm das Thema Immobilien ist, zeigt er in öffentlichen Stellungnahmen. „Wir benötigen eine massive Förderung für den Wohnungsneubau“, fordert er im März 2025 von der CDU-geführten Bundesregierung im Namen vom SLHC. Die Regierung solle zudem die Standards für den Neubau absenken und an die Bedürfnisse älterer Menschen anpassen. Also genau sein Geschäftsbereich.
Seine Anliegen kann Gräff aber auch direkt bei der Berliner Landesregierung vorbringen: Bürgermeister Kai Wegner und Wirtschaftssenatorin Giffey sind schonhäufiger zu Gast in den Räumen des Vereins gewesen.
Die Bezirksbürgermeisterin
Eine Mitstreiterin hat Gräff im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf. Dort besetzt seine Parteifreundin Nadja Zivkovic seit 2018 einflussreiche Posten. Zunächst als Wirtschaftsstadträtin, seit 2023 als Bezirksbürgermeisterin. Ihr Bezirk ist einer der wichtigen Geldgeber und -beschaffer des SLHC.
picture alliance/dpa | Annette Riedl
Eröffnung des SLHC mit Jens Spahn, Michael Müller, Nadja Zivkovic und Horst Riesenberg-Modeja (v.l.n.r.)
Seit 2021 überweist der Bezirk jedes Jahr 20.000 Euro Mitgliedsbeitrag an den Verein. Als Wirtschaftsstadträtin beantragte Zivkovic Fördergelder in Höhe von rund 450.000 Euro. Eine Hälfte stammt aus Fördertöpfen der EU, die andere aus ihrem Bezirk. “Gesundheitswirtschaftsstandort Marzahn-Hellersdorf, vom Netzwerk zum innovativen Cluster“ heißt das Vorhaben des SLHC, das hier gefördert wird.
Gerne hätten abgeordnetenwatch und der Tagesspiegel sich von Zivkovic erklären lassen, ob sie ein Problem in ihrer Doppelrolle im Bezirk und im Verein sieht. Zwei Mal sagte sie vereinbarte Gesprächstermine kurzfristig ab. Sie will sich nur schriftlich äußern.
Wofür der Verein das Geld ausgibt
Insgesamt wurden dem Verein beträchtliche Summen bewilligt: Geld vom Bezirk, Geld von der Senatsverwaltung, Geld vom Bund und aus der EU. Seit Vereinsgründung sind es mehr als 800.000 Euro Fördermittel.
Hinzu kommen Mitgliedsbeiträge von Unternehmen wie Lifta, Vivantes und Gasag. Wofür der Verein das Geld verwendet? Der Großteil gehe an zwei Mitarbeiterinnen für “die persönliche Beratung und die Organisation der Veranstaltungen”, schreibt Gräff auf Anfrage.
Doch hohe Ausgaben gibt es auch für einen anderen Zweck. Interne Unterlagen, die wir durch das Informationsfreiheitsgesetz von der Senatsverwaltung für Wirtschaft erhalten haben, enthalten Abrechnungen über Auslandsreisen. Dort informieren sich Personen aus dem Netzwerk des Vereins darüber, wie andere Länder mit der alternden Gesellschaft umgehen.
Insgesamt 87.000 Euro zahlte der Verein an die Außenhandelskammern (AHK) in Dubai, Singapur, Japan und Seoul. Die AHKs übernahmen dafür die Reiseplanung und Ausgaben vor Ort, etwa Transport oder Restaurants. Die Rechnungen gab das SLHC an die Senatsverwaltung weiter.
Personelle Überschneidungen
Bei den Reisen ist nicht immer klar, in welcher Rolle Gräff unterwegs ist. In einem Video auf Instagram wird er nicht etwa als Geschäftsführer des SLHC vorgestellt, der die Reise in Rechnung gestellt hat, sondern als Vorsitzender eines anderen Vereins: dem Gesundheitscampus am ukb e.V., dem Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn.
Das ist eine seltsame Sache: ein paar Jahre nach der Gründung des SLHC gründet Gräff diesen weiteren Verein, in dem er ebenfalls Geschäftsführer ist. Das SLHC und der Verein Gesundheitscampus am ukb teilen sich einen Briefkasten am “Haus der Zukunft”. Ebenso ähnelt die Finanzierung des Gesundheitscampus am ukb der des SLHC: Mitgliedsbeiträge vom Bezirk, Fördergelder für ein Netzwerk-Projekt von öffentlichen Stellen. Und dann sind da die Reisen, die zusammen stattfinden. Aber, schreibt Gräff auf Anfrage, es gebe “keinerlei Verrechnungen zwischen den Vereinen”.
Alter Bekannter als Gräffs Nachfolger
Auch nach Gräffs Rückzug aus der Landespolitik im vergangenen September behält der SLHC einen guten Draht ins Abgeordnetenhaus. Denn Gräffs Nachfolger als Abgeordneter ist ausgerechnet der CDU-Politiker Johannes Martin – ebenfalls ein Mitgründer des SLHC.
Die zahlreichen Verflechtungen rund um das SLHC werfen eine Vielzahl von Fragen auf. Warum wirbt Gräffs Geschäftspartner, der Immobilienunternehmer Lanz, in den Räumen des gemeinnützigen Vereins für ihr gemeinsames Unternehmen? Nutzte Gräff den Verein für eigene wirtschaftliche Zwecke?
Die Frage nach dem persönlichen wirtschaftlichen Vorteil lässt Gräff unbeantwortet. Auf Anfrage erklärt er, dass alle Mitglieder die Räume für die “Vorstellung ihrer Dienstleistungen und Produkte” benutzen dürfen. Der Verein nutze seine Mittel jedoch ausschließlich im Sinne der Satzung. Die von ihm gegründeten Unternehmen seien – bis auf Regionen Entwickler – noch nicht wirtschaftlich tätig geworden.
Die Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic schreibt auf die Frage, warum der Bezirk gerade diesem (von ihr mitgegründeten) Verein in den vergangenen Jahren mehr als 100.000 Euro an Mitgliedsbeiträgen zahlte: “Ich betrachte diese Beiträge als gerechtfertigt, da sie in einem angemessenen Verhältnis zu den Zielen und der Wirkung des Vereins stehen.” Durch die Vorstandsarbeit habe der Bezirk die Ausrichtung und Umsetzung der Satzungsziele immer mitverfolgen und gestalten können. Zu den Unternehmen von Gräff könne sie nichts sagen.