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Ein Blick auf die aktuellen Seitenwechsler:innen

Wie Politik als Sprungbrett für die Lobby-Karriere genutzt wird

Wer heute Gesetze macht und morgen Lobbyinteressen vertritt, gefährdet das Vertrauen in die Demokratie. Warum dieser Drehtüreffekt so gefährlich ist – und wie er gestoppt werden kann – lest ihr hier.

von Till Rose, 30.10.2025

 

Die Ampel ist Geschichte, die neue schwarz-rote Regierung ist bereits fast ein halbes Jahr im Amt. In den letzten Monaten haben viele Büros im Berliner Regierungsviertel ihre Bewohner:innen gewechselt. Abgeordnete scheiden aus, Minister:innen werden ausgetauscht – und viele nutzen die Gunst der Stunde für den Seitenwechsel: von der Politik direkt in die Wirtschaft oder in Lobbyverbände.

Aktuelle Seitenwechsler:innen hier für euch aufbereitet:

Weil es regelmäßig zu Seitenwechseln kommt, haben wir die brisantesten Fälle von Seitenwechsler:innen aus Bundestag und Bundesregierung für euch zusammengestellt – und erweitern die Sammlung kontinuierlich. Wir fokussieren uns dabei auf Fälle, in denen ein thematischer Interessenkonflikt zwischen der vorherigen politischen Tätigkeit und der neuen (Lobby-)Tätigkeit naheliegt. Auf der Regierungsebene beschränken wir uns neben Ex-Minister:innen auf besonders hochrangige ehemalige Entscheidungsträger:innen, wie (parlamentarische) Staatssekretär:innen oder Abteilungsleiter:innen. 

[Bitte auf den rechten Pfeil klicken bzw. nach rechts scrollen, um weitere Seitenwechsler:innen zu sehen.]

Dass ehemalige Politiker:innen und deren Mitarbeiter:innen nach ihrer Zeit im politischen Betrieb zu Lobbyist:innen werden, ist kein Zufall, sondern ein systemisches ProblemKürzlich berichtete unser unabhängiges Recherche-Team über diverse Seitenwechsel. Darunter beispielsweise Bengt Bergt (SPD): Als Abgeordneter entwickelte er noch die “Grüngasquote” und jetzt, nach seinem Ausscheiden, lobbyiert er für den Interessenverein Gas- und Wasserstoffwirtschaft e.V. Der weist laut Lobbyregister für seine Interessenvertretung ein beachtliches Jahresbudget von 430.000 Euro auf. Das Brisante an diesem Fall: Bengt Bergt stand schon während seiner Tätigkeit als Abgeordneter mit dem Verband in Kontakt. Es entsteht der Eindruck, dass er seinen Lobbysprung einfädelte, als er eigentlich noch die Interessen der Bürger:innen vertreten sollte.

Lindners Karriere nach dem Ministeramt – ein Interessenkonflikt?

Besonders problematisch ist auch der "politische Ruhestand" von Christian Lindner. Der ehemalige Bundesfinanzminister und FDP-Chef wechselt ein Jahr nach dem Bruch der Ampel-Regierung in die Privatwirtschaft. Seine neuen Jobs haben unter anderem mit dem Finanzsektor – und damit auch mit seinen im Ministeramt erworbenen Kontakten und Insider-Informationen – zu tun. Die meisten wurden aus diesem Grund von der Bundesregierung bereits mit einer Karenzzeit von 12 Monaten belegt, wodurch er erst ab dem 08.11.2025 mit diesen Posten startet.

Lindners neue Tätigkeiten (Auswahl):

  • Unternehmensberater (u.a. für das Jobportal Stepstone)
  • Berater bei Teneo, einem US-amerikanischen Beratungsunternehmen, das auch für Kunden aus der Finanzbranche lobbyiert
  • Angel-Investor für Start-Ups

Die Bundesregierung hatte Lindner die Auflage gemacht, keine Tätigkeiten zu übernehmen, die in direktem Zusammenhang mit seiner Ex-Ministerrolle stehen. Es ist jedoch fraglich, ob ein Interessenkonflikt bei seinen neuen Jobs überhaupt ausgeschlossen werden kann und ob eine 12-monatige Karenzzeit in seinem Fall ausreichend ist.
(Bislang) keine Sperrzeit gibt es für Lindners Rolle Mitglied im Kuratorium der Lobbyorganisation “Stiftung Familienunternehmen”. 

Vergoldete Adressbücher – und Zugänge

Ex-Politiker:innen sind aufgrund ihres Insider-Wissens und ihrer wertvollen Kontakte ein Mehrwert für die finanzstarke Wirtschaft und sie sind sich dieses Wertes bewusst. Im Umkehrschluss heißt das auch: Das höchstbietende Unternehmen erhält oft den besten Draht in die Politik.

Auch wenn Karrieresprünge vom Bundestag in die Lobby längst gängige Praxis sind: normal ist daran gar nichts. Sie sind Teil eines undurchsichtigen und gefährlichen Systems. Sie verschärfen das Ungleichgewicht zwischen Lobbygruppen mit viel Geld und fragwürdiger Personalpolitik und jenen Interessenvertretungen, die nicht die gleichen Möglichkeiten haben oder die dieses Spiel gar nicht mitspielen wollen. 

Und: Dieses System erweckt den Anschein, dass Politiker:innen für die eigenen Interessen und ihre Karriere nach der Politik arbeiten. Nicht für das Gemeinwohl und ihre Wähler:innen, die eigentlich im Zentrum ihres Handelns stehen sollten. Folgt nach der politischen Laufbahn eine lukrative Karriere in der Privatwirtschaft, die sie vorher noch mit ihren politischen Entscheidungen beeinflusst haben, stellt sich folgende Frage: Für wen arbeiten unsere Repräsentant:innen eigentlich? Für unsere Interessen – oder für die der Unternehmen, für die sie zukünftig lobbyieren wollen?

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Ist diese Praxis gängig und erlaubt?!

Die traurige Antwort ist: ja! Wir setzen uns jedoch dafür ein, das zu ändern.

Das sind die aktuellen Regeln: 

  • Es gibt eine Phase der Abkühlung nach dem Ausscheiden aus dem Amt, in der ein Wechsel von der Politik in die Wirtschaft vorerst untersagt werden kann – die sogenannte Karenzzeit.
  • Es existieren keine allgemeinverbindlichen Regeln für alle: Im Fall von Minister:innen und Parlamentarischen Staatssekretär:innen gilt eine Karenzzeit von 12 bis max. 18 Monaten; im Fall von Beamt:innen wie Staatssekretär:innen und Abteilungsleiter:innen gelten Anzeigepflichten und Karenzzeiten von drei bis fünf Jahren. Abgeordnete bleiben jedoch vollkommen unreguliert – sie können sofort in die Wirtschaft oder in Lobbyjobs wechseln. 

In der Praxis verfehlen diese Regelungen ihre Wirkung: 

  • Karenzzeiten von 12 bis 18 Monaten verhindern keineswegs, dass Politiker:innen ihr Insider-Wissen und ihre Kontakte zu Gold machen können!
  • Die "Verhängung" einer Karenzzeit ist immer eine Einzelfallentscheidung, die von einem (häufig) politisch besetzten "begleitenden Gremium" empfohlen und im Anschluss von der Bundesregierung getroffen wird. Es besteht dabei die Gefahr, dass diese Entscheidungen willkürlich getroffen werden.
  • Problematisch ist auch, dass die aktuellen Regelungen vor allem auf die Eigenverantwortung und das Gewissen der Politiker:innen setzen. Sanktionen bei Fehlverhalten? Fehlanzeige! 

Auch auf internationaler Ebene wird Deutschland immer wieder für die unzureichenden Karenzzeitregelungen kritisiert: 

  • Auf EU-Ebene wurde die Bundesregierung wiederholt dazu aufgerufen, die verpflichtenden Karenzzeiten für Bundesminister:innen und parlamentarische Staatssekretär:innen zu verlängern und anzugleichen. Sowohl von der EU-Kommission in ihrem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2024, als auch von der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates („GRECO“)  in ihrem 2. Umsetzungsbericht 2025. Zur Kritik.
  • Außerdem forderte die GRECO ein unabhängiges Gremium sowie einen Durchsetzungsmechanismus zur Karenzzeit.
  • Doch die Bundesregierung hat diese internationalen Empfehlungen zum wiederholten Mal nicht umgesetzt und wird dafür immer wieder gerügt.
  • Dass es auch anders geht, zeigen fortschrittlichere Regelungen in Frankreich, Spanien, der Europäischen Union oder auch Kanada.

Wir fordern:

  • Die Ausweitung der Karenzzeit für Regierungsmitglieder und parlamentarische Staatssekretär:innen auf mindestens drei Jahre.
  • Die Einführung einer Karenzzeit für Bundestagsabgeordnete von mindestens drei Jahren im Fall von Interessenkonflikten und ein Verbot von Lobbytätigkeiten währenddessen.
  • Die Überprüfung von Seitenwechseln und die Empfehlung der Karenzzeit durch eine unabhängige Instanz nach klaren Richtlinien.
  • Im Fall von Pflichtverstößen – etwa Missachtung der Anzeigepflicht oder der Karenzzeit – sollten wirksame Sanktionen verhängt werden.

Schließe dich unseren Forderungen an! Mit unserer Petition "Von der Macht zum Geld - jetzt Lobbysprünge stoppen! Für strengere Karenzzeitregeln für Spitzenpolitiker:innen!" fordern wir die Politik auf, Seitenwechsel strenger zu regulieren und Karenzzeitregeln wirksamer auszugestalten. Bereits über 20.000 Menschen unterstützen unsere Forderungen – hilf uns, 30.000 Unterschriften zu erreichen! Mit einem Klick auf den folgenden orangenen Button gelangst du direkt zur Petition.

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