Das sind die Abgeordneten, die vom Bundestag in den Lobbyismus wechselten
Mindestens 20 Ex-Abgeordnete sind nach der Bundestagswahl als Lobbyist:in tätig geworden. Einige gründeten eigene Beratungsunternehmen, mit denen sie im Auftrag einer einflussreichen Lobbyagentur arbeiten.
Zwei Tage nachdem Udo Schiefner aus dem Bundestag ausschied, ließ er ein Beratungsunternehmen ins Handelsregister eintragen: Schiefner-Impuls GmbH. Für die SPD war Schiefner kurz davor noch Vorsitzender des Verkehrsausschusses gewesen. Nun stellt er seine langjährigen Erfahrungen und Kontakte in die Politik einer der größten und einflussreichsten Lobbyagenturen Deutschlands zur Verfügung: Eutop.
Für Eutop lobbyiert Schiefner vor allem für den Ölkonzern Exxon Mobil und für Edeka. Für diese Unternehmen führe er Gespräche mit Abgeordneten, Vertreter:innen der Bundesregierung und der Bundesministerien, wie er im Lobbyregister angibt.
Als Schiefner noch im Bundestag saß, sprach er sich dafür aus, dass “Lobbyisten ihre Kontakte mit der Bundesregierung im Lobbyregister dokumentieren müssen”. Auf die Frage nach Kontakten, die er jetzt selbst als Lobbyist mit Abgeordneten und der Regierung hat, antwortete Schiefner nicht.
Wenn Politiker Lobbyagenturen gründen
Schiefner ist nicht der einzige Abgeordnete, der nach der Bundestagswahl im Februar 2025 eine Agentur gründete. Das ergibt sich aus dem Lobbyregister, in dem Interessenvertreter:innen eine vorherige Tätigkeit im Bundestag, der Bundesregierung und der Verwaltung angeben müssen.
Insgesamt, so zeigt eine Recherche von abgeordnetenwatch, haben seit der Wahl mindestens 20 Abgeordnete die Seiten gewechselt.
[Tabelle "Aus dem Bundestag in den Lobbyismus": Um die Tabelle angezeigt zu bekommen, musst du ggfs. erst den Schieberegler aktivieren.]
Der langjährige SPD-Abgeordnete Wolfgang Hellmich etwa saß in der letzten Legislaturperiode im Verteidigungsausschuss und im Gremium “Sondervermögen Bundeswehr”. Auch heute hat er noch mit dem Thema Verteidigung und Bundeswehr zu tun – nun als Lobbyist.
In den letzten Wochen seiner Tätigkeit im Bundestag ließ er die Beratungsfirma HC-Hellmich-Consulting ins Handelsregister eintragen, die eine “strategische Beratung und Erbringung von Leistungen der Interessenvertretung” anbietet. Laut Lobbyregister ist sie unter anderem im Bereich “Bundeswehrangelegenheiten; Rüstungsangelegenheiten; Verteidigungspolitik” tätig. Hellmich arbeitet ebenfalls im Auftrag von Eutop.
Für welche Eutop-Kunden er sich einsetzt, ergibt sich aus dem Lobbyregistereintrag nicht. Auf eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de reagierte Hellmich nicht.
Eutop Europe gibt im Lobbyregister 32 Kunden an, darunter Daimler, den Halbleiterhersteller Infineon und den Rüstungskonzern KNDS.
“Spannender Termin” mit einem künftigen Kunden
Auch Manfred Grund, der bis zur vorgezogenen Bundestagswahl für die CDU im Auswärtigen Ausschuss saß, hat sich mit einer Agentur selbstständig gemacht. Den Auftraggeber, den er mit seiner Manfred Grund Consulting im Lobbyregister offenlegt, ist auch hier: Eutop. Grund lobbyiert demnach insbesondere für den Eutop-Kunden PPF, eine Investmentgruppe.
Das Unternehmen kannte Grund schon vor seinem Seitenwechsel. Im Dezember 2024 teilte Grund ein Foto mit einem PPF-Lobbyisten. Es sei ein “spannender Termin” in seinem Berliner Büro gewesen, schrieb der damalige CDU-Abgeordnete.
picture alliance / Thomas Koehler/photothek.de | Thomas Koehler
Einer von zahlreichen Ex-Abgeordneten, die mittlerweile in Diensten der Lobbyagentur Eutop stehen: Manfred Grund (CDU)
Mit dem CDU-Politiker Hans-Jürgen Thies hat die Agentur Eutop einen weiteren Ex-Abgeordneten für sich gewonnen. Er habe sich vorsorglich ins Lobbyregister eingetragen. Erst in Zukunft will er für Eutop lobbyieren, bisher habe er das noch nicht getan, teilte Thies abgeordnetenwatch mit.
Von der Gesundheitsexpertin im Bundestag zur Senior Advisor Health
Kristine Lütke war in der vergangenen Wahlperiode FDP-Obfrau im Gesundheitsausschuss. Nachdem die FDP den Wiedereinzug ins Parlament verpasste, begann sie bei der Lobbyagentur 365 Sherpas als Senior Advisor Health. Auf Anfrage sagte Lütke, sie wolle als selbstständige Beraterin auch für andere Auftraggeber tätig werden.
Zu den Kunden von 365 Sherpas gehören unter anderem die Pharmakonzerne MSD Sharp & Dohme GmbH, Sanofi-Aventis und Astra Zeneca. (Mehr über die Verbindungen von 365 Sherpas zur Spitzenpolitik gibt es hier.)
Den Weg in die Selbstständigkeit nahm auch die Grüne Anna Christmann.Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag blieb sie noch einen Monat lang Koordinatorin für die Deutsche Luft- und Raumfahrt im Wirtschaftsministerium. Nun baut sie das Beratungsunternehmen SAI Europe auf, das sie bereits ins Lobbyregister eingetragen hat.
“Es war mir ein Anliegen, hier von Anfang an transparent zu sein”, sagte sie zu abgeordnetenwatch.
Bisher hatte Christmann noch keine Lobbykontakte zur Bundesregierung oder in den Bundestag. Einen Auftrag hat sie aber schon: Für den Forschungscampus Arena2036 will sie Einschätzungen der zuständigen Behörden zum Projekt einholen.
Früher Volksvertreter, jetzt in Diensten von Unternehmen
Zwölf Jahre lang saß Dieter Janecek für die Grünen im Bundestag, nun arbeitet er für den Maschinenbauer Flender GmbH. Das Unternehmen hat sich Ende Juli ins Register eingetragen. Wieso erst jetzt? Laut Janecek besetzte Flender mit ihm zum ersten Mal eine Public Affairs-Stelle. “Deshalb wurde umgehend die Eintragung ins Lobbyregister veranlasst”, sagte er zu abgeordnetenwatch.
Der SPD-Abgeordnete Johannes Arlt gehörte bis März dem Verteidigungsausschuss an. Heute lobbyiert er für den Kampfdrohnenhersteller Stark Defence, der mit Risikokapital des Tech-Milliardärs Peter Thiel aufgebaut worden sein soll. Im Laufe dieses Jahres erwartet Stark Defence eine Entscheidung der Bundeswehr über einen Großauftrag. (Mehr zu Arlt und seiner Verbindung zu Verteidigungsminister Boris Pistorius gibt es hier.)
picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Verteidigungsminister Boris Pistorius (2. v.l.) und Johannes Arlt (3. v. l.). Der heutige Rüstungslobbyist Arlt saß bis März noch für die SPD im Verteidigungsausschuss (Aufnahme bei einer NATO-Übung 2024).
Der Lobbyist lobt die spannenden Einblicke
Ein weiterer Seitenwechsler ist Konrad Stockmeier (FDP), heute in Diensten von NetzeBW, einer EnBW-Tochter. Für seinen neuen Arbeitgeber hat er positive Worte übrig: “Ich habe in meinen Jahren als Parlamentarier die EnBW als strategisch ambitionierten, hochkompetenten Akteur in der Energiewirtschaft kennengelernt”, schreibt er auf LinkedIn. Eines der eindrücklichsten Gespräche sei das mit Vertretern des Betriebsrates der NetzeBW gewesen.
Der ehemalige FDP-Politiker war im Juli für den Verteilnetzbetreiber in Berlin. Stockmeier lobte die “spannenden Insights” von Bundestagsmitgliedern und Fachleuten aus dem Wirtschaftsministerium.
Aus dem Bauausschuss zum Wohnungskonzern
Markus Hümpfer, ein ehemaliger SPD-Abgeordneter, ist seit Juli Konzernbeauftragter für Bundespolitik beim Energieversorgungsunternehmen EWE AG. In der Materie kennt er sich aus: Hümpfer saß zuvor im Ausschuss für Klimaschutz und Energie im Bundestag.
Zwischen seinem Ausscheiden aus dem Bundestag und seinem neuen Job habe Hümpfer “bewusst eine persönliche Karenzzeit eingehalten”, sagte er zu abgeordnetenwatch.
Schon als Abgeordneter hatte er mit EWE zu tun. 2023 verfasste Hümpfer gemeinsam mit einem Konzernlobbyisten, der den Bereich “Politische Angelegenheiten” leitet, einen Gastbeitrag zur Wärmewende.
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Bis zur Bundestagswahl saß der SPD-Abgeordnete Timo Schisanowski im Bauausschuss. Jetzt lobbyiert er für den Wohnungskonzern Vonovia.
Vom Bauausschuss zum Wohnungskonzern Vonovia wechselte Timo Schisanowski (SPD). Dort kümmert er sich “insbesondere um die Mietenpolitik sowie die Public Affairs-Arbeit auf Bundesebene und in Nordrhein-Westfalen”, teilte eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage mit.
Das Unternehmen besitzt mehr als eine halbe Million Wohnungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und ist ein großer Player im Lobbygeschäft: Für Interessenvertretung gab Vonovia 2024 rund 700.000 Euro aus.
“Das gehört sich nicht”
Unter allen Abgeordneten, die nach der Bundestagswahl die Seiten wechselten, ist Fabian Griewel eine Ausnahme. Als Einziger kehrte er in seinen alten Job zurück. Nach dem Ausscheiden der FDP wurde er wieder “Senior Manager Public Affairs” bei Axel Springer. Die Kontakte, die er im Bundestag bei der gemeinsamen Arbeit knüpfte, will er dafür aber nicht aktivieren. “Das gehört sich nicht”, sagte er abgeordnetenwatch am Telefon.
Schon als Abgeordneter in Kontakt mit dem heutigen Arbeitgeber
Für Schlagzeilen sorgte kürzlich der ehemalige SPD-Abgeordnete Bengt Bergt. Im Bundestag entwickelte er das Konzept der “Grüngasquote”, jetzt lobbyiert er für einen großen Lobbyverband für eben diese Maßnahme. Der Verein Gas- und Wasserstoffwirtschaft e.V. hat dafür ein beachtliches Jahresbudget: bis zu 430.000 Euro.
Recherchen des Bayerischen Rundfunk zeigen, dass Bergt schon als Abgeordneter mit dem Verband in Kontakt war. Seine Grüngasquote schaffte es sogar in den Koalitionsvertrag. Auf eine Anfrage zu Bergts Lobbykontakten reagierte der Verband nicht.
Steueranreize und Investitionen für die deutsche Filmbranche
Die ehemalige SPD-Abgeordnete Michelle Müntefering vertritt seit Juni als CEO die Interessen des Arbeitgeberverbands Allianz Deutscher Produzentinnen und Produzenten - Film, Fernsehen und Audiovisuelle Medien. Ihre Anliegen: Steueranreize und Investitionen für die deutsche Filmbranche.
"Mit ihrer umfangreichen Tätigkeit vertritt Frau Müntefering die Interessen der Produzentinnen und Produzenten auch nach Außen, selbstverständlich auch gegenüber der Politik", schreibt eine Sprecherin der Produktionsallianz auf Anfrage.
Ehrenamtlich im Einsatz für die Wasserstoffwirtschaft
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Unter der Bezeichnung "H2-Botschaft" hat sich der ehemalige SPD-Politiker Andreas Rimkus im Lobbyregister eingetragen. Seine Tätigkeit sei ehrenamtlich.
Aus privater Initiative lobbyiert Andreas Rimkus, der in der vergangenen Wahlperiode Wasserstoffbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion war. “Ich bin als H2-Botschafter ehrenamtlich in und mit meiner Botschaft unterwegs“, sagte er zu abgeordnetenwatch.
Dafür hat Rimkus bereits eine sechsseitige Stellungnahme an seine ehemaligen Kolleg:innen im Bundestag verschickt, in der er einen Regulierungsrahmen für den Markthochlauf von Wasserstoff fordert.
Seit Juni ist der frühere Abgeordnete Marcus Faber für den FDP-nahen Verein Liberale Soldaten und Veteranen e.V. als Interessenvertreter eingetragen. Im Bundestag war Faber Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Ob er die Vereinsarbeit ehrenamtlich ausübt, ist unklar. Faber antwortete nicht auf eine Anfrage.
Lobbyjob kurz nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag? “Sehe ich kritisch”
Laut Lobbyregister engagiert sich der Ex-Abgeordnete Sven-Christian Kindler bei GermanZero für Klimaschutz. Der gemeinnützige Verein fordert etwa eine Frist zur Verbrennung fossiler Brennstoffe für die Industrie. Davor war Kindler haushaltspolitischer Sprecher für die Grünen im Bundestag.
Für die Grünen saß Sabine Grützmacher im Digitalausschuss, nun setzt sie sich im Verein LOAD e.V. für die Abschaffung des Hackerparagraphen und andere digitale Themen ein. Das macht sie ehrenamtlich. “Eine angestellte Tätigkeit in einer Interessenvertretung kurz nach Austritt aus dem Bundestag sehe ich eher kritisch”, sagte sie zu abgeordnetenwatch.
Verstoß gegen das Gesetz?
Manche Ex-Abgeordnete legten ihre Lobbytätigkeiten erst nach Medienanfragen offen und verstießen damit womöglich gegen das Lobbyregistergesetz.
Das ZDF-Magazin frontal hatte Oliver Grundmann (CDU) und Bernd Westphal (SPD) mit ihrer Interessenvertretung für die Lobbygruppe Carbon Management Allianz konfrontiert. Hinter der Lobbygruppe stehen Ölkonzerne wie Exxon Mobil und Total Energies. Erst nach der Anfrage wurden die ehemaligen Abgeordneten im Lobbyregistereintrag der CMA eingetragen. Westphal lobbyiert außerdem im Auftrag von Eutop für Exxon Mobil.
Anmerkung: Im Rahmen einer am 15. Juli 2025 veröffentlichten Recherche zu Seitenwechseln fanden wir zwölf Abgeordnete, die nach der Bundestagswahl Lobbyist:innen wurden. Seitdem haben sich zahlreiche Ex-Abgeordnete neu ins Lobbyregister eingetragen: Eine erneute Analyse ergab insgesamt 20 Fälle (Stand: 29. Juli 2025) .