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Mehr Transparenz wagen: Bundestagspläne zu Nebeneinkünften gleichen einer Sensation

Bis jetzt ist es nur ein Vorschlag, doch der hat es in sich: Im Bundestag gibt es Pläne, die Veröffentlichungspflicht bei den Nebeneinkünften unserer Abgeordneten vollkommen neu zu regeln und so Licht ins Dunkel zu bringen bei den teils absurd hohen Nebenverdiensten.

von Martin Reyher, 04.05.2011

Bislang ist es so: Wer als Bundestagsabgeordneter 7.000 Euro oder mehr nebenher verdient, muss lediglich Einkünfte „über 7.000 Euro“ ausweisen, ganz egal ob er 7.001 Euro kassiert oder eine halbe Million. Und das sah dann zum Beispiel so aus:

 

Doch damit soll bald Schluss sein. Noch existiert zwar kein offizielles Dokument mit den Reformvorschlägen, doch nach Informationen von abgeordnetenwatch.de empfiehlt die Rechtsstellungskommission des Bundestags-Ältestenrats die Einführung der folgenden Veröffentlichungsstufen für Nebeneinkünfte:

  • 10.000 - 20.000 (Stufe 1)
  • 20.000 - 30.000 (Stufe 2)
  • 30.000 - 40.000 (Stufe 3)
  • 40.000 - 50.000 (Stufe 4)
  • 50.000 - 100.000 (Stufe 5)
  • 100.000 - 150.000 (Stufe 6)
  • über 150.000 (Stufe 7)

Die neuen Transparenzregeln hätten für manche Abgeordnete ganz konkrete Auswirkungen. Einige Beispiele:

  • der CDU-Abgeordnete und Forschungsminister a.D. Heinz Riesenhuber erhielt 2010 als Berater für das Biotech-Unternehmen EVOTEC 20.000 Euro. Statt Einkünften "über 7.000 Euro" müsste er künftig einen Verdienst "zwischen 20.000 und 30.000 Euro" angeben.
  • der CDU-Abgeordnete Peter Wichtel kassierte vergangenes Jahr als Aufsichtsratsmitglied beim Flughafenbetreiber FRAPORT 30.250 Euro. Nach den nun diskutierten Transparenzregeln würde die Öffentlichkeit künftig erfahren, dass es sich um einen Nebenverdienst „zwischen 30.000 und 40.000 Euro“ handelt - und nicht nur „über 7.000 Euro“.
  • der SPD-Bundestagsabgeordnete und frühere Finanzminister Peer Steinbrück strich im Geschäftsjahr 2009/2010 für seinen Aufsichtsratsposten beim Stahl- und Rüstungskonzern ThyssenKrupp AG 47.907 Euro ein. In Zukunft erführen wir, dass es nicht nur „über 7.000 Euro“ waren, sondern „zwischen 40.000 und 50.000“ Euro.
  • der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach bezog 2010 als Aufsichtsratsmitglied des privaten Klinikbetreibers Rhön-Kliniken sogar 56.000 Euro, musste bisher aber lediglich „über 7.000 Euro“ angeben. Künftig wird jeder nachlesen können, dass Lauterbach für seine Nebentätigkeit Einnahmen zwischen 50.000 und 100.000 Euro erhält.
  • am extremsten dürften die Auswirkungen bei hohen Einmalzahlungen sein. Als Vorschuss für seinen Bestseller „Unterm Strich“ gibt Peer Steinbrück ein Honorar von „über 7.000 Euro“ an. Tatsächlich dürfte es sich nach abgeordnetenwatch.de-Informationen um einen mittleren sechsstelligen Betrag handeln, den prominente Politiker vom Schlage Steinbrücks mit ihrem Verlag aushandeln. Treten die neuen Transparenzregeln in Kraft, müsste der frühere Finanzminister vermutlich ein Honorar von „über 150.000 Euro“ ausweisen.

Wie weitreichend die Änderungen im Vergleich zum Status quo sind, zeigt nachfolgende Grafik:

Am rechten Balken sind die bisherigen Veröffentlichungsstufen bei Nebeneinkünften abzulesen. Wer über 7.000 Euro dazu verdiente, musste darüber keine genaueren Angaben machen. Der linke Balken zeigt die jetzt diskutierten Reformvorschläge. Die Stufen sind sehr viel ausdifferenzierter - und vor allem höher. Bei 150.000 Euro soll die höchste der sieben Stufen liegen, in die die Abgeordneten ihre Einkünfte aus Nebentätigkeiten künftig einordnen sollen.
 

Etwa 100 Abgeordnete, die derzeit noch die Höchststufe 3 ("über 7.000 Euro") ausweisen, müssten in Zukunft sehr viel weitreichendere Angabe zu ihren Nebeneinkünften machen. Und das tut dringend Not.

An den bisherigen Veröffentlichungsregeln hatte es in der Vergangenheit immer wieder Kritik gegeben, zuletzt im Sommer 2010, als abgeordnetenwatch.de-Recherchen über mehrere Dutzend hoch bezahlte Honorarvorträge von Peer Steinbrück bundesweit für Schlagzeilen sorgten. Selbst im Bundestag waren kritische Stimmen laut geworden.

 

Unter dem Eindruck der medialen Empörung über die Nebenverdienste von Peer Steinbrück schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann einige Wochen später einen Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert, in dem er die derzeitigen Veröffentlichungsgrenzen für Nebeneinkünfte als unzureichend kritisierte. In dem Brief, der abgeordnetenwatch.de vorliegt, schreibt Oppermann:

Tatsächlich liegt die Höhe der Nebeneinkünfte im Einzelfall wesentlich höher als 7.000,- €. Schon für einen einfachen Vortrag werden mitunter fünfstellige Beträge gezahlt, auch bei der Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten und Beratertätigkeiten kann mit Zahlungen zu rechnen sein, die deutlich im fünfstelligen Bereich liegen. Wenn nun ein Abgeordneter 50.000,- € erhält und dies als „über 7.000,- €“ bezeichnet wird, so ist das zwar nicht falsch, aber offensichtlich irreführend. Die tatsächliche Höhe der Einkünfte wird durch die auf 7.000,- € begrenzten Einkommensstufen verschleiert. Das Ausmaß der Nebentätigkeit kann so vom Bürger und von der Öffentlichkeit nicht beurteilt werden.

Damit hatte Oppermann zweifellos recht, doch als Konsequenz forderte er nicht etwa eine vollkommene Offenlegung von Nebeneinkünften, sondern lediglich zwei zusätzliche Stufen in Höhe von 15 000 Euro und 25 000 Euro.

Und hier liegt die eigentliche Sensation der nun bekannt gewordenen Vorschläge des Ältestenrats, dem neben Bundestagspräsident Norbert Lammert auch Oppermann und die Parlamentarischen Geschäftsführer der übrigen Fraktionen angehören: Das Gremium verlangt Offenlegungsgrenzen, die alle bisherigen Forderungen aus dem Parlament weit in den Schatten stellen. Höchstgrenzen von 150.000 Euro - das ist sogar deutlich mehr, als sogar Linke und Grüne, die traditionell wenige Spitzenverdiender in ihren Reihen haben, bislang verlangten. Denn als abgeordnetenwatch.de im November 2010 die Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktionen nach ihren Vorschlägen für eine Reform der Veröffentlichungspflichten befragte, wollten Dagmar Enkelmann (Linke) und Volker Beck (Grüne) zwar als einzige weitergehen als Oppermann mit seiner Mini-Reform, doch auch sie plädierten nur für Höchststufen von 96.000 Euro bzw. 100.000 Euro. Bei Union und FDP war wenig bis gar keine Bereitschaft zu erkennen, bei den Nebeneinkünften für mehr Transparenz zu sorgen.

Nun also 150.000 Euro.

Zwar bliebe das Parlament damit noch weit hinter der Forderung von abgeordnetenwatch.de zurück, die exakte Höhe von Einnahmen aus Aufsichtsratsposten oder Honorarvorträgen zu veröffentlichen. Und auch der Plan, jährliche Einkünfte zwischen 0 und 10.000 Euro nur noch dann bekanntzugeben, wenn sie von einem einzigen Auftraggeber stammen und in der Summe 10.000 Euro pro Jahr übersteigen (Bagatellgrenze), ist inakzeptabel. Doch gemessen am Ist-Zustand wäre die Reform insgesamt ein Riesenschritt auf dem Weg zur vollkommenen Transparenz bei den Nebenverdiensten unserer Abgeordneten. Denn die Angaben wären damit in Zukunft sehr viel näher an der Wirklichkeit, als es bislang der Fall ist.

Die Offenlegung der Nebeneinkünfte unserer Abgeordneten ist deswegen von so großer Bedeutung, weil sie uns die Frage erlaubt, welche Gegenleistung ein Politiker eigentlich dafür erbringen muss, dass ihm ein Unternehmen 30.000, 50.000 oder 120.000 Euro zahlt. Und daran schließt sich zwangsläufig eine weitere, äußerst zentrale Frage an: Wenn ein Abgeordneter so viel Geld für seine Nebentätigkeit erhält - kann dann die eigentliche Haupttätigkeit, die des Bundestagsabgeordneten, überhaupt noch im Mittelpunkt stehen, wie es das Abgeordnetengesetz verlangt?

 

Offenbar meinen es die Parteien ernst mit der Reform der Transparenzregeln. Dafür spricht eine eMail von Peter Altmaier, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de bestätigte er, dass sich „alle Fraktionen“ darauf verständigt hätten, das Jahreseinkommen der Abgeordneten aus Nebeneinkünften zukünftig in den sieben Stufen zu veröffentlichen. Altmaier weiter: „Die auf sieben erhöhte Zahl der Stufen ermöglicht eine stärkere Differenzierung veröffentlichungspflichtiger Einkünfte. Durch die höheren Eurobeträge wird die Größenordnung der Einkünfte deutlicher als bisher erkennbar.“

 

Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, begrüßte die Reform. Die Anregung zu höheren neuen Einkommensstufen für die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte sei "von allen Oppositionsfraktionen offensiv vertreten" worden, schrieb sie auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de. Enkelmann weiter:

Wir wollten noch viel mehr Transparenz erreichen, würden jedoch mit den derzeit in der Debatte befindlichen Empfehlungen des Rechtsstellungskommission wohl letztlich mitgehen können, um die zentrale Regelung, nämlich die bessere Erkennbarkeit gerade der höheren Nebeneinkünfte für die Öffentlichkeit durchzusetzen. Dies erscheint mit einer Erkennbarkeit von Beträgen in der Größenordnung von 150.000 Euro gegenüber der bisherigen Größenordnung von 7000 Euro eindeutig gelungen. Die Absenkung der allgemeinen - nunmehr nur noch jährlichen - "Bagatellgrenze" auf 10.000 Euro ist aus unserer Sicht aber nicht richtig. Wir werden weiterhin für die Beibehaltung der bisherigen Bagatellgrenze streiten und hoffen mit unseren guten Argumenten überzeugen zu können. Letztlich handelt es sich aber - wie Sie sich vorstellen können - um einen Kompromiss der anfangs doch recht gegenteiligen Auffassungen von Regierung und Opposition. Wie Sie den Beiträgen ihres Blogs entnehmen können, hat die Opposition hier schon bisher ziemlich viel Überzeugungarbeit geleistet.

Endgültig entscheiden muss nun noch der Bundestag.

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Nachtrag vom 10.05.2011: Die taz beruft sich heute in einem Artikel über eine Kampagne mehrerer NGOs gegen die Transparenzregeln am Rande auch auf diesen Blogartikel und schreibt:

Die Internetplattform Abgeordnetenwatch geht davon aus, dass sich bei Spitzenpolitikern hinter der Stufe 3 nicht selten Beträge in fünfstelliger Höhe verbergen.

Interessant ist die Äußerung von Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Oppermann erklärt gegenüber der taz:

Die Rechtsstellungskommission zieht damit auf Initiative der SPD die Konsequenzen aus der Debatte um die zahlreichen bezahlten Reden von Guido Westerwelle.

Das ist ein netter Versuch, dem politischen Gegner eins mitzugeben, doch es entspricht allenfalls der halben Wahrheit. Zwar hielt Guido Westerwelle vor seiner Ernennung zum Außenminister 36 bezahlte Vorträge (die allermeisten übrigens der Stufe 3). Doch viel aktueller ist der Fall Peer Steinbrück, also Oppermanns Parteikollege. Über ihn und seine inzwischen 51 Honorarvorträge seit der Bundestagswahl 2009 gab es vergangenen Sommer solche Schlagzeilen:

 

 

 

 

 

 

 

Nachtrag vom 25.10.2012: Politiker von CDU/CSU und FDP haben in den vergangenen Wochen zwar von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eine Komplettoffenlegung seiner Nebeneinkünfte gefordert, wollen so viel Transparenz bei sich selber aber nicht. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich gestern auf ein zehn stufiges Modell mit folgenden Stufen geeinigt: 1.000€ |3.500 € |7.000 € |15.000€ | 30.000€ | 50.000€ | 75.000€ |100.000€ |150.000€ |250.000€

Die Anhebung der Bagatellgrenze ist scheinbar vom Tisch, aber aus Sicht von abgeordnetenwatch.de ist auch der Vorschlag von Schwarz-Gelb unzureichend. Auf diese Weise wird nicht nur alles komplizierter - auch das Verschleiern von Nebeneinkünften bleibt weiterhin möglich. Deswegen fordern wir eine komplette Offenlegung aller Nebeneinkünfte vom ersten bis zum letzten Cent.

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