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Im Gespräch mit zwei Interessenvertretern

"Ohne Lobbyismus hätten wir weit schlechtere Gesetze"

Wie arbeiten Lobbyisten - und was halten sie von einem Lobbyregister? Im Gespräch mit abgeordnetenwatch.de berichten zwei Interessenvertreter, auf wie viele Gesetzentwürfe sie eingewirkt haben und wie wichtig der direkte Zugang zu Entscheidungsträger:innen ist. Matthias Berninger war früher Politiker der Grünen und ist heute als Cheflobbyist für den Chemiekonzern Bayer tätig, John Hendrik Weitzmann arbeitet für die Initiative Wikimedia.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 08.10.2020

Ein Video des Gesprächs finden Sie am Ende des Textes.

abgeordnetenwatch.de: Herr Berninger, seit 2007 sind Sie als Lobbyist tätig, seit Anfang 2019 arbeiten Sie für den Chemiekonzern Bayer. Erzählen Sie uns etwas über Ihren Alltag. Was macht ein Lobbyist genau?

Berninger: Als Lobbyist für ein Unternehmen schaut man, welche Themen für das Unternehmen besonders relevant sind. Man versucht, Einfluss darauf zu nehmen, inwiefern die unternehmerischen Aktivitäten politisch eingeschränkt oder verbreitert werden. Bei Bayer leite ich verschiedene Teams, etwa das Nachhaltigkeits-Team, die Stiftung, aber auch das Lobbyismus-Team. Meine Hauptaufgabe ist es, die Teams zu koordinieren, weniger, direkt an Entscheidungsträger heranzutreten.

Weitzmann: Mein Team bei Wikimedia Deutschland besteht aus fünf Personen in Berlin und zwei Kollegen, die in Brüssel tätig sind. Generell sind wir sicherlich etwas kleiner aufgestellt als Bayer. Ich komme neben meiner Tätigkeit als Teamleiter hin und wieder auch mit Abgeordneten, Politikern und Verbänden in Kontakt.  

 


Die Gesprächspartner:

John Hendrik Weitzmann (Wikimedia) und Matthias Berninger (Bayer AG)
Im Gespräch über ihre Arbeit: Die Interessenvertreter John Hendrik Weitzmann von Wikimedia (links) und Matthias Berninger von der Bayer AG

John Hendrik Weitzmann ist Leiter des Teams Politik und Recht bei dem Verein Wikimedia Deutschland, der sich für freies Wissen und freie Inhalte einsetzt und das Projekt Wikipedia unterstützt. Weitzmann koordiniert seit 2016 die Interessenvertretung und ist für den Verein auf Veranstaltungen und Diskussionen unterwegs, um mit relevanten Akteuren über die Wikimedia-Anliegen zu diskutieren.

Matthias Berninger ist seit 2019 Leiter des Bereichs Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit im Konzern Bayer und will mit seiner Arbeit die Themen und Interessen des Konzerns an die Politik heranbringen. Zuvor arbeitete er für den Süßwarenhersteller Mars in Brüssel, saß bis 2007 für die Grünen im Bundestag und war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2001-2005). 


 

Wer legt fest, welche Themen in der Öffentlichkeit vertreten werden sollen? Sie als Leiter des Lobbyismus-Teams?

Weitzmann: Bei uns gibt es einen partizipativen Prozess der Zielbestimmung, in den der gesamte Verein einbezogen wird. Mitglieder können über verschiedene Zielsetzungen abstimmen, die letztendliche Entscheidung trifft dann die Geschäftsstelle.

Und daraus entwickeln Sie Strategien, um die Interessen und Ziele zu vertreten?

Weitzmann: Wir überlegen uns, welche Veränderungen wir hervorrufen wollen und entwickeln Maßnahmen und Aktivitäten, wie diese Veränderungen erreicht werden können. Natürlich reagieren wir auch immer auf aktuelle Ereignisse. Ich schätze, das ist bei Bayer ähnlich?

Berninger: In der Regel ist es so, dass die Experten von Bayer aktuelle Themen bestimmen und Positionen des Unternehmens entwickeln. Je wichtiger die Themen sind, desto mehr Hierarchieebenen sind eingebunden. Die konzernweit relevanten Themen entscheidet dann der Vorstand

"Ganz wichtig ist für uns der Kontakt zu Abgeordneten"

Mit welchen Akteuren versuchen Sie in Kontakt zu treten, und über welche Wege geschieht dies?

Weitzmann: Mich und mein Team interessieren die Regeln, die die Entstehung von freiem Wissen beeinflussen. Diese Regeln entstehen auf der gesetzlichen sowie auf der institutionellen Ebene. Daraus ergibt sich ein breites Feld von interessanten Akteuren und Themen: Von internationalen Handelsabkommen, über nationale Parlamente bis hin zu nationalen Institutionen. Zum einen sprechen wir mit Verbänden, Gewerkschaften, Nicht-Regierungsorganisationen oder Urheberinnen und Urhebern. Ganz wichtig ist für uns der Kontakt zu Abgeordneten. Meistens reden wir mit den Mitarbeitenden der Abgeordneten, sehr selten mit den Abgeordneten selbst. Über E-Mails, Rundbriefe oder Gratulationsschreiben zu neu erlangten Ämtern nehmen wir Kontakt auf und bieten an, uns kennenzulernen. Wir konzentrieren uns auch auf die Ausschüsse, die für die Themen zuständig sind, etwa den Rechtsausschuss. Geht es um konkrete Themen und Gesetze, stehen wir meist mit den Referatsleitungen des zuständigen Ministeriums in Kontakt, weniger mit den politischen Beamten.  

Wie laufen diese Kennenlerntreffen ab?

Weitzmann: Meistens vereinbaren wir einen Termin und organisieren ein allgemeines Kennenlernen mit Personen, von denen wir glauben, dass unsere Themen dort richtig platziert sind. Wir zeigen, wofür wir stehen und was Wikimedia eigentlich macht. Viele kennen nur Wikipedia, wissen aber nicht, was wir sonst noch machen. Manchmal haben wir aber schon konkrete Ideen, was die Gäste interessiert und welche Positionen wir dort am besten platzieren könnten.  

Plenum des Deutschen Bundestages
Sitzung des Deutschen Bundestages | "Bei interessanten Sitzungen sind wir früher über die Abgeordneten auch ohne Hausausweis in die Zuhörendenbereiche gekommen"

Wo treffen Sie sich mit den Akteuren?

Weitzmann: Wir treffen uns dort, wo die jeweiligen Personen sitzen. Entweder in Ministerien oder in den Büros der Abgeordneten im Bundestag.

Seit 2019 verfügt Wikimedia über zwei Hausausweise. Nützen Ihnen diese bei der Arbeit?

Weitzmann: Ich habe einen Hausausweis, den ich jedoch nur sehr selten nutze. Mein Kollege Bernd Fiedler nutzt seinen etwas häufiger. Zwar erleichtern Hausausweise den Zugang zum Bundestag, darüber hinaus sind sie aber nicht sehr mächtig. Konkret ersparen wir uns die Notwendigkeit, an der jeweiligen Pforte angemeldet sein zu müssen. Dass wir uns theoretisch unangemeldet in öffentliche Ausschusssitzungen als Zuschauer setzen könnten, ist für uns keine besondere Erleichterung, da wir bei interessanten Sitzungen früher über Abgeordnete auch ohne die Ausweise in die Zuhörendenbereiche gekommen sind. Und bei den für uns besonders wichtigen Abgeordnetenterminen nützen die Ausweise abgesehen von der Pforte ebenfalls nicht wirklich, weil man auch mit einem solchen Ausweis nicht einfach in Abgeordnetenbüros reinläuft. Für die direkten Gespräche mit Abgeordneten und ihren Mitarbeitenden mussten wir schon immer und müssen weiterhin stets Termine vereinbaren.

"Es ist richtig, dass nicht immer alles direkt an die Öffentlichkeit gelangt"

Herr Berninger, erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeitsprozesse.

Berninger: Die sehen bei uns sehr ähnlich aus. Hinzu kommt, dass wir Produktionsstandorte und Büros in verschiedenen Ländern haben, dort treffen wir häufig Akteure, die sich für unsere Arbeit interessieren. Wir sind zum einen daran interessiert, Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nehmen, zum anderen die Perspektiven von verantwortlichen Personen zu verbreitern. Manchmal kommen Akteure auch auf uns zu und wollen wissen, welche Themen besonders interessant für Bayer sind. Herr Weitzmann hat die verschiedenen Kanäle, über die wir mit der Politik Kontakt aufnehmen, schon gut beschrieben. In den letzten Jahren ist Twitter als Kommunikationskanal hinzugekommen, durch Corona werden verschiedene Konferenz-Tools genutzt, mehr und mehr Gespräche finden nun online statt.

Führen Sie auch Gespräche, die bewusst nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen?

Berninger: Ja, natürlich kommt es vor, dass wir mit Entscheidungsträgern sprechen, bevor die Themen an die Öffentlichkeit gelangen. Beispielsweise bei Unternehmensübernahmen oder internationalen Handelsbeziehungen. Dass diese Gespräche nicht voll transparent gemacht werden, ist manchmal sowohl im Sinne des Unternehmens als auch des Abgeordneten. Gespräche wie diese wird es auch immer geben. Ich denke es ist richtig, dass nicht immer alles direkt an die Öffentlichkeit gelangt.

"Die Lobbyisten bei Bayer haben keine Langeweile"

Im Vorfeld dieses Gespräches haben wir unsere Leserinnen und Leser um Fragen gebeten. Jemand möchte gerne wissen, ob Sie nachvollziehen können, an wie vielen Gesetzen, Gesetzesentwürfen und Verordnungen der Bundesregierung Sie in den letzten fünf Jahren mitgewirkt haben. Haben Sie darüber einen Überblick?

Berninger: Also ich habe keine genaue Zahl im Kopf, aber es sind unzählig viele zu verschiedenen Themen: Arzneimittelgesetz, Pflanzenschutzverordnungen, steuerliche Fragen. Wir sind eine hochregulierte Industrie, insofern gibt es unzählige Themen, an denen wir uns beteiligen. Und gerade in der europäischen Realität multipliziert das Zusammenspiel der Länder und der europäischen Union die Themen erheblich. Die Lobbyisten bei Bayer haben keine Langeweile.    

Wikipedia
Wikimedia-Projekt Wikipedia | "Wir können an zwei Händen aufzählen, wo wir an der Gesetzgebung unmittelbar beteiligt waren."

Weitzmann: Der Bereich Internet und Digitales, in dem wir unterwegs sind, ist noch nicht so stark reguliert wie die Pharma-Branche. Doch in den letzten Jahren bewegt sich auch hier etwas. Wir können an zwei Händen aufzählen, wo wir unmittelbar beteiligt waren. Die Beteiligungsverfahren sind immer sehr formell, wir können hauptsächlich über Stellungnahmen und Konsultationen Einfluss nehmen. Die informellen Gespräche sind zwar auch wichtig, aber hierüber unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzestexte zu nehmen, funktioniert eigentlich kaum.

Erhalten Sie nicht die Referentenentwürfe zu Gesetzen vorab von der Bundesregierung?

Weitzmann: Häufig erhalten wir Diskussionsentwürfe, das ist eine Vorstufe des Referentenentwurfes, zu denen man unsere Einschätzung hören möchte. Hier steigen wir dann in den Prozess ein.

Berninger: Wir stehen auch mit Verbänden in Kontakt, die häufig sehr nah an den entsprechenden Mitarbeitenden der Regierung dran sind und Zugang zu Referentenentwürfen und Diskussionspapieren haben. Dadurch erhalten wir einen Überblick, welche Überlegungen zu Gesetzen stattfinden. Wir können dann entscheiden, ob wir selbst in den Prozess einsteigen wollen oder ob wir Verbänden die Einflussnahme überlassen.

"Intransparente Einflussnahme nutzt am Ende niemandem"

Geschieht die Einflussnahme oft informell?

Berninger: Gesetzgebung ist ein Prozess, der hochgradig informell ist. Er ist sehr komplex, dauert oft lange und viele verschiedene Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Dies sehen wir jetzt auch bei dem Lobbyregister, das von den Fraktionen vorgestellt wurde.

Kann man denn als Lobbyist nur erfolgreich sein, wenn man gute Kontakte hat?

Berninger: Da Gesetze von Menschen gemacht werden, kannst du nur erfolgreich sein, wenn du Kontakte zu diesen hast. Das ist eine der logischen Konsequenzen von Lobbyismus. Kontakte allein reichen aber nicht. Man muss in der Lage sein, Koalitionen zu bilden, manchmal auch über Interessensgrenzen hinweg. Und man muss sich so verhalten, dass diejenigen, mit denen man redet, in ihrer Reputation nicht geschädigt werden.

Hilft Ihnen Ihre frühere Beschäftigung als Grünen-Abgeordneter im Bundestag und das Wissen, wie der Bundestag arbeitet, bei Ihrer jetzigen Tätigkeit?

Berninger: Die 13 Jahre in der Politik in Deutschland haben mir schon dabei geholfen zu verstehen, wie Entscheidungsträger ticken. Ich kann mich in die Lage von Personen versetzen, die Entscheidungen treffen müssen. Ein Gespür dafür zu haben, was in den Köpfen vorgeht, ist sicherlich nicht schädlich.

Glyphosat
Umstrittenes Bayer-Produkt Glyphosat | "Arzneimittelgesetz, Pflanzenschutzverordnungen, steuerliche Fragen - es gibt unzählige Themen in der Gesetzgebung, an denen wir uns beteiligen"

In einem Spiegel-Interview sagten Sie, dass Sie zuhören und einen Dialog mit Kritikerinnen und Kritikern führen möchten, statt, wie Monsanto früher, eine aggressive PR-Strategie zu fahren. Was bedeutet das?

Berninger: 2018 hat Bayer Monsanto übernommen, da das Innovationspotenzial von Monsanto im Bereich Saatguttechnologie mit den Stärken von Bayer in anderen Bereichen gut zusammengepasst hat. Klar war, dass es im Bereich Reputation und Lobbystil große Unterschiede gibt. Eine der Hauptaufgaben direkt zu Beginn meiner Arbeit bei Bayer war es, unsere Standards, wie wir Lobbyarbeit machen, noch präziser festzulegen. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir unsere Einflussnahme und alle Partnerschaften mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen klar kennzeichnen und offenlegen, wie viel wir für Lobbyarbeit ausgeben. Diese Prinzipien sollen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Tag für Tag gelebt werden. Intransparente Einflussnahme nutzt am Ende niemandem und schadet der Glaubwürdigkeit. Ein Beispiel: Wenn Sie wissenschaftliche Informationen in die Lobbyarbeit einspeisen, aber nicht sagen, dass diese vom Unternehmen selbst finanziert wurden, dann nehmen Sie dem Argument die Glaubwürdigkeit. Solche Taktiken wenden wir bei Bayer nicht an.

"WhatsApp-Gruppen sind sehr gefürchtet in der Politik"

Hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren und auch in den letzten Monaten durch Corona verändert? Sind neue Herausforderungen hinzugekommen, die Interessenvertretung verändern oder erschweren?

Berninger: Wenn ich die Zeit um 1994, als ich angefangen habe, politisch zu arbeiten, mit heute vergleiche, dann sehe ich eine ganze Reihe von Veränderungen. Es gibt wesentlich mehr Akteure als noch in den 90er Jahren und gesellschaftliche Gruppen arbeiten effektiver. Das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Lobbyisten hat sich zugunsten der gesellschaftlichen Akteure verschoben. Auch Entscheidungen sind wesentlich komplexer geworden, beispielsweise im Bereich Energiepolitik, Landwirtschaft oder Medizin. Und das Thema Umwelt ist in Entscheidungsprozessen in den Mittelpunkt gerückt. Durch Corona ist mancher Austausch digital viel schneller möglich als früher. Der berühmte Hausausweis zum Bundestag ist in diesen Zeiten weniger wert. Ich glaube, dass das Internet insgesamt eine erhebliche Veränderung bewirkt hat, auf die Art, wie gesellschaftlich Einfluss genommen wird. WhatsApp-Gruppen sind sehr gefürchtet in der Politik, vor allem wenn sie Populismus von rechts beflügeln. Mit meiner Entscheidung zu Bayer zu gehen, merke ich auch selbst, dass Social Media vor einem selbst und den eigenen Kindern nicht Halt macht, besonders in der Art und Weise wie Leute mit einem und über einen reden.  

Erleben Sie Interessenkonflikte aufgrund Ihres ehemaligen Mandates und Ihrer jetzigen Tätigkeit bei Bayer?

Berninger: Zwischen 2007 [Berninger trat bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 unter Kanzler Gerhard Schröder nicht erneut als Kandidat an und wechselte 2007 zum Süßwarenhersteller Mars nach Belgien, Anm. d. Red.] und 2020 liegen nun schon ein paar Jahre, insofern gibt es keine direkten Interessenkonflikte mehr. Zusätzlich zu den politischen Erfahrungen habe ich nun Einblicke, wie große Unternehmen arbeiten. Aber klar, wenn man direkt in die Wirtschaft wechselt kann es Interessenkonflikte geben, daher bin ich froh, dass es heute für Leute mit Regierungsverantwortung Regeln zum Wechsel von der Politik in die Wirtschaft gibt. Problematisch ist immer, wenn nicht transparent ist, wo man zuvor gearbeitet hat.

"Lobbyismus ist nichts Verwerfliches"

Bisher müssen Lobbytreffen weder von Politikerinnen und Politikern, noch von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern schriftlich festgehalten werden. Die Koalition plant aber die Einführung eines Lobbyregisters. Was halten Sie davon, Herr Weitzmann?

Weitzmann: Wir begrüßen das Vorhaben. Der Beschluss über ein Lobbyregister wird bei uns nicht viel verändern, wir haben schon immer sehr transparent gearbeitet. Abzuwarten bleibt, ob es ein aussagekräftiges Lobbyregister geben wird oder doch eher ein Feigenblatt. Wenn Letzteres kommt, wäre das wahrscheinlich eher schädlich für den Prozess. Solange es zu mehr Transparenz führt, können wir alle nur gewinnen. Generell sollte man sich vorsehen, Lobbyismus als etwas Verwerfliches darzustellen. Die Verbändedemokratie, in der wir leben, ist darauf angewiesen, dass Interessenvertretung möglich ist. Und sie funktioniert als sehr ausbalanciertes System so lange auch sehr gut, wie alle Interessen die gleiche Gelegenheit haben, sich zu artikulieren.

Und welche Probleme sehen Sie, wenn alle Informationen zu einem Gespräch, sprich die Dauer, die Namen der Beteiligten und die Inhalte, öffentlich gemacht werden würden, Herr Berninger?

Berninger: Bayer unterstützt ein solches Lobbyregister. Ich bin froh, dass sich etwas bewegt. Ein Lobbyregister kann dazu beitragen, Lobbying nicht per se als etwas Schlechtes darzustellen, denn das ist es nicht. Parlamente brauchen den Austausch mit gesellschaftlichen Gruppen, Abgeordnete brauchen den Sachverstand. Solange klargestellt wird, woher und von wem die Informationen stammen, halte ich es für sehr wichtig, dass es diesen Austausch gibt. Ohne ihn hätten wir weit schlechtere Gesetze. Mit der Form des Lobbyregisters, wie es momentan diskutiert wird, bleiben wir jedoch weit hinter den Regelungen zurück, die in Brüssel oder auch in den USA gang und gäbe sind. Das finde ich schade. Ich glaube, dass wir mindestens so transparent wie Brüssel sein sollten, gerade weil Gesetzgebungsprozesse von Brüssel aus gesteuert werden.

Welche konkreten Unterschiede gibt es zu den USA und Brüssel. Und erleichtert das US-politische System Ihre Arbeit?

Berninger: In Washington selbst hat es in den vergangenen Jahren einige Lobbying-Skandale gegeben, was dazu geführt hat, dass der Prozess heute zivilisierter und regulierter abläuft. Auch in Brüssel gibt es seit Jahren Transparenzregeln. Ich bedauere, dass es in Deutschland so lange dauert. Auch bei Themen wie Korruption oder dem Lieferkettengesetz ist Deutschland sehr langsam. Die Politik sollte die Ambition haben, bei Regulierungen wie diesen etwas schneller zu sein. In einem Lobbyregister, wie es in Deutschland vorgesehen ist, werden manche gesellschaftliche Gruppen leider nicht berücksichtigt. Ich meine damit zum Beispiel Journalisten, die in der Grauzone zwischen Journalismus und Lobbyismus arbeiten. Da wünsche ich mir, dass Transparenzverpflichtungen auch für solche Akteure selbstverständlich sein müssen.

"Von einem Lobbyregister darf man keine Wunder erwarten"

Was kann sich Deutschland denn von den USA abgucken?

Berninger: In den USA muss dokumentiert werden, wie viel Zeit Interessenvertreter für Treffen aufbringen und wie viel Geld für Lobbying aufgewendet wird. Am einfachsten wäre es allerdings für Deutschland, sich sehr stark an Brüssel zu orientieren, weil die Entscheidungsprozesse auf nationaler und auf EU-Ebene natürlich sehr stark miteinander verwoben sind.

Würde ein solches Lobbyregister denn Ihre Arbeitsweise verändern oder auch die gesellschaftliche Akzeptanz Ihres Berufes erhöhen?

Berninger: Das würde die Arbeitsweise insofern verändern, dass Regeln, die wir bei Bayer uns bereits freiwillig gegeben haben, gesetzlich festgelegt würden. Sollte es Abweichungen zwischen unserem Kodex und den gesetzlichen Regeln geben, werden wir diese natürlich anpassen. Ansonsten sehe ich keine großen Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Einflussnahme in den verschiedenen Parlamenten und Regierungen betreiben.

Weitzmann: Ich glaube, dass es vor allem auf der Seite der Entscheidungstragenden Veränderungen braucht, weniger in unserer Arbeit. Wenn es gut gemacht ist, kann ein Lobbyregister die Transparenz erhöhen. Auch uns Interessengruppen kann dann weniger leicht Intransparenz vorgeworfen werden. Aber dass manche Menschen überall Verschwörungen und angebliche Einflussnahme sehen, wird sich auch durch ein Lobbyregister nicht ändern lassen. Generell darf man keine Wunder erwarten.

Das Gespräch führten Susan Jörges und Josephine Andreoli
 


Das Gespräch im Video:

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