Gericht: Kanzleramt muss abgeordnetenwatch.de Auskunft zu Lobbyisten-Abendessen der Kanzlerin erteilen (Update)

Das Bundeskanzleramt muss abgeordnetenwatch.de Auskunft über Abendessen der Bundeskanzlerin erteilen, an denen u.a. Lobbyisten teilgenommen haben. Dies hat das Berliner Verwaltungsgericht jetzt per Eilbeschluss entschieden. Seit über zwei Jahren verweigert uns das Kanzleramt Auskünfte zu ähnlichen Festveranstaltungen wie dem Ackermann-Geburtstag von 2008. Update 12.9.2017: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat einer Beschwerde des Bundeskanzleramtes stattgegeben und die Eilklage von abgeordnetenwatch.de zurückgewiesen. Die Frage, ob das Bundeskanzleramt die Informationen an abgeordnetenwatch.de herausgeben muss, wird nun im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Update 22.3.2018: Wir haben unsere Klage im Hauptsacheverfahren am 16. März zurückgezogen (s.u.).

von Martin Reyher, 03.07.2017

Nach einem Eilbeschluss des Berliner Verwaltungsgerichts vom 23. Juni 2017 muss das Bundeskanzleramt abgeordnetenwatch.de mitteilen, wann und aus welchem gesellschaftlichen Anlass nicht-private Abendessen der Bundeskanzlerin im Bundeskanzleramt stattfanden, an denen auch Personen teilnahmen, die weder ein politisches Amt oder Mandat innehatten (VG 27 L 295.17). Dies gilt für entsprechende Veranstaltungen seit 2005.

Die Richter gaben abgeordnetenwatch.de in allen Punkten recht. Das Bundeskanzleramt hatte u.a. behauptet, bei dem Auskunftsbegehren gehe es um eine Ausforschung des innersten Bereiches der Willensbildung der Bundeskanzlerin. Das Gericht stellte klar, dass die Bekanntgabe von Datum und Anlass der dienstlichen Abendessen im Bundeskanzleramt "nicht den exekutiven Kernbereich" betreffe. Auch der Behauptung des Kanzleramtes, die Herausgabe der Informationen könne in Zukunft negative Auswirkungen auf die Sicherheit der Bundeskanzlerin haben, folgte das Gericht nicht. "Den Daten ließe sich weder entnehmen, wann sie [Bundeskanzlerin Angela Merkel] das Bundeskanzleramt an diesen Tagen von wo kommend betreten, noch wann sie es wohin gehend verlassen hat," heißt es in dem Gerichtsbeschluss. Auch eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Gäste vermochte die Kammer nicht zu erkennen.

Gab es weitere Fälle wie den Ackermann-Geburtstag?

Seit Mai 2015 bemüht sich abgeordnetenwatch.de, vom Bundeskanzleramt Informationen über nicht-private Abendessen der Bundeskanzlerin aus gesellschaftlichem Anlass zu erhalten. Hintergrund unserer Auskunftsbegehren ist die Feier zum 60. Geburtstag des früheren Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann in der Regierungszentrale. Im April 2008 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel dort ein Festmahl für Ackermann ausgerichtet, zu dem zahlreiche Vertreter aus Wirtschaft, Medien und Politik geladen waren. Mit unserer Recherche wollen wir herausfinden, ob die Kanzlerin auch für andere Interessenvertreter Festveranstaltungen ausgerichtet hat.

Nachdem das Kanzleramt seit 2015 mehrere presserechtliche Auskunftsbegehren bzw. Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt hatte, klagten wir am 21. November 2016 beim Berliner Verwaltungsgericht, um einen presserechtlichen Auskunftsanspruch durchzusetzen. Da mit einem rechtskräftigen Urteil vor der Bundestagswahl im September 2017 nicht zu rechnen war, haben wir am 8. Mai 2017 parallel eine Eilklage beim selben Gericht eingereicht. Unserer Ansicht nach haben Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht zu erfahren, welche Interessenvertreter die Bundeskanzlerin zum Essen ins Kanzleramt einlädt, zumal wenn dies aus Steuergeldern bezahlt wird.

Kanzleramt hat Beschwerde eingelegt

Dass wir Informationen zu Abendessen der Bundeskanzlerin mit Lobbyisten erst einklagen müssen, ist ein Armutszeugnis. Die jahrelange Transparenzverweigerung der Bundesregierung zeigt, wie dringend es ein verbindliches Lobbyregister braucht. Ein solches Register, in dem u.a. Kontakte zwischen Lobbyvertretern und Politikern veröffentlicht werden, wird im Deutschen Bundestag einzig von CDU und CSU abgelehnt.

Bei der Bundestagswahl im September wird für viele Menschen auch die Frage nach der Nähe von Politik und Lobbyisten in die Wahlentscheidung einfließen. Der jetzige Gerichtsbeschluss ist ein wichtiges Signal für mehr Transparenz! Er ist allerdings nicht rechtskräftig. Das Bundeskanzleramt, das von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs vertreten wird, hat bereits Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

 

Update 22.3.2018: Klagerücknahme

Nach reiflicher Überlegung gemeinsam mit unserer Anwältin haben wir mit Datum vom 16. März 2018 unsere Klage im Hauptsacheverfahren zurückgenommen. Ziel des Eilverfahrens war, möglichst bald ein Transparenzurteil zu unseren Gunsten zu erwirken. Nachdem wir uns in zweiter Instanz nicht durchsetzen konnten, stellte sich der zeitliches Horizont des weiteren Verfahrens so dar, dass mit einem rechtskräftigen Urteil im Hauptsacheverfahren erst in vielen Jahren zu rechnen ist. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles erschien es uns nicht unwahrscheinlich, dass das Verfahren bis vor das Bundesverwaltungsgericht gelangen würde. Ein BVerwG-Urteil würde dann womöglich erst 2022 oder später vorliegen, also nach Ablauf der 19. Wahlperiode. Dass die amtierende Bundeskanzlerin, um deren Einladungen zu Abendessen im Bundeskanzleramt es vorliegend geht, dann ein weiteres Mal kandidiert und gewählt wird, halten wir für nicht sehr realistisch, so dass die Unterlagen im Falle eines positiven Urteils nur mehr einen historischen Wert hätten. In Anbetracht des bisherigen Verfahrensverlaufs, der die Schwierigkeiten der Klage aufzeigten, haben wir Risiken (nicht zuletzt die Prozesskosten) gegen die Chancen abgewogen und uns zu einer Rücknahme der Klage entschlossen.


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