Bundestag gibt Geheimniskrämerei auf und stellt tausende Gutachten ins Netz

Nachdem er mit tausenden Bürgeranfragen geflutet wurde, hat der Bundestag seine Geheimniskrämerei aufgegeben und mehrere tausend Gutachten öffentlich ins Netz gestellt. Angestoßen hatte dies abgeordnetenwatch.de mit einem erfolgreichen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz.

von Martin Reyher, 18.02.2016

Die Öffentlichkeit bekommt nun endlich Zugang zu tausenden wissenschaftlichen Gutachten, um die der Bundestag lange Zeit ein Geheimnis machte. Wie Bundestagspräsident Norbert Lammert heute Nachmittag in einer internen Mail an die Bundestagsabgeordneten mitteilte, würden "ab sofort" alle wissenschaftlichen Ausarbeitungen auf der Bundestagswebsite unter www.bundestag.de/ausarbeitungen veröffentlicht. [Update 22.2.2016: Zahlreiche Gutachten sind online noch nicht zu finden.]

Genau dagegen hatte sich die Parlamentsverwaltung jahrelang gewehrt. Nicht einmal eine Übersicht mit den Titeln und Aktenzeichen wollte sie gegenüber abgeordnetenwatch.de herausgeben. Abstruse Begründung: Mit unserer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) verfolgten wir eine "Ausforschung des Behördenhandelns".

Weil der Vorwurf des "Ausforschens" natürlich ebenso hanebüchen wie juristisch unhaltbar war, musste die Parlamentsverwaltung nach unserem Widerspruch eine Liste aller rund 4.000 Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes aus den Jahren 2005 bis 2015 doch herausgeben. Durch das Bekanntwerden der Titel konnten Bürger und Journalisten erstmals konkrete Gutachten beim Bundestag anfordern - und taten dies auch in großem Umfang: Über die Seite FragDenBundestag.de, einem Gemeinschaftsprojekt von fragdensstaat.de und abgeordnetenwatch.de, wurden bis heute Nachmittag mehr als 2.000 Gutachten per Informationsfreiheitsgesetz vom Bundestag angefordert. Hätte die Parlamentsverwaltung am Ende alle Gutachten einzeln bearbeitet und verschickt, hätte dies mehrere hundert Arbeitstage verschlungen und zehntausende Euro an Kosten verursacht.

Dem Irrsinn ein Ende bereitet

Diesem Irrsinn hat der Ältestenrat des Bundestages heute ein Ende bereitet und endlich eine proaktive Veröffentlichung aller Gutachten beschlossen. In seiner Mail an die Abgeordneten deutet Bundestagspräsident Norbert Lammert an, dass dies auch eine Reaktion auf die über 2.000 Bürgeranfragen via FragDenBundestag.de war. "Vielfach dienen diese Anträge erkennbar dem Zweck, externe Datenbanken über die erstellten Gutachten der WD aufzubauen." Genau das war das erklärte Ziel von FragDenBundestag.de: Mithilfe zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, die ein Gutachten beim Bundestag anfordern und dann auf FragDenBundestag.de hochladen, eine öffentlich zugängliche Datenbank mit allen verfügbaren Gutachten aufzubauen.

Dies ist nun nicht mehr notwendig: Der Bundestag stellt die Ausarbeitungen endlich von sich aus ins Netz! Neben Gutachten zu TTIP, Bürgerbeteiligung oder Lobbyismus werden auch skurrile juristische Ausarbeitungen das Licht der Welt erblicken - etwa zu den "rechtlichen Möglichkeiten gegen das Nacktbaden auf einem benachbarten Grundstück“. Ein solches war vermutlich aus nicht ganz uneigennützigen Gründen beim Wissenschaftichen Dienst in Auftrag gegeben worden.

Dass das Gutachten mit dem Titel "Lösung von einem Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus im Rahmen des Abkommens über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP)" vom Bundestag online gestellt wird, ist dagegen nicht zu erwarten - es wurde als "Nur für den Dienstgebrauch (NfD)" eingestuft. Diese intransparente Praxis wird nach dem heutigen Beschluss des Ältestenrats abgeschafft. "Die Möglichkeit, die Arbeit allein dem Auftraggeber vorzubehalten ("Vertraulich"-Stellung), wird es künftig nicht mehr geben," schrieb Bundestagspräsident Lammert den Abgeordneten.

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