Wie wir die Lüge einer Bundestagsabgeordneten nachwiesen
Weil sie Einkünfte aus einer dubiosen Lobbytätigkeit verheimlichte, musste die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz 20.000 Euro Strafe zahlen. Hier erzählen wir, wie wir die Geheimniskrämerei öffentlich machten – und damit eine faustdicke Lüge nachwiesen.
Ergänzung: Karin Strenz ist am 21. März 2021 verstorben.
Es sind noch fünf Tage bis zur Bundestagswahl, als die Süddeutsche Zeitung einen Artikel mit der Überschrift „Die Aserbaidschan-Connection einer CDU-Abgeordneten“ veröffentlicht. Die Abgeordnete heißt Karin Strenz, kommt aus Mecklenburg-Vorpommern und sitzt seit 2009 als direkt gewählte Volksvertreterin im Deutschen Bundestag. Nun möchte sie wiedergewählt werden.
Am Morgen des 19. September 2017 können die Wähler:innen in der SZ lesen, dass Strenz Geld von einer undurchsichtigen Firma bekam, die Lobbyarbeit für die autokratische Regierung von Aserbaidschan betrieben haben soll. Es steht die Frage im Raum: Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Zahlungen und Strenz‘ Aserbaidschan-freundlichem Abstimmungsverhalten im Europarat?
Für eine Politikerin sind es unerfreuliche Nachrichten so kurz vor der Wahl.
Eine dreiste Lüge vier Tage vor der Wahl
Strenz braucht einen Tag, bis sie sich mit einer „Klarstellung nach der gestrigen Medienberichterstattung“ zu Wort meldet. Kurz vor der Wahl solle der Eindruck erweckt werden, sie würde ihr Mandat nicht unabhängig ausüben, so die CDU-Kandidatin. „Ich weise dies mit aller Entschiedenheit zurück,“ schreibt sie auf ihrer Facebookseite.
Strenz-Statement vom 20. September 2017 auf Facebook
Und Karin Strenz hat noch eine weitere Klarstellung zu machen – es geht um die Transparenzangaben zu ihrer infrage stehenden Nebentätigkeit: „Die Einkünfte hieraus habe ich entsprechend der Geschäftsordnung beim Bundestagspräsidenten ordnungsgemäß angezeigt sowie ordentlich versteuert. Allen rechtlichen Transparenzanforderungen wurde damit Genüge getan.“
Es sind noch vier Tage bis zur Bundestagswahl, und die CDU-Direktkandidatin hat den Menschen soeben eine faustdicke Lüge aufgetischt. Die Einkünfte aus ihrer fragwürdigen Nebentätigkeit hatte Strenz nämlich keineswegs ordnungsgemäß beim Bundestag gemeldet – sondern monatelang vor der Öffentlichkeit verborgen, wie abgeordnetenwatch zusammen mit WDR und SZ kurz darauf nachweist.
Zweifel an Strenz‘ Behauptung kommen uns, weil uns die CDU-Abgeordnete nicht als Politikerin bekannt ist, die es mit den Transparenzpflichten allzu genau nimmt. Im Jahr 2015 meldete sie ihren Posten als stellvertretende Vorsitzende der Interessenorganisation Deutsch-Kasachische Gesellschaft erst, als wir sie auf den fehlenden Eintrag in ihrem Bundestagsprofil hinwiesen.
Eine wenig bekannte Funktion auf der Internetseite des Bundestags
Die Frage ist: Wie lässt sich überprüfen, ob Strenz ihren Beraterjob für die Lobbyfirma genauso transparent gemacht hat, wie es die Verhaltensregeln des Bundestages verlangen – und wie sie es selbst öffentlich behauptet?
Auf der Internetseite des Bundestages gibt es eine wenig bekannte Funktion, mit der sich die Profilseite eines Abgeordneten so anzeigen lässt, wie sie zu einem bestimmten Datum einmal ausgesehen hat (sog. "Snapshots"). Bildlich gesprochen werden die Inhalte der Webseite von der Parlamentsverwaltung mehrmals im Jahr „eingefroren“ und ins Archiv gelegt, wo sie dann für Interessierte durchsuchbar sind.
Nach den Transparenzregeln des Bundestages musste Strenz ihre Tätigkeit für die Lobbyfirma Line M-Trade des ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Eduard Lintner spätestens bis Februar 2015 beim Bundestagspräsidenten gemeldet haben – drei Monate nach Aufnahme ihres Beraterjobs im November 2014. Doch die Archivseiten von bundestag.de aus dieser Zeit zeigen keinen Eintrag zu der aus Aserbaidschan finanzierten Firma. Nicht am 17. Juli 2015 und auch nicht am 23. Dezember 2015.
Selbst am 4. Oktober 2016 findet sich in Strenz' Bundestagsprofil noch keine Angabe:
Zu diesem Zeitpunkt war der Öffentlichkeit seit mehr als eineinhalb Jahren verborgen geblieben, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete für die fragwürdige Firma Line M-Trade arbeitete und von dieser Geld erhielt – zwischen 14.000 und 30.000 Euro, wie sich später zeigt. Des Weiteren fehlen auf Strenz' Bundestagsseite: ihre Beteiligung an dem Unternehmen Extent GmbH und die Tätigkeit als Geschäftsführerin der Extent GmbH. Auch den Posten als Vorsitzende der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft hat sie nicht angegeben.
Wann die Angaben im Profil der Abgeordneten nachgetragen werden, lässt sich nicht exakt rekonstruieren – klar ist lediglich: Es muss nach dem 4. Oktober 2016 gewesen sein. Ab diesem Datum veröffentlicht der Deutsche Bundestag keine "Snapshots" mehr. Ein Parlamentssprecher begründet dies mit technischen Problemen durch die Neugestaltung der Internetseite.
Mehr als eineinhalb Jahre passierte offenbar nichts
Als ihre Lüge nicht mehr zu bestreiten ist, gesteht Strenz gegenüber abgeordnetenwatch ein, dass sie schon seit gut eineinhalb Jahren von ihrem Verstoß gegen die Transparenzpflichten wusste. Bereits Anfang 2016 habe sie ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung darauf "hingewiesen", dass sie ihre Nebentätigkeit "verspätet" gemeldet habe. Offenbar hielt die Bundestagsverwaltung seinerzeit einen bloßen "Hinweis" an die Abgeordnete für ausreichend – denn darüber hinaus passierte augenscheinlich: nichts.
Bewegung in die Sache kommt offenbar erst durch die Recherche von abgeordnetenwatch, die die Bundestagsverwaltung auf den Plan ruft. Ende November 2017, rund einen Monat nach unserer Veröffentlichung, berichtet der Tagesspiegel:
"Die Bundestagsverwaltung prüft, ob Strenz die Transparenzregeln für Nebentätigkeiten eingehalten hat. Sie hatte die Einkünfte von der Firma des Aserbaidschan-Lobbyisten erst mit großer Verspätung gemeldet. Sollte ein Verstoß festgestellt werden, könnte das Präsidium des Bundestages ein Ordnungsgeld festsetzen."
Ordnungsgeld für Strenz – ein einmaliger Vorgang
Es wird mehr als ein Jahr dauern, bis das Präsidium des Deutschen Bundestags einen „Verstoß gegen die Verhaltensregeln“ durch die CDU-Abgeordnete Karin Strenz offiziell feststellt, was einer öffentlichen Rüge gleichkommt. Dies ist die zweit-schwerste Sanktionsstufe und äußerst selten: Seit 2005 gab es lediglich zehn solcher Rügen (Stand: Juli 2025).
Wegen der Schwere des Verstoßes verhängt das Bundestagspräsidium gegen Strenz auch noch ein Ordnungsgeld: rund 20.000 Euro. Nach dem Abgeordnetengesetz wären bis zu einer halben Jahresdiät, also rund 60.000 Euro, möglich gewesen.
Dass ein Bundestagsmitglied wegen des Verstoßes gegen die Transparenzpflichten ein Ordnungsgeld zahlen muss, ist ein bislang einmaliger Vorgang (Stand: Juli 2025).
Verurteilung wegen Schmiergeld für Strenz
Ende Januar 2020 werden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main und des Bundeskriminalamtes gegen Karin Strenz sowie den Gründer von Line M-Trade, Eduard Lintner, bekannt. Ihnen wird Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Mandatsträgern im Zusammenhang mit den Geldern aus Aserbaidschan zur Last gelegt.
Im späteren Strafverfahren verurteilte das Landgericht München Lintner im Juli 2025 wegen Bestechung von Mandatsträger:innen in der Aserbaidschan-Affäre zu neun Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 10.000 Euro. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er zwischen 2008 und 2016 rund vier Millionen Euro aus Aserbaidschan erhalten hatte, um Entscheidungen im Europarat zu beeinflussen. Ein Teil des Geldes floss demnach über seine Firma Line M-Trade an Karin Strenz, die im Gegenzug Aserbaidschan politische Unterstützung zusicherte. Später soll Strenz direkt Geld von Vertretern Aserbaidschans angenommen haben. Insgesamt beliefen sich die Schmiergeldzahlungen an die CDU-Politikerin auf mindestens 110.000 Euro.
Gegen Strenz war ebenfalls ermittelt worden, bis sie 2021 im Alter von 53 Jahren plötzlich verstarb. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin zur Todesursache ergaben kein Fremdverschulden.
Karin Strenz und die Aserbaidschan-Affäre
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz hatte zwischen November 2014 und Januar 2015 einen Beratervertrag mit der Firma Line M-Trade und erhielt hierfür offiziell zwischen 14.000 und 30.000 Euro, wie sie erst mit großer Verspätung auf ihrer Bundestagsseite angab. Die Firma war mit Geld aus Aserbaidschan vom früheren CSU-Abgeordneten und Staatssekretär Eduard Lintner gegründet worden, um über sie „Aktionen zu finanzieren“, wie Lintner erklärte. Da Strenz unter anderem im Juni 2015 im Europarat gegen eine Aserbaidschan-kritische Resolution stimmte, stand der Vorwurf der Abgeordnetenbestechung im Raum. Die 2021 verstorbene CDU-Politikerin bestritt dies. Eine vom Europarat eingesetzte Kommission sah im April 2018 den "starken Verdacht", dass sich Abgeordnete an "Aktivitäten korrupter Art zugunsten Aserbaidschans" beteiligten. Strenz wird in dem Bericht eine Verletzung mehrerer Verhaltensregeln sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Aufklärung vorgeworfen. Im Juli 2025 stellte das Oberlandesgericht München fest, dass Strenz mindestens 111.000 Euro an Bestechungsgeldern bekommen hatte - zunächst von Eduard Lintner über dessen Firma Line M Trade, später direkt von Vertretern Aserbaidschans.