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Lobbyismus-Forscherin: "Wer auf Gesetze Einfluss nehmen will, soll sich registrieren müssen"

abgeordnetenwatch.de-Interview mit der Politikwissenschaftlerin Heike Klüver von der Universität Hamburg über einen zunehmenden Lobbyismus - und wie man ihm begegnen kann:

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 05.04.2016

Frau Prof. Klüver, täuscht der Eindruck, dass die Zahl der Lobbyisten in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat?

Ich arbeite gerade an einem Projekt, in dem wir die Entwicklung der registrierten Verbände des Bundestages im Zeitverlauf untersuchen. Die öffentlich einsehbare Lobbyliste existiert seit 1974 und damals gab es lediglich etwa 600 Interessengruppen, mittlerweile sind wir bei fast 2200. Wir sehen hier also einen stetigen Anstieg der Anzahl der Lobbygruppen. Wen man in dieser Liste allerdings nicht findet, sind Einzelunternehmen, Kanzleien, die Auftragslobbying betreiben, oder Politikberatungsunternehmen. Diese Akteure spielen gerade in letzter Zeit eine immer wichtigere Rolle. Dazu gibt es aber leider keine Daten, die aussagekräftig sind. Auf EU-Ebene haben wir keine vergleichbaren Daten über einen langen Zeitraum, es gibt aber stichprobenartige Erhebungen und auch dort zeigt sich, dass wir einen klaren Anstieg der Anzahl von Interessengruppen verzeichnen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptstrategien von Lobbyisten, um Politik auf EU-Ebene und in Deutschland zu beeinflussen?

Es gibt bisher relativ wenig vergleichende Studien bezüglich bestimmter Strategien. Allerdings gibt es Hinweise in der Forschung, dass Inside-Lobbying sehr erfolgreich ist. Als Inside-Lobbying wird der direkte Kontakt zwischen verschiedenen Lobbyisten und Entscheidungsträgern, also beispielsweise Parlamentarier oder Bürokraten in der Europäischen Kommission, verstanden. In diesen Gesprächen werden verschiedene Informationen ausgetauscht. Das hat typischerweise einen höheren Effekt darauf, ob man Einfluss nehmen und Politik entscheiden kann, als das sog. Outside-Lobbying. Dies sind Strategien wie zum Beispiel öffentliche Demonstrationen oder Proteste, mit deren Hilfe man versucht, Druck über die Bevölkerung auf die Politik auszuüben.

Hintergrund Prof. Heike Klüver

Heike Klüver ist seit dem 1. April 2015 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Interessengruppen, Parteien, Koalitionsregierungen, politische Repräsentation, Gesetzgebungsprozesse und europäische Politik.
Bevor Klüver nach Hamburg kam, war sie Professorin für empirische Politikwissenschaft an der Universität Bamberg. Davor war sie Juniorprofessorin an der Universität Konstanz und arbeitete als Postdoctoral Research Fellow am Nuffield College der Universität Oxford.

zum Lebenslauf

Wie ließe sich die Einflussnahme durch Interessenvertreter Ihrer Meinung nach transparenter gestalten?

Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll, ein obligatorisches Lobbyregister auf den Weg zu bringen, auch in Deutschland. Wir haben natürlich die öffentliche Liste der registrierten Verbände, aber hier haben wir ja nur registriert, welcher Verband überhaupt im Bundestag Lobbying betreibt. Was wir nicht wissen ist, welcher Verband bei welchem Gesetzgebungsvorschlag aktiv ist, was eigentlich viel wichtiger ist. Dann ließe sich themenbezogen beleuchten, welche Interessengruppen, Unternehmen und individuelle Lobbyisten an welchem Gesetzgebungsvorschlag aktiv mitgewirkt haben, wessen Interessen sie vertreten haben und welche Ressourcen eingesetzt wurden. Hier gibt es zum Beispiel in den USA eine relativ gute Datenquelle, basierend auf dem sog. „lobbying disclosure act“. Das ist ein Gesetzesakt aus den 1990er Jahren, wonach bei sämtlichen Gesetzgebungsvorschlägen, die in den USA verabschiedet werden, Interessengruppen ihre Lobbying-Aktivitäten offenlegen müssen. Sie müssen also bei jedem Gesetzesvorschlag offenlegen, welche Interessengruppen aktiv waren, welche Ressourcen eingesetzt und welche Interessen vertreten worden sind. Es geht sogar so weit, dass die konkrete finanzielle Summe angegeben werden muss, die eine Interessengruppe fürs Lobbying in Bezug auf ein bestimmtes Gesetz eingesetzt hat. Ferner wird dokumentiert, welche Mitarbeiter zum Lobbying einer bestimmten Gesetzesvorlage eingesetzt wurden. Das würde uns natürlich helfen, das Ganze näher zu beleuchten. Darüber hinaus ist es interessant, nicht nur ein allgemeines Register für die Interessengruppen des Bundestages, sondern auch ein parlamentarierspezifisches Register einzuführen. Das haben zum Beispiel die Schweizer. In der Schweiz muss jedes Jahr jeder Abgeordnete offenlegen, zu welchen Interessengruppen er Kontakte und Verbindungen hat.

Sie befürworten also eine Ausweitung der Registrierungspflicht. Bislang müssen sich ja lediglich Verbände registrieren…

Anstatt der allgemeinen Lobbyliste würde ich ein themenbezogenes Register befürworten. Große Unternehmen betreiben eigentlich nicht so sehr Lobbying über die Verbände, sondern direkt. Auftragslobbying ist über die Verbändeliste ebenfalls nicht greifbar. Wenn wir das Register so gestalten würden, dass wir für jeden Gesetzgebungsvorschlag sämtliche Interessenvertreter, die an diesem mitgewirkt haben, verpflichten sich in eine Liste einzutragen, dann müssten auch diese Akteure aufgeführt werden. Ich wäre dafür, dass sich sämtliche Akteure, die nicht dem Bundestag direkt angehören, hier registrieren müssen, wenn sie versuchen auf einen Gesetzgebungsvorschlag Einfluss zu nehmen - seien es Anwaltskanzleien, Wirtschaftsverbände, Umweltgruppen, Politikberatungsagenturen. Gerade bei Agenturen und Anwaltskanzleien ist es wichtig zu wissen, wessen Interessen diese vertreten.

Daran schließt sich die Frage nach der Einhaltung der zu schaffenden Regeln an. Was halten Sie von einem Lobbybeauftragen, der Regelverstöße gegen Parlamentarier und Lobbyisten ahndet und gegebenenfalls Sanktionen aussprechen kann?

Dass er selbst Sanktionen aussprechen kann, halte ich für fragwürdig, aber zumindest kann er konkrete Hinweise weiter verfolgen. Man braucht eine Stelle, die entsprechende Informationen sammelt, wobei es wahrscheinlich ist, dass der Lobbyingbeauftragte oftmals Informationen durch dritte, ins Lobbying involvierte Akteure erhält. Wenn zum Beispiel bei einem gewissen Gesetzgebungsvorschlag die Wirtschaftslobbyisten eher Erfolg haben, könnten Akteure, die gegen das Gesetz waren, den Lobbybeauftragten auf eventuelle Ungereimtheiten hinweisen.

Es scheint ein ziemliches Ungleichgewicht zugunsten finanzstarker Akteure zu geben, die viel häufiger Zugang zu Politikern haben.

Ich finde, das Wort Lobbying ist oftmals sehr negativ konnotiert. In der Demokratie sind Interessengruppen ein Instrument, um Informationen an die Entscheidungsträger zu vermitteln. Die Entscheidungsträger kommen selbst nur aus einem bestimmten Feld: Unter ihnen sind z.B. viele Anwälte und Lehrer, und diese brauchen natürlich Informationen, sie brauchen Interessengruppen, um die unterschiedlichen Interessen überhaupt zu ermitteln. Von daher spielen Interessengruppen eine wichtige Rolle. Lobbying ist daher sehr wichtig und auch erforderlich für das Funktionieren einer Demokratie. Das Problem besteht nur dann, wenn wir es mit einer Situation zu tun haben, in der ein ständiges Ungleichgewicht herrscht, wenn sich also manche Interessen dauernd durchsetzen und permanent angehört werden, während andere Interessen überhaupt kein Gehör finden und keinen Eingang in die Gesetzgebung finden. Durch mehr Transparenz und durch Regulierung sollten wir versuchen, die zu verhindern.

Was halten Sie von Karenzzeiten, also eine Pause für ausscheidende Politiker vor einem Wechsel in die Wirtschaft?

Ich finde die Einführung von Karenzzeiten sinnvoll. Übrigens haben alle Parteien das gleiche Problem: Es besteht die Gefahr, dass sich Politiker in hohen Staatsämtern durch Gefälligkeiten für gewisse Unternehmen und Institutionen Karriereoptionen erschließen. Um dies zu verhindern, halte ich Karenzzeiten für eine sehr vernünftige Lösung.

Für welche Akteure sollte dies konkret gelten?

Natürlich für alle Regierungsmitglieder. Auch bei Parlamentariern wäre mehr Transparenz wünschenswert. Wir wollen aber natürlich kein Parlament, dem  ausschließlich Beamte angehören. Zu lange Karenzzeiten für Abgeordnete könnten Karriereoptionen zu stark einschränken und somit letztlich einer heterogenen Parlamentszusammensetzung zuwiderlaufen.

Interview: Simon Hoyme

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