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Absurde Transparenzregeln schonen Spitzenverdiener im Bundestag

Wer als Bundestagsabgeordneter besonders viel nebenbei verdient, muss besonders wenig transparent sein: Von dieser absurden Logik profitiert derzeit der CDU-Politiker Stephan Harbarth. Als Vorstandsmitglied einer großen Wirtschaftskanzlei hat er seit Jahresbeginn schon über eine viertel Million Euro verdient. Alle weiteren Einkünfte, die in diesem Jahr noch dazukommen, bleiben der Öffentlichkeit verborgen.

von Martin Reyher, 09.07.2014

Vor einiger Zeit lehnte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Helmut Brandt bei einer Bundestagsrede gefährlich weit aus dem Fenster. Künftig, so behauptete er, würden alle Bürgerinnen und Bürger erfahren, was jeder einzelne Bundestagsabgeordnete "mit seiner Nebentätigkeit tatsächlich verdient." Das war natürlich die Unwahrheit: Was ein Parlamentarier tatsächlich nebenher kassiert, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Denn ihre Einkünfte müssen Volksvertreter nicht etwa in Euro und Cent offenlegen (das haben Brandt und seine Parteifreunde nämlich in derselben Sitzung verhindert), sondern in einem groben 10-Stufen-System (siehe Grafik unten).

Jene Veröffentlichungspflichten, auf die der CDU-Justitiar ein Lobgesang anstimmte, unterliegen in Wirklichkeit einer vollkommen absurden Logik: Wer als Abgeordneter besonders viel nebenbei verdient, muss besonders wenig Transparenz an den Tag legen. Man könnte auch sagen: Für die Spitzenverdiener im Deutschen Bundestages gilt eine Transparenz-Flatrate: Einmal melden - unbegrenzt (und unentdeckt) kassieren.

Wie das konkret aussieht, zeigt dieser Tage der Fall des Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth, einem Profiteur der irrwitzigen Offenlegungsregeln. Der CDU-Politiker, Anwalt und Vorstandsmitglied bei der großen Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwalts AG, gehört zu einem der Spitzenverdiener im Bundestag. Das Jahr war keine sechs Monate alt, da meldete Harbarth auf der Parlamentshomepage bereits Bezüge der höchsten Kategorie "10". Übersetzt bedeutet das: Seit Januar 2014 hat der 42jährige als Vorstandsmitglied mindestens 250.001 Euro verdient - wieviel genau, weiß die Öffentlichkeit allerdings nicht. Denn alles, was ein Bundestagsabgeordneter oberhalb dieser magischen Grenze kassiert, verschwindet in einer Blackbox.

Wie absurd dieses System ist, zeigt sich daran, dass Spitzenverdiener Harbarth seiner Transparenz-Pflicht für das gesamte Jahr 2014 bereits im Monat Juni genüge getan hat. Selbst wenn er bis Jahresende noch eine Millionen-Zahlung erhielte, bliebe diese der Öffentlichkeit verborgen. So beschlossen hat das Harbarth selbst: Gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner FDP winkten CDU und CSU im März 2013 die 10-Stufen-Regelung, und damit den Transparenz-Deckel bei 250.000 Euro, durch.

Stephan Harbarth ist nicht der einzige Bundestagsabgeordnete, der von den selbst aufgestellten, wenig transparenten Veröffentlichungsregeln profitiert. Sein Unionskollege Peter Gauweiler beispielsweise meldet für seine Tätigkeit als Anwalt sogar zweimal Einkünfte der höchsten Kategorie "10". Insgesamt summieren sich die Nebeneinkünfte des CSU-Politikers aus 19 Mandaten seit der Bundestagswahl auf mindestens 1 Million Euro brutto, wahrscheinlich aber deutlich mehr.

Zu seiner Nebentätigkeit bei Schilling, Zutt & Anschütz AG hätte abgeordnetenwatch.de gerne mehr von Stephan Harbarth erfahren. Zum Beispiel, ob mit seinem Vorstandsgehalt der "Stufe 10" seine anwaltliche Tätigkeit für SZA bereits finanziell abgegolten ist. Auf der Parlamentshomepage listet der CDU-Politiker neben seinem Vorstandsposten nämlich auch 21 Mandanten auf, allerdings ohne Stufenangaben.

[Update von 16:20 Uhr: Heute Nachmittag sind auf der Bundestagshomepage neue Einkünfte von Stephan Harbarth veröffentlicht worden: Für seine anwaltliche Tätigkeit bei SZA, für die Harbarth bislang keinerlei Einkünfte angegeben hatte, wird für das Jahr 2014 nun ein Gewinn der Stufe 6 ausgewiesen. Dies entspricht einem Betrag zwischen 50.000 und 75.000 Euro.]

Einen Fragenkatalog von abgeordnetenwatch.de zu seiner Tätigkeit für SZA ließ Harbarth zunächst drei Wochen lang unbeantwortet. Am Dienstag dann schickte der CDU-Abgeordnete ein ausführliches, wenngleich wenig erhellendes Schreiben. Darin referiert er u.a. die bestehende Rechtslage, auf die gestellten Fragen aber geht er nicht konkret ein. Wie viele seiner Kollegen begründet Harbarth seine Nebentätigkeit damit, auch während seiner Abgeordnetenzeit

nahe bei den Menschen im Leben und im Beruf bleiben, um so realitätsnah und unabhängig entscheiden zu können

- deswegen sei er nebenbei noch Anwalt. Was das jedoch mit seinem hochdotierten Vorstandsjob bei der SZA Akiengesellschaft zu tun hat, bleibt offen. (Harbarths Schreiben können Sie übrigens hier nachlesen: Ein Bürger, der ihn via abgeordnetenwatch.de zu seiner Nebentätigkeit bei SZA befragt hatte, bekam den wortgleichen Text).

Nicht nur in Bezug auf ihre Nebenverdienste, auch sonst brauchen Anwälte unter den Bundestagsabgeordneten die Offenlegungspflichten nicht zu fürchten: Selbst die Branchen ihrer Mandanten müssen sie nicht offenlegen. So haben es Union und FDP, aus deren Reihen traditionell die meisten Juristen stammen, einst beschlossen.

Dass aber gerade Rechtsanwälte schnell in die Gefahr eines Interessenkonfliktes geraten können, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2012. Damals beschloss der Bundestag ein Gesetz, durch das missliebige Minderheitsaktionäre leichter aus einem Unternehmen gedrängt werden können. Dieses sog. "Squeeze-out"-Verfahren gehört zu den Spezialitäten der Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz. Berichterstatter im Gesetzgebungsverfahren war laut SPIEGEL: Stephan Harbarth.

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