Volksvertreter und Lobbyisten in Personalunion (Update)

Wenn im Bundestag hinter verschlossenen Türen über Energiethemen beraten wird, sitzen Lobbyisten von Vattenfall und der Biospritwirtschaft mit am Tisch; auch im Gesundheitsausschuss wirkt ein Ärztefunktionär an der Gesetzgebung mit. Denn einige Abgeordnete sind Volks- und Interessenvertreter in Personalunion. Vier Beispiele.

von Martin Reyher, 28.03.2014
Bundestag

Ulrich Freese: Kohlelobbyist

  • Freese

    wird bezahlt von: Vattenfall

  • Jahres­be­züge: mehrere zehn­tausend €

  • sitzt im Energieausschuss

Der brandenburgische SPD-Abgeordnete Ulrich Freese sitzt im Präsidium und in drei Aufsichtsräten des Energiekonzerns Vattenfall und gilt als der "bissigste Lobbyist für die Braunkohle" (SPIEGEL). Während der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD sorgte Freese höchstpersönlich dafür, dass ein Bekenntnis zur Braunkohle Eingang in den Koalitionsvertrag fand. Braunkohle sei zusammen mit Steinkohle und Gas "auf absehbare Zeit unverzichtbar," heißt es dort nun auf S. 43. Dabei gehe es "nicht nur um die Umwelt", so Vattenfall-Präsidiumsmitglied Freese, "es geht auch ums Geld." Er selbst bezeichnet sich als "ein Lobbyist für die Kohle".

Für den Energiekonzern ist der Braunkohleabbau in Freeses Wahlkreis in der Tat ein großes Geschäft. 2012 hat Vattenfall nach eigenen Angaben in der Lausitz insgesamt 62,4 Millionen Tonnen gefördert.

Freese betont, dass er in den Vattenfall-Aufsichtsräten die Arbeitnehmerinteressen vertritt. Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl weist allerdings darauf hin, dass Vattenfall in der Lausitz derart dominant sei, dass dort "Unternehmens- und Arbeitnehmerinteressen Hand in Hand" gingen. Von Vattenfall kassiert Freese jährlich etwa 59.000 Euro. Davon behält der SPD-Abgeordnete nach eigenen Angaben rund 18.500 Euro brutto, den Rest führt u.a. an die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler Stiftung ab. Eine Stellungnahme und eine detaillierte Auflistung zu seinen Nebentätigkeiten hat Freese auf seine private Homepage gestellt.

Seit Januar 2013 gehört der Vattenfall-Vertreter dem Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie an.

[Update vom 22.06.2014: Der SPIEGEL berichtet heute über auffällige Spenden im Bundestagswahlkampf von Ulrich Freese:

"Für seine Wahlkampfkasse erhielt Freese Spenden in Höhe von 86.546 Euro. Zumindest ein Teil der Summe lässt sich auf ehemalige oder aktuelle Führungskräfte von Vattenfall zurückführen. So bestätigte der frühere Vattenfall-Manager Hermann Borghorst eine Zahlung von 1000 Euro."

Der Berliner Kurier weist darauf hin, dass Ulrich Freese in dieser Legislaturperiode bei zahlreichen namentlichen Abstimmungen fehlte. (Die Behauptung, er habe nur an 40 Prozent teilgenommen, ist allerdings falsch: Tatsächlich fehlte der SPD-Abgeordnete bei 40 Prozent der namentlichen Abstimmungen, s. rechte Spalte "Namentliche Abstimmungen").]

[Update vom 25.4.2015: Zu der von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplanten Klimaabgabe für Kohlekraftwerke erklärt Freese auf seiner Homepage:

"Jetzt gilt es im Bundeskanzleramt im Kopf der Bundeskanzlerin Merkel und im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Kopf des Ministers und Vizekanzlers Gabriel darum, neu nachzudenken, und den Teil der Erreichung der Klimaschutzziele aufzuheben!"

Er werde in diesem Punkt nicht locker lassen.]

Norbert Schindler: Biosprit- und Agrarlobbyist

  • Schindler

    wird bezahlt von: u.a. Verband der Bio­ethanol­wirt­schaft, dem Bio­ethanol-Unter­nehmen Crop­Energies, Bauern­verband

  • Nebeneinkünfte seit der Bundes­tags­wahl: mind. 59.000 €
  • sitzt im Energieausschuss

Der Vorsitzende des Lobbyverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft ist praktischerweise selbst für Gesetze zuständig, die seinen Verband betreffen. Als Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Energieausschusses ist Norbert Schindler Lobbyist und Gesetzgeber in Personalunion.

Ziel des Verbandes ist nach eigenen Angaben die "Vertretung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder bei der Meinungsbildung in Politik und Gesellschaft", Schindler ist ihr Sprachrohr im Zentrum der Macht.

Bezahlt wird der Lobbyist nicht nur als Vorsitzender seines Verbandes, sondern auch von dem Bioethanol-Unternehmen CropEnergies, in dessen Aufsichtsrat er sitzt (jährliche Vergütung zwischen 30.000 und 50.000 Euro). Kritik an seiner Doppelrolle als Abgeordneter und Interessenvertreter kann Schindler nicht verstehen. Er sei politisch unabhängig. Jede andere Aussage wäre allerdings auch verwunderlich.

Neben seinen Tätigkeiten für die Ethanolwirtschaft ist Schindler außerdem ein vielbeschäftigter Landwirtschaftsfunktionär. Für seine Tätigkeiten als Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes sowie als Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz und des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz-Süd bezieht er monatliche Einkünfte von jeweils zwischen 1.000 und 3.500 Euro. Unter dem Strich kassierte der CDU-Politiker für sämtliche Nebentätigkeiten in den ersten fünf Monate dieser Legislaturperiode mindestens 59.000 Euro, wahrscheinlich aber sehr viel mehr.

 

Rudolf Henke: Ärztelobbyist

  • Rudolf Henke

    wird bezahlt von: u.a. Marburger Bund, Bundes­ärzte­kammer

  • Nebeneinkünfte seit der Bundestagswahl: mind. 73.500 €
  • ist stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses

Die meisten seiner Wähler dürften wohl Patienten sein, doch der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke hat als Mediziner und Ärzte-Funktionär (Marburger Bund, Bundesärztekammer, Ärztekammer NRW) die Interessen seines Berufsstandes immer fest im Blick. Ärzteinteressen sind allerdings nicht immer deckungsgleich mit den Interessen von Patienten.

Ein namentlich nicht genanntes Mitglied des Bundestagsgesundheitsausschusses kritisiert im SPIEGEL Henkes Rollle als Ärztelobbyist. Als stellvertretender Ausschussvorsitzender sei dieser immer frühzeitig über neue Gesetzesvorhaben informiert - und damit automatisch auch die Lobbyorganisationen der Ärzteschaft.

Allein als Präsident der Ärztekammer kassiert Henke monatlich zwischen 7.000 und 15.000 Euro und damit weitaus mehr als mit seiner Abgeordnetendiät (8.252 Euro). Insgesamt beliefen sich die Nebeneinkünfte des Ärztefunktionärs in den ersten fünf Monaten dieser Legislaturperiode auf mindestens 73.500 Euro, aber wahrscheinlich deutlich mehr.

Die Berliner Zeitung schrieb kürzlich: "[Ulrich] Freese und [Rudolf] Henke sind ... zwei besonders drastische Beispiele, wie Lobbyisten als Abgeordnete direkt auf politische Entscheidungen einwirken können."

 

Axel Knoerig

  • Axel Knoerig

    wurde bezahlt von: Deutsche Telekom

  • war bis zu seinem Einzug in den Bundestag Lobbyist
  • Aussicht auf Rückkehr zur Telekom

Einen guten Kontakt in den Bundestag unterhält auch die Deutsche Telekom. Dort nämlich sitzt mit dem CDU-Abgeordneten Axel Knoerig ein ehemaliger Lobbyist aus dem eigenen Haus. "Wir waren die Schnittstelle in die Politik hinein, zu Behörden, Botschaften und Ministerien," wird Knoerig vom SPIEGEL zitiert. Er und seine Kollegen hätten die Telekom im Regierungsviertel dargestellt. Im September 2009 wurde aus dem Lobbyisten Knoerig der Abgeordnete Knoerig, seinen Telekomjob gab er mit Einzug in den Bundestag auf.

Nach seiner aktiven Zeit als Abgeordneter dürften dem CDU-Politiker bei der Telekom wieder alle Türen offenstehen. Vor der Bundestagswahl 2013 hatte ihm das Unternehmen jedenfalls eine Rückkehrmöglichkeit für den Fall angeboten, dass es mit dem Wiedereinzug nicht klappt. Doch es klappte.

Kürzlich brachte Knoerig einen Antrag zum Breitbandausbau in den Bundestag ein. Der Deutschen Telekom dürfte es recht gewesen sein.


Fotos: Schindler: © CDU/CSU-Fraktion / Freese: © spdfraktion.de / Henke: © Andreas Herrmann (CC-BY-SA 3.0) / Knoerig: © Michael Ebner (CC-BY-SA 3.0)

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