Blackbox Parteispenden

Warum wir vor das Bundesverfassungsgericht ziehen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat kürzlich ein Parteispenden-Urteil gefällt, das fatale Konsequenzen hat: Die Prüfung der Parteifinanzen durch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und seine Verwaltung findet künftig in einer Dunkelkammer statt – eine öffentliche Kontrolle ist nicht mehr möglich. Dagegen haben wir nun Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht.

von Martin Reyher, 29.09.2020
Bundesverfassungsgericht

Das verhängnisvolle Urteil lässt sich in zwei schlichten Sätzen zusammenfassen:

1. In Sachen Parteienfinanzierung gibt es bereits ausreichend Transparenz.

2. Eine zusätzliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit braucht es nicht.

Wir meinen, dass beides nicht nur unzutreffend ist, sondern verfassungswidrig und in seiner Wirkung fatal. Deswegen haben wir jetzt eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Mit dem Gang nach Karlsruhe wollen wir das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2020 überprüfen lassen. Die Richter des obersten deutschen Verwaltungsgerichts hatten damals eine Auskunftsklage von abgeordnetenwatch.de gegen den Deutschen Bundestag abgewiesen, über die wir Einblick in die Prüfung der Parteienfinanzierung erhalten wollten.

Der öffentlichen Kontrolle komplett entzogen

Bundesverfassungsrichter:innen
Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgericht (2015)

Die Wirkung des Urteils geht über diesen Einzelfall weit hinaus. Denn die Kontrolle der Parteifinanzen durch die Bundestagsverwaltung findet von nun an in einer Dunkelkammer statt. Ob und wie konsequent Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und seine Verwaltung fragwürdigen Parteispenden oder Falschangaben von Parteien zu ihrer finanziellen Lage nachgehen, ist der öffentlichen Kontrolle komplett entzogen.

Warum ist das ein Problem? In unserer Verfassungsbeschwerde verdeutlichen wir dies an zwei Beispielen:

Es bräuchte mehr Transparenz. Doch das Urteil führt zu weniger Transparenz

Wenn eine Behörde wie die Bundestagsverwaltung diese und andere Akten mit höchstrichterlichem Segen unter Verschluss halten kann, rüttelt das an den Grundfesten unserer Demokratie. Denn Demokratie basiert auf dem Vertrauen der Menschen in staatliches Handeln. Von daher braucht es eigentlich mehr Vertrauen durch mehr Transparenz. Doch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts führt zu weniger Transparenz.

abgeordnetenwatch.de-Mitgründer Gregor Hackmack erklärt im nachfolgenden Video, warum wir Verfassungsbeschwerde eingelegt haben. Ggfs. müssen Sie das Video zunächst aktivieren:

Wir haben Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil das Urteil einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt. Laut Verfassung hat jede und jeder „das Recht, […] sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, so steht es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Unterlagen der Bundestagsverwaltung zur Parteienfinanzierung, die wir einsehen wollen, sind genau solche Quellen, auch wenn das zunächst paradox klingt. Wie können Dokumente, die in den Aktenschränken einer Behörde lagern, "allgemein zugänglich" sein?

Seit 2006 gibt es das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das diesen Zugang ermöglicht. Wer Dokumente von Behörden wie der Bundestagsverwaltung einsehen möchte, ganz gleich ob Korrespondenzen, Protokolle oder Studien, kann sich auf das IFG berufen. Auf diesem Wege sind also auch interne Akten für die Allgemeinheit zugänglich, wie das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 bestätigte.

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Mit unserer Verfassungsbeschwerde wollen wir das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Punkt überprüfen lassen. Denn die Leipziger Richter berücksichtigen an keiner Stelle unser verfassungsrechtlich festgeschriebenes Informationsrecht aus Artikel 5. Statt dessen behaupten sie, dass das IFG in unserem Fall gar nicht anwendbar sei. Denn immer dann, wenn es um Unterlagen zur Parteienfinanzierung gehe, habe das Parteiengesetz Vorrang – und dieses sorge bereits für ausreichend Transparenz, so die Richter. Jedes Jahr würden die Rechenschaftsberichte der Parteien veröffentlicht, außerdem informiere der Bundestagspräsident die Öffentlichkeit alle zwei Jahre über die Parteifinanzen.

Doch wer kontrolliert die Kontrolleure – also die Bundestagsverwaltung –, wenn die Öffentlichkeit über das IFG von nun an keinen Zugang mehr zu den Akten hat?

Die rechtliche Grundlage unserer Verfassungsbeschwerde

Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben."

In Karlsruhe wollen wir außerdem einen weiteren Punkt prüfen lassen. Nach dem Grundgesetz müssen Parteien „über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben“ (Artikel 21). Auskunft über die Finanzen geben sie einerseits in ihren jährlichen Rechenschaftsberichten, aber auch gegenüber dem Bundestagspräsidenten. Zum Beispiel, wenn dieser bei der Prüfung der Parteifinanzen auf Unregelmäßigkeiten stößt und die betreffende Partei zur Stellungnahme auffordert. Genau diese Prüfunterlagen sind Gegenstand unseres langjährigen Rechtsstreits mit der Bundestagsverwaltung. Nach unserer Überzeugung handelt es sich dabei um „allgemein zugängliche Quellen“, die deswegen von der Bundestagsverwaltung an uns herausgegeben werden müssten.

Urteil könnte sich auch auf andere Bereiche auswirken

Max Straubinger, CSU-Bundestagsabgeordneter
Jahrelang gegen die Verhaltensregeln des Bundestages verstoßen: Max Straubinger (CSU)

Die fatale Wirkung des Bundesverwaltungsgerichtsurteils besteht darin, dass nicht nur die Parteienfinanzierung einer öffentlichen Kontrolle entzogen wird, sondern indirekt auch andere Bereiche. Ein Beispiel: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger verstieß seit 2011 immer wieder gegen die Verhaltensregeln für Abgeordnete, indem er Nebentätigkeiten verspätet beim Bundestagspräsidenten meldete, teilweise war er mehr als ein Jahr in Verzug. Doch Wolfgang Schäuble rügte Straubingers Verstöße erst in diesem Frühjahr. Warum ließ der Bundestagspräsident den CSU-Abgeordneten so lange gewähren? Endgültig aufklären lassen wird sich das vermutlich nicht. Denn die Bundestagsverwaltung könnte die Herausgabe der Unterlagen nun mit Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verweigern. Wenn das Parteiengesetz Vorrang vor dem Informationsfreiheitsgesetz hat, dann dürfte dies auch für das Abgeordnetengesetz und den Fall Straubinger gelten.

Dass sich die Bundestagsverwaltung bei ihrer Tätigkeit der öffentlichen Kontrolle entziehen kann, ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Deswegen haben wir Verfassungsbeschwerde eingereicht. Über deren Annahme hat nun das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.

Vergangenes Jahr haben die Karlsruher Richterinnen und Richter 75 Verfassungsbeschwerden angenommen – von insgesamt 5.446 eingereichten. Uns ist bewusst, wie hoch allein diese erste Hürde ist. Doch wir wollen nichts unversucht lassen, um die Informations- und Kontrollrechte der Öffentlichkeit zu stärken.

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