Abgeordneter verstieß jahrelang gegen Transparenzpflichten – mit dem Wissen des Bundestages

Ein CSU-Bundestagsabgeordneter hat mit dem Wissen des Bundestages jahrelang gegen die Transparenzpflichten verstoßen, ohne dass es für ihn spürbare Konsequenzen gab. Seit 2011 meldete er Nebeneinkünfte verspätet, teilweise überschritt er die Fristen um mehrere Jahre. Recherchen von abgeordnetenwatch.de zeigen unterdessen: Die Zahl der groben Verstöße durch Abgeordnete hat in den vergangen Jahren stark zugenommen. Das dürfte kein Zufall sein.

von Martin Reyher, 15.05.2020
Max Straubinger (CSU), Rüge durch den Bundestagspräsidenten

Der CSU-Politiker Max Straubinger pflegte in den vergangenen Jahren eine recht eigentümliche Auslegung der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete. Dass Nebeneinkünfte innerhalb von drei Monaten beim Bundestagspräsidenten zu melden sind, verstand Straubinger lange Zeit eher als unverbindliche Handlungsempfehlung denn als verpflichtende Vorgabe: Zunächst ließ er sich mit manchen seiner Meldungen vier oder mehr Monate Zeit, später war die Fristüberschreitung in Jahren zu messen.

Nun sind Straubingers wiederholte Verstöße auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und dessen Stellvertreter:innen zu viel geworden. In der Drucksache 19/17700 vom 22. April stellte das Bundestagspräsidium formal zahlreiche Verstöße von Max Straubinger gegen die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages fest, was einer öffentlichen Rüge gleichkommt, aber zunächst keine weiteren Konsequenzen hat. Straubinger ist einer der einflussreichsten CSU-Abgeordneten im Bundestag, viele Jahre war er stellvertretender Vorsitzender sowie Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. 2006 klagte er mit acht weiteren Abgeordneten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Einführung von Offenlegungspflichten bei Nebeneinkünften.

Mehrfach auf Fristüberschreitung hingewiesen

Max Straubinger, CSU-Bundestagsabgeordneter

In der Drucksache des Bundestagspräsidiums werden weit mehr als ein Dutzend Fristüberschreitungen aufgeführt, in keinem einzigen Jahr seit 2011 hielt sich der CSU-Abgeordnete demnach an die Verhaltensregeln. Die Verstöße betreffen Straubingers außerparlamentarische Tätigkeiten als Generalvertreter der Allianz-Versicherung, die er im Herbst 2019 aufgab, sowie als Beirat des bayerischen Sparkassenverbandes und als Landwirt. Nach Angaben auf seiner Bundestagsseite erhielt der CSU-Politiker für diese Tätigkeiten seit 2011 mehr als 700.000 Euro brutto – über viele Zahlungseingänge wurde die Öffentlichkeit mehrere Monate bzw. Jahre im Unklaren gelassen.

Straubinger störte sich auch nicht daran, dass er von der Bundestagsverwaltung mehrmals auf die Fristüberschreitungen aufmerksam gemacht wurde. Insgesamt viermal, so heißt es in der Rüge des Bundestagspräsidiums, sei er „schriftlich, zuletzt mit Schreiben vom 16. Mai 2019, auf die Pflicht zur Fristwahrung hingewiesen worden“, dennoch habe er „erneut gegen die Anzeigefrist verstoßen“.

Warum nahm die Bundestagsverwaltung die Regelverstöße jahrelang hin?

Wie Verstöße durch Abgeordnete geahndet werden

Bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln erhalten Abgeordnete in den meisten Fällen lediglich eine interne, also eine nicht öffentliche Ermahnung. Dies ist die niedrigste von drei Sanktionsstufen. Die zweit schwerste Sanktion ist eine öffentliche Rüge, die seit Verschärfung der Verhaltensregeln 2005 insgesamt zehn Mal ausgesprochen wurde. Höchststrafe ist ein Ordnungsgeld von bis zu einer halben Jahresdiät (ca. 60.000 Euro), das bislang in einem Fall verhängt wurde.

Das wiederum wirft die Frage auf, warum die Bundestagsverwaltung die notorischen Regelverstöße des CSU-Abgeordneten jahrelang hinnahm und es offenbar bei bloßen Hinweisschreiben beließ. Eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de vermochte die Parlamentsverwaltung bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu beantworten. Offen bleibt deshalb auch, ob Straubinger mit einem Ordnungsgeld zu rechnen hat, das bis zu einer halben Jahresdiät betragen kann (ca. 60.000 Euro).

Ein Ordnungsgeld ist die schärfste Sanktion bei einem Verstoß gegen die Transparenzpflichten, wird aber so gut wie nie verhängt. Erst ein einziges Mal wurde mit der CDU-Abgeordneten Karin Strenz eine Volksvertreterin zur Kasse gebeten. 2019 musste Strenz 20.000 Euro zahlen, weil sie Nebeneinkünfte aus einer Lobbytätigkeit lange Zeit vor der Öffentlichkeit verbarg. Diesen Verstoß gegen die Offenlegungspflicht hatte abgeordnetenwatch.de zwei Jahre zuvor nachgewiesen.

abgeordnetenwatch.de-Klage gegen den Bundestag

Neue abgeordnetenwatch.de-Recherchen zeigen, dass sich die groben Regelverstöße durch Volksvertreter:innen seit einigen Jahren häufen. Seit Verschärfung der Verhaltensregeln im Jahr 2005 haben Abgeordnete in insgesamt zehn Fällen eine Rüge erhalten, dies ist nach einem Ordnungsgeld die zweit stärkste Sanktion. Mehr als die Hälfte der Rügen fallen in die vergangenen drei Jahre, besonders auffällig dabei: das Jahr 2019.

Dass die Zahl der Rügen 2019 derart anstieg, ist vermutlich kein Zufall. Im Oktober 2018 hatte abgeordnetenwatch.de Klage gegen die Bundestagsverwaltung vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingereicht, um mehr über Regelverstöße durch Abgeordnete zu erfahren, die mit einer internen Ermahnung abgehandelt wurden und nicht an die Öffentlichkeit drangen. Möglicherweise reagierte die Parlamentsverwaltung auf unsere Klage, indem sie nun stärker durchgriff.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger wollte auf Anfrage nichts zu den Gründen seiner wiederholten Verstöße gegen die Transparenzpflichten sagen. In einer Stellungnahme behauptete er, abgeordnetenwatch.de wolle beruflich selbstständige Parlamentarier aus den Parlamenten „vertreiben“. Deswegen werde er die Fragen nicht beantworten. 

Nachtrag 25. Mai 2020:

Während Straubinger gegenüber abgeordnetenwatch.de eine Antwort verweigerte, äußerte er sich auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Demnach sah die Bundestagsverwaltung erst genauer hin, nachdem abgeordnetenwatch.de die Klage eingereicht hatte. Die SZ schreibt

"Doch selbst der laxe Umgang mit Straubinger scheint, verglichen mit der früheren Praxis, eine Verschärfung zu sein. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Portal Abgeordnetenwatch.de im Oktober 2018 eine Klage gegen die Bundestagsverwaltung eingereicht hat, um mehr über die bisher nicht veröffentlichten Regelverstöße der Abgeordneten zu erfahren. Eine Verbindung damit würde jedenfalls zur Schilderung von Straubinger passen: "Bis Ende 2018 hatte niemand moniert, wenn man die Einnahmen nicht rechtzeitig gemeldet hat", sagte er der Süddeutschen Zeitung."


Nachfolgend eine Übersicht mit allen Rügen und Ordnungsgeldern wegen eines Verstoßes gegen die Verhaltensregeln durch Bundestagsabgeordnete:

Fragen an die Bundestagsabgeordneten? Hier geht es zur Fragefunktion auf abgeordnetenwatch.de

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