Parteifinanzen und Transparenz

Karlsruhe weist Verfassungsbeschwerde von abgeordnetenwatch.de ab

Die Öffentlichkeit erhält keinen Einblick mehr in Unterlagen der Bundestagsverwaltung zu Parteifinanzen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt eine Verfassungsbeschwerde von abgeordnetenwatch.de abgewiesen. An der Entscheidung beteiligt: Der langjährige CDU-Abgeordnete und heutige Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth.

von Martin Reyher, 21.11.2022
Foto von Mitgliedern des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts. In groß zu sehen ist Stephan Harbarth, Vorsitzender des Senats.

Der Beschluss ist kurz und schnörkellos: "Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. [...] Diese Entscheidung ist unanfechtbar." 

Mit der Nicht-Annahme der Verfassungsbeschwerde von abgeordnetenwatch.de hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Schlussstrich unter einen jahrelangen Rechtsstreit gezogen. Dieser begann 2016 vor dem Berliner Verwaltungsgericht mit einer Klage gegen den Deutschen Bundestag auf Herausgabe von Unterlagen zu Parteifinanzen und endete nun in Karlsruhe. 

Die Entscheidung hat zur Konsequenz, dass die Öffentlichkeit kein Anrecht mehr auf Unterlagen der Bundestagsverwaltung zum Thema Parteienfinanzierung hat. Dadurch lässt sich beispielsweise nicht nachvollziehen, ob und mit welcher Intensität die Verwaltung fragwürdigen Parteispenden nachgeht oder wie sie Verstöße von Parteien bewertet. 

1,5 Mio. Euro nebenher: Als Abgeordneter hatte der heutige Verfassungsgerichtspräsident einen einträglichen Nebenjob bei einer Kanzlei

Dass eine Verfassungsbeschwerde abgewiesen wird, ist nicht ungewöhnlich. 2019 haben die Karlsruher Richterinnen und Richter lediglich 75 Verfassungsbeschwerden angenommen – im selben Jahr wurden 5.446 gestellt. 

Bemerkenswert ist dagegen, wer an der jetzigen Entscheidung des Gerichts zu den Parteifinanzen beteiligt war: Stephan Harbarth, Vorsitzender des Ersten Senats und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, aber eben auch ein langjähriger Parteipolitiker. Zwischen 2009 und 2018 saß Harbarth für die CDU im Deutschen Bundestag, zuletzt war er stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. 

An Harbarths Berufung zum Bundesverfassungsrichter hat es vielfach Kritik gegeben, unter anderem deshalb, weil er aus einem Parteiapparat stammte und weil er geschäftliche Beziehungen zu Großkonzernen unterhielt. Während seiner Zeit im Bundestag war Harbarth als Vorstandsmitglied und Anwalt für eine große Kanzlei tätig gewesen und hatte Mandanten wie Daimler und Südzucker bei Firmenübernahmen beraten. Für seine Nebentätigkeiten bei der Kanzlei SZA erhielt er allein zwischen 2013 und 2017 mindestens 1,5 Mio. Euro, ein vielfaches der Abgeordnetendiät.


Dokumente:


2015 wurde der Vorwurf des Interessenkonflikts gegen Harbarth laut. Als Obmann im Rechtsausschuss des Bundestags hatte er dafür gestimmt, die Aufarbeitung des VW-Abgasskandals von der Tagesordnung zu nehmen. Seine Kanzlei war in dieser Zeit für Volkswagen tätig. Harbarth wies jegliche Vorwürfe zurück, er selbst sei mit dem Mandat auch nicht befasst gewesen. 

Harbarth ist einer von drei Richterinnen und Richtern, die den Nichtannahmebeschluss zu unserer Verfassungsbeschwerde unterzeichnet haben. Begründet wird die Abweisung nicht. 

Ausriss aus Abweisungsschrift des Bundesverfassungsgerichts mit folgendem Text: "Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Harbarth, Ott, Härtel"
"Unanfechtbar": Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsbeschwerde von abgeordnetenwatch.de

Mit der Beschwerde wollten wir ein Urteil des obersten deutschen Verwaltungsgerichts in Leipzig überprüfen lassen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2020 eine Auskunftsklage von abgeordnetenwatch.de gegen den Bundestag abgewiesen. Die Richter urteilten, vereinfacht gesagt, dass in Sachen Parteienfinanzierung bereits ausreichend Transparenz herrsche. Jedes Jahr würden die Rechenschaftsberichte der Parteien veröffentlicht, außerdem informiere der Bundestagspräsident die Öffentlichkeit alle zwei Jahre über die Parteifinanzen. Ein Recht auf Unterlagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bestehe deswegen nicht. 

Der Tagesspiegel brachte die Auswirkungen des Urteils damals mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt: Wenn der Bundestagspräsident bzw. die Bundestagspräsidentin als oberste Aufsichtsbehörde die Parteifinanzen kontrollieren – "wer kontrolliert dann die Kontrolleure?

Die Antwort darauf lautet: Niemand. Denn das Leipziger Gericht hatte die Kontrolle durch die Öffentlichkeit ausgehebelt. 

Veranschaulichen lässt sich das an zwei Beispielen:

  • 2015 berichtete das ZDF-Magazin Frontal21, dass die FDP offensichtlich falsche Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen gemacht und damit möglicherweise gegen das Parteiengesetz verstoßen hatte. Wie intensiv ging die Bundestagsverwaltung damals den Vorwürfen nach? 
  • 2017 machten wir publik, dass die CDU illegale Parteispenden des aserbaidschanischen Ölkonzerns Socar angenommen hatte. Geprüft wurde der Fall vom damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) und dessen Fachleuten. Diese stellten fest, dass die CDU durch die Annahme der unrechtmäßigen Spenden gegen das Parteiengesetz verstoßen hatte und wollten zunächst eine Strafzahlung verhängen. Doch am Ende kam die CDU ohne Ordnungsgeld davon. Wie kam es dazu, dass die Bundestagsverwaltung ihre Meinung änderte?

Beide Fragen sind bis heute unbeantwortet und werden sich auch nicht mehr leicht beantworten lassen. Durch das Gerichtsurteil von 2020 kann niemand auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Unterlagen zur Parteienfinanzierung beim Bundestag anfordern. Das wird durch die Abweisung der Verfassungsbeschwerde so bleiben.

Die rechtliche Grundlage unserer (gescheiterten) Verfassungsbeschwerde

Nach einer Klage von abgeordnetenwatch.de urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Jahr 2020, dass die Öffentlichkeit kein Anrecht auf Unterlagen des Bundestags zur Kontrolle der Parteifinanzen hat. Dagegen legten wir beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde ein. Darin argumentieren wir, dass das Urteil einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt, konkret gegen zwei Artikel:

  • Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
  • Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben."

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde jetzt, nach rund zwei Jahren, zurückgewiesen.

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