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Tobias Lindner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Claus E. •

Frage an Tobias Lindner von Claus E. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Lindner!

Was halten Sie von der Idee einer "Monetativen"?

s.u.a. de.wikipedia.org

Auszug: "Joseph Huber fordert eine Reform der Geldschöpfung, weil er darin die langfristig wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung gegen gemeinwohlschädigende Spekulationsexzesse an Finanzmärkten sieht. Diese bestehe darin, die multiple Geldschöpfung durch die Banken zu beenden, um die prozyklisch überschießende Expansion und Kontraktion des Geldangebots zu unterbinden, und zu ersetzen durch eine verstetigte, an der Realwirtschaft orientierte Geldmengenpolitik [4]. Dazu müsse eine eigenständige vierte Staatsgewalt, die Monetative, neben Legislative, Exekutive und Judikative eingerichtet werden. Es käme zu einer lückenlosen Wiederherstellung der staatlichen Finanzprärogative, was das Währungsmonopol, das Steuermonopol, das vollständige Geldregal sowie den ungeschmälerten Geldschöpfungsgewinn (Seigniorage) zugunsten der öffentlichen Hand einschließt [1]."

Ich freue mich Auf Ihre Antwort!

Herzliche Grüße,

Ihr

Claus Eutin

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Eutin,

wir stimmen der Analyse überein, dass grundsätzliche Veränderungen am Finanzsystem notwendig sind, um nachhaltig Stabilität schaffen zu können.

Als grundsätzliches Problem kritisieren wir GRÜNE die wachsende Spreizung der Vermögen in Deutschland, die mangelhafte Regulierung von Finanzinstitutionen sowie eine Überproduktion von Gütern, die Schaden für die Gesellschaft bedeutet. Die Ursachen sehen wir in einer mangelhaften Regulierung am Finanzmarkt und einer unsozialen Steuerpolitik. Seit den 80er Jahren galt in Europa wie in den USA in weiten Teilen die neoliberale Doktrin, dass keine Regulierung die beste Regulierung sei. Bis Ende der 70er Jahre hatten wir bereits Fiat-Geld, also Giralgeld welches im Rahmen einer Monetativen abgeschafft werden würde, ohne dass dadurch Finanzkrisen entstanden wären. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg funktionierte die Allokationsfunktion der Banken recht gut und so konnten Banken mit ihren Transformationsfunktionen dafür sorgen, dass Spareinlagen der Bürger den Weg zu Unternehmen mit Investitionsbedarf fanden. Erst mit einer immer stärkeren Deregulierung der Finanzmärkte hat sich die Krisensequenz verschärft. Die Einführung von Derivaten und der sprunghafte Anstieg dieser im Vergleich zur realwirtschaftlichen Entwicklung bezeugen diesen Trend. Wir sehen die Ursache der Krise daher nicht in erster Linie in unserem Geldsystem als solchem, sondern in fehlerhaften Anreizen, die das System setzt. Die Strukturen auf den Finanzmärkten geben einzelnen AkteurInnen die Macht, das Gesamtsystem zu gefährden. Die internationalen Finanzmärkte sind alles andere als finanziell nachhaltig und krisenfest. Mit der Einführung von Basel II wurde Banken erlaubt, ihre aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote künstlich hoch zu rechnen, während die tatsächliche Eigenkaptalquote, und damit die Fähigkeit, Verluste zu absorbieren, drastisch gesunken ist. Die fragmentierten und auf die Nationalstaaten beschränkten Bankenrettungsprogramme waren ineffizient und haben die Krise sogar weiter verschlimmert. Es bestehen Fehlanreize zu Gunsten kurzfristigen Handelns – sowohl bei der Frage der Eigenkapitalunterlegung von Risiken als auch bei Bonuszahlungen. Die bisherige Rettungspolitik formt darüber hinaus immer größere Banken, die noch schwerer abzuwickeln sind und die ihre Größe auch politisch nutzen.

Des Weiteren wird argumentiert, dass Banken durch die Zinsen, die sie erwirtschaften, immer reicher werden. So wird ein Kredit dargestellt, der erst aus dem Nichts geschöpft und dann in Raten inkl. Zinsen zurückgezahlt wird. Am Ende ist das anfangs geschaffene Giralgeld gelöscht. Einzig verblieben sind die Zinsen, die sich nun im Eigentum der Bank befinden. Diese Argumentation ist grundsätzlich korrekt, gilt aber nur, wenn der Schuldner tatsächlich seinen Kredit bedient. Banken gruppieren ihre Schuldner in Risikoklassen und errechnen für jede Risikoklasse eine erwartete Ausfallrate. Die erwartete Ausfallrate gibt an, wie viel Prozent der Schuldner einer bestimmten Risikoklasse im Durchschnitt pro Jahr pleitegehen und ihren Kredit daher nicht zurück zahlen. Wenn die erwartete Ausfallrate für eine bestimmte Risikoklasse 1% beträgt, muss die Bank mindestens 1% plus ihre eigenen Refinanzierungskosten verlangen, um ihre variablen Kosten zu decken (Dies ist ein vereinfachtes Beispiel, welches bei völlig unkorrelierten und granularen Krediten gilt). In der Praxis muss eine Bank darauf noch eine Marge für Fixkosten (z. B. Gehälter, Gebäude, etc.) und unerwartete Verluste addieren. Der Wettbewerb zwischen den Banken funktioniert in Deutschland sehr gut – im Ausland wird Deutschland gelegentlich auch als „overbanked“ bezeichnet – sodass diese keine Kreditzinsen verlangen können, die deutlich oberhalb dieser Marge liegen. Nur der Anteil der Zinsen aber, der oberhalb dieser Marge liegt, ist tatsächlich Profit für die Bank. Erst in diesem Fall würde aber eine Übertragung der Geldmenge aus dem Wirtschaftskreislauf zu Banken erfolgen. Unser sehr kompetitiver Bankenmarkt wird sogar von manchen Kommentatoren als Ursache dafür gesehen, dass Banken riskantere Geschäfte eingehen müssen, um überhaupt noch die notwendige Marge für eine Kostendeckung zu erwirtschaften. Würde hingegen eine permanente Verlagerung der Geldmenge (und damit von Werten) auf Banken erfolgen, müsste die Unternehmenswerte der Banken ausgedrückt in ihrer Marktkapitalisierung an den Börsen permanent steigen – auch das ist nicht der Fall.

Derzeit leben wir in Deutschland in einem Umfeld von sogenannter finanzieller Repression, das heißt die Zinsen auf Staatsanleihen und Sparkonten sind niedriger als die Inflation. In solchen Phasen entsteht eine Verteilungswirkung weg von Rentiers und hin zu verschuldeten Einheit der Volkswirtschaft, wie zum Beispiel dem Staat. Es ist also keine Gesetzmäßigkeit des Giralgeldsystems, dass Mittel von der Realwirtschaft und der öffentlichen Hand in die Finanzwirtschaft verlagert werden, wie behauptet.

Wir teilen also die Analyse der Probleme, wollen diese aber durch eine grundlegende Änderung unseres Finanzsystems, und nicht unseres Geldsystems, angehen.

Als GRÜNE Bundestagsfraktion setzten wir uns dafür ein, dass

• Finanzmärkte effizienter reguliert und beaufsichtigt werden müssen,
• eine Schuldenbremse für Banken (leverage ratio) in Form einer absoluten Untergrenze des Eigenkapitals eingeführt werden muss, bei welcher die gesamten Risiken einer Bank eingerechnet werden,
• eine europäische Finanztransaktionssteuer eingeführt werden und dafür das Erfordernis der Einstimmigkeit bei Steuerfragen in eine Mehrheitsentscheidung geändert werden muss,
• Gehälter und Boni ab 500 000 € nicht mehr gewinn- und steuermindernd berücksichtigt werden dürfen

Des Weiteren muss der Agglomeration hoher Vermögen bei Einzelnen entgegengewirkt werden. Die Hauptkritik der Vollgeldbefürworter richtet sich auf die Problematik erhöhter Vermögenskonzentration. Diese Kritik unterstützen wir auch voll und ganz. Dies ist auch ursächlich für den deutlichen Anstieg der Geldmenge. Wenn immer mehr Geld aber nicht für Konsum sondern für Anlagezwecke gehalten wird, ist dies ein maßgeblicher Faktor für Vermögensblasen in Finanzmärkten. Insbesondere die Rettung von Finanzinstitutionen während der Krise kostete einen hohen Preis. Dabei wurden durch die Rettungsmaßnahmen Vermögenswerte gesichert. Die Rettungen haben also Vermögenden mehr genutzt als anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Daher haben wir Grüne auf unserem Parteitag im November eine Vermögensabgabe zum Abbau der enormen Staatsverschuldung beschlossen. Über 10 Jahre sollen Millionäre 1,5 Prozent ihres Vermögens als Abgabe bezahlen, um die Schulden der Krise in Höhe von 100 Milliarden Euro abzubauen. Das ist maßvoll und vernünftig. Die Vermögensabgabe belastet weniger als ein Prozent der Deutschen, rund 330.000 Personen.

Mit freundlichen Grüßen

Tobias Lindner

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