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Terry Reintke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Johann L. •

Frage an Terry Reintke von Johann L. bezüglich Umwelt

In Deutschland dauert die Diskussion um Luftreinhaltung, Fahrverbote, Diesel-Nachrüstung schon lange an, aber was ist denn anderen EU-Ländern los? Die drohenden bzw bschlossenen Fahrverbote haben doch ihren Ausgangspunkt in einer EUROPÄISCHEN Richtlinie zur Luftreinhaltung, nicht wahr? Ich würde gerne einmal über die Grenze blicken.

(1) Ist die Luft in Paris, Warschau, Rom, Mailand ... besser? Falls nicht, was geschieht in anderen Ländern/Ballungsäumen? Welche Lösungen gibt es in anderen Ländern bzw welche werden dort öffentlich diskutiert?

(2) Gibt es ein Land, welches man bei der Lösung des Luftreinhaltungsproblems als richtungsweisend nennen könnte?

(3) Ist das Problem überhaupt auf nationaler Ebene lösbar?

(4) Die Schweiz ist - obwohl kein EU-Mitglied - vielfach mit der EU verknüpft. Gilt die Luftreinhalte-Richtlinie auch für die Schweiz?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr L.,

danke für ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Sie haben Recht. Die Gerichte, die in Deutschland die Fahrverbote verhängen, tun dies im Wesentlichen aufgrund der Europäischen Richtlinie über Luftqualität und sauberer Luft.
Vorab ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie 2008 beschlossen wurde und die Mitgliedsstaaten bis 2010 Zeit hatten die Richtline umzusetzen. Erst 2018 hat die Kommission dann Deutschland, Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich verklagt, weil diese Länder die vereinbarten Grenzwerte nicht eingehalten haben und keine geeigneten Maßnahmen zur Einhaltung ergriffen haben. Weiterhin laufen gegen die Tschechische Republik, Spanien und die Slowakei Vertragsverletzungsverfahren

Zu ihren Fragen.

Zu 1:
Wie durch die Klage der Kommission schon bestätigt: Nein. In einer Mitteilung von Januar 2018 hat die Kommission bestätigt, dass die Luftqualitätsnormen in 23 der 28 Mitgliedsstaaten noch immer überschritten werden.
Als Reaktion gibt es zum Beispiel in Paris ab Juli 2019 ein komplettes Fahrverbot für Dieselautos, die vor 2001 angemeldet wurden. Darüber hinaus gibt es dort seit Januar 2017 neue Schadstoff Plaketten, die 20 Jahre alte oder ältere Autos aus den Innenstädten verbannen.
In Madrid wurden in diesem Jahr die Bürgersteige verbreitert und die Innenstadt für Nicht-Anwohnende komplett gesperrt. Auf den meisten Straßen gilt Tempo 30, ältere Dieselfahrzeuge dürfen gar nicht mehr in die Stadt.
Einen Überblick über aktuelle Maßnahmen in den Mitgliedsstaaten gibt es zum Beispiel vom ADAC unter https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/abgas-diesel-fahrverbote/fahrverbote/fahrverbote-ausland/
Bitte beachten Sie, dass in der Liste geplante Maßnahmen in der Regel nicht aufgeführt sind.

Zu 2:
Die Hauptstadt mit der saubersten Luft ist zurzeit Tallinn in Estland. Dort ist der öffentliche Personennahverkehr seit 2013 für Anwohnende kostenlos. Dies hat zur Folge, dass mehr Menschen ihren Erstwohnsitz nach Tallin verlegt haben, um das Angebot nutzen zu können. Die Steuereinnahmen der Stadt sind hierdurch so gestiegen sind, dass das Modell fast refinanziert ist. Natürlich sind alle Städte und ihre Strukturen unterschiedlich und erfolgreiche Modelle aus einer Stadt lassen sich in der Regel nicht ohne Weiteres auf eine andere Stadt übertragen. Fest steht: Etwas mehr Kreativität bei der Problemlösung kann durchaus verlangt werden.
Mehr Informationen zum Tallinner Modell finden sie hier: https://rp-online.de/nrw/panorama/oepnv-so-funktioniert-der-kostenlose-nahverkehr-in-tallinn_aid-19631071

Zu 3:
Die Frage suggeriert, dass es bislang nur nationale Maßnahmen zur Bekämpfung der von schmutziger Luft in Städten gäbe. Tatsächlich gibt es aber die Europäische Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft. Die EU und alle ihre Mitgliedstaaten haben sich hier auf ein gemeinsames Ziel, sauberere Luft in den Innenstädten und allgemeine Grenzwerte geeinigt. Es gibt also einen europäischen Plan, aber es gibt eben auch viele Regierungen, die die Umsetzung bislang verschlafen haben. Und tatsächlich ist die Frage, wie die Belastung von z.B. Köln durch Feinstaub und Stickoxide gesenkt werden kann, eine Frage, die nur in Deutschland beantwortet werden kann. Hier ist die Bundesregierung gefragt, endlich wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die Menschen, die sich im Vertrauen ein PKW anschaffen und die Menschen, die an den schlimmsten belasteten Straßen wohnen und arbeiten, gehören geschützt. Für mich stehen die Interessen der Verbraucher*innen und Betroffenen vor den Profitinteressen der Autokonzerne.

Zu 4:
Für die Schweiz gilt das Gemeinschaftsrecht nicht, die Grenzwerte für die Schadstoffbelastung sind aber weitestgehend an die EU-Werte angeglichen. Auch in der Schweiz werden Maßnahmen wie Umweltzonen, Dieselfahrverbote und Ähnliches öffentlich diskutiert, beispielhaft sei hier die Diskussion in der Stadt Basel genannt: https://bazonline.ch/basel/stadt/Ein-Dieselfahrverbot-koennte-moeglich-werden/story/27534789
Bei weiteren Fragen können Sie sich auch gerne direkt an mich wenden unter terry.reintke@ep.europa.eu

Mit freundlichen Grüßen
Terry Reintke

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