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Stephanie Iraschko-Luscher
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Frage von Klaus L. •

Frage an Stephanie Iraschko-Luscher von Klaus L. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Iraschko-Luscher,

das Thema "Bürokratieabbau" ist ja in aller Munde. Bislang habe ich außer " Sprechblasen" hierüber keine konkreten Hinweise ( weder von Ihrer Partei, noch von den anderen ) bekommen. Daher die Frage mit der Bitte um konkrete Aussagen:
Was verstehen Sie / Ihre Partei unter "Bürokratieabbau"?
Wie und in welchen Bereichen wollen Sie / Ihre Partei konkret vorgehen?
Sie und Ihre Partei wollen ( wenn ich das richtig verstanden habe ) ja insgesamt Kostensenkungen über Bürokratieabbau erwirtschaften. Auch hier die Frage ganz konkret bitte : Woher, wie hoch, wann ?

freundliche Grüße aus der Fröhlichen und Hansestadt Hamburg
Klaus Lunke

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Lunke,

200 Jahre nach den Stein-/Hardenbergschen Verwaltungsreformen ist es Zeit für ein völlig neues Verständnis und eine neue Organisation staatlicher Verwaltung. Die Aufgaben des Staates müssen radikal reduziert werden. Der bürokratische Interventionsstaat des 19. Jahrhunderts hat sich aufgebläht zum allzuständigen Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts.

Deutschland erstickt im Bürokratiewust. Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften regeln alles bis ins letzte Detail. Über 90000 Einzelvorschriften sorgen dafür, dass in vielen Situationen der Überblick fehlt. Für die Wirtschaft entstehen dadurch jährlich, nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bürokratiekosten in Höhe von rund 46 Mrd. Euro, die über Produkte und Dienstleistungen auch an die Bürger weitergegeben werden. Somit verursacht Bürokratie nicht nur Kosten bei der Wirtschaft, sondern auch direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass das langjährige Streben der Politik nach Einzelfallgerechtigkeit, der Versuch, jedes noch so kleine Detail in Gesetzen und Verordnungen zu regeln, sich ins Gegenteil verkehrt. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verärgert, weil sie Regelungen nicht mehr verstehen und man langsam einen persönlichen Anwalt braucht, will man rechtstreu durch den Alltag kommen.

Daher ist nicht die Funktionsweise des Staates in Frage zu stellen, sondern der Wohlfahrtsstaat an sich. Wir fordern: Anstelle des intervenierenden Staates tritt der moderierende Staat. Der moderierende Staat beschränkt sich darauf, die Rahmenbedingungen für die Funktionsfähigkeit eines freiheitlichen Gemeinwesens zu garantieren. Der moderierende Staat als Garant der Freiheit eröffnet Handlungsräume und verpflichtet gleichzeitig die Bürger Verantwortung zu übernehmen. Am deutlichsten zeigt sich der Irrweg des Interventionsstaates in der bürokratischen Überregulierung unserer Gesellschaft. Am Leitbild des moderierenden Staates orientiert heißt Bürokratieabbau immer zugleich Freiheitsaufbau.

Der Staat soll den Bürgerinnen und Bürgern nutzen und sie nicht belasten. Zwischenzeitlich hat sich der bürokratische Wust zu einer Bedrohung der Funktionsfähigkeit des Staates und der persönlichen Freiheit ausgeweitet.
Der radikale und zugleich wirkungsvollste Weg wäre, alle Gesetze und Verordnungen des Bundes innerhalb von fünf Jahren außer Kraft treten zu lassen, es sei denn der Gesetzgeber entscheidet sich für ihren Fortbestand. In einem moderierenden Staat wird die unüberschaubare Vielzahl von Ausführungs- und Durchführungsvorschriften überflüssig. Sie sind zu ersetzen durch Zielvorgaben und Bewertungsmaßstäbe in Gesetzen. Dies erfordert eine tiefgreifende Veränderung jeglicher staatlichen Verwaltung. Der Weg zu einem modernen Staat führt über folgende Maßnahmen:

1. Neue Gesetze sind grundsätzlich daraufhin zu überprüfen, ob sie befristet und mit einem Verfallsdatum versehen werden können. Die Befristung und eventuelle Änderungen bemessen sich nach dem Bedürfnis an Rechts- und Planungssicherheit der Adressaten des jeweiligen Gesetzes. Gesetze ohne Befristung sind nach 5 Jahren dahingehend zu überprüfen, ob ihr Fortbestand notwendig ist.

2. Neue Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes sind grundsätzlich auf 5 Jahre zu befristen und so mit einem Verfallsdatum zu versehen. Die pauschale Verlängerung von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften in einem Gesetz ist unzulässig.

3. Verordnungsermächtigungen in Gesetzen sind einer strengen Einzelfallprüfung zu unterziehen. Die Bundesregierung wird verpflichtet, in jedem Einzelfall des Erlasses einer Rechtsverordnung die Notwendigkeit der einzelnen Regelungen zu begründen.

4. Die so genannten blauen Prüffragen sind ein effektives Instrument zur Gesetzesfolgenabschätzung. Sie sind wieder einzuführen, für jedes Gesetzesvorhaben zur Anwendung zu bringen und die Prüfung ist jeweils zu dokumentieren. Zuständig für die Prüfung der Rechtsförmlichkeit ist das Bundesministerium der Justiz.

5. Bei zu ändernden Gesetzen werden die federführenden Ministerien zu einer Überprüfung verpflichtet. Leitfrage ist, ob bei dem zu ändernden Recht bzw. der dazu ergangenen Rechtsverordnungen die bestehenden Vorschriften insgesamt vereinfacht werden können oder entbehrlich geworden sind. Bei der parlamentarischen Beratung ist über das Ergebnis dieser Prüfung zu berichten.

6. Jährlich ist sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene ein Rechtsbereinigungsgesetz vorzulegen, das bestehende und nicht mehr erforderliche Gesetze und Rechtsverordnungen in Teilen oder vollständig aufhebt. Ziel ist es, 10 % des Regelungsbestandes jährlich auf seine Entbehrlichkeit zu überprüfen. Das wären derzeit auf Bundesebene ca. 200 Gesetze und 250 Rechtsverordnungen.

7. In einem Bürokratiekosten-TÜV sind die administrativen Belastungen für Unternehmen und Verbraucher, die aus neuen Gesetzen und Verordnungen resultieren, im Gesetzgebungsverfahren aufzuführen und hinreichend zu quantifizieren. Dadurch werden die Bürokratiekosten transparent gemacht. So wird schon von Anfang an eine Bürokratiekostenabschätzung dazu führen, dass bestimmte Regelungen gar nicht erst getroffen werden.

8. Die FDP fordert, zukünftig eine Bürokratiekostenerstattung für Unternehmen einzuführen. Es kann nicht sein, dass sich der Staat jeden Handschlag bezahlen lässt, die Unternehmen aber eine Vielzahl von Aufgaben für den Staat kostenfrei erledigen müssen. Dazu zählt zum Beispiel die Berechnung und Abführung von Steuern und Sozialabgaben für Arbeitnehmer. Oft bedienen sich die Unternehmen zur Bewältigung der bürokratischen Verpflichtungen der Hilfe eines Steuerberaters. Aufgrund dessen ist zu überprüfen, inwieweit die Steuerberatergebühren als Anhaltspunkt zur realitätsnahen Vergütung der Bürokratiekosten der Unternehmen herangezogen werden können.

9. Die FDP will Genehmigungserfordernisse auf ein Minimum beschränken. Grundsätzlich wollen wir dem Anzeigeverfahren den Vorzug vor dem Genehmigungsverfahren geben. Antragstellern soll ein Wahlrecht auf Genehmigung oder Anzeige ihres Vorhabens zustehen und damit das Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Der Antragsteller kann zugunsten der Beschleunigung auf die amtliche Genehmigung verzichten, die die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen rechtlichen Voraussetzungen belegt. Dafür muss der Antragsteller jedoch der Behörde gegenüber Sicherheiten erbringen, alle Kosten tragen, gegebenenfalls entsprechende Bestätigungen von Sachverständigen vorlegen und eine Haftpflichtversicherung nachweisen. Das Verfahren für alle Genehmigungsanträge soll zweistufig und automatisiert ausgestaltet werden:

- Die Behörde hat die Vollständigkeit der Antragsunterlagen innerhalb von vier Wochen zu überprüfen. Der Antrag gilt als vollständig, wenn sie die Unterlagen innerhalb der Frist gegenüber dem Antragsteller nicht beanstandet.

- Wenn die Genehmigung nicht zuvor bereits erteilt worden ist, konkrete Hinderungsgründe durch die Behörde nicht mitgeteilt wurden oder der Antragsteller mit der Behörde keine längere Genehmigungsfrist vereinbart hat, gilt der Antrag nach Ablauf einer Frist von weiteren sechs Wochen als genehmigt (Genehmigungsfiktion).

- Wenn die Verwaltung nicht binnen einer angemessenen Frist über einen Antrag entscheidet, soll dem Antragsteller die Verwaltungsgebühr in doppelter Höhe zurückerstattet werden.

10. Der Deutsche Bundestag wird aufgefordert, für bestimmte Gesetze und Rechtsverordnungen Experimentier- und Öffnungsklauseln zuzulassen, die es Modellregionen ermöglichen, zeitlich befristet, bestimmte Regelungen außer Kraft zu setzen.

11. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union sollte mit Nachdruck verfolgt werden. Ähnliche wie die hier vorgeschlagenen Vorgehensweisen zum Abbau der Bürokratie sollten auch auf der europäischen Ebene verfolgt werden.

12. Die Anzahl der Statistiken muss deutlich verringert werden. Immer mehr Statistiken führen dazu, dass natürliche Lebensvorgänge immer weiter künstlich aufgespaltet und damit gleichzeitig auch bürokratisiert werden. Durch weniger Statistiken entsteht ein klareres und damit auch durchschaubareres Bild für die Gesetzesschaffung und –anwendung.

13. In allen Verwaltungen soll eine Person als Ombudsmann/-frau benannt werden, der/die den Bürger/-innen für unverständlich formulierte Antworten zur Verfügung steht. Analog zu einem in den Niederlanden erprobten Modell soll es möglich werden, unverständliche Antworten einfach wieder zurückzusenden.

14. Zur Reduzierung unnötiger Behördengänge sind den Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen eines e-government umfangreiche Möglichkeiten elektronischer Antragstellung einzuräumen (z.B. Beantragung von Ausweisen, Führerscheinen, Steuererklärungen). Soweit technisch möglich, soll ein Anspruch des Bürgers auf solche Möglichkeiten eingeführt werden. Verfahrensregelungen des Bundes und der Länder sind dahingehend zu ergänzen.

15. Alle Rechtsvorschriften sind den Bürgerinnen und Bürgern kostenfrei im Internet zugänglich zu machen.

Bürokratieabbau muss in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, beispielsweise bei der Bundesagentur für Arbeit, stattfinden. Je mehr Gewicht die FDP hat, desto schneller und nachdrücklicher kann sie die Entbürokratisierung auf Bundesebene vorantreiben. In Hamburg müssen Sie sich hiermit leider bis zur nächsten Bürgerschaftswahl, die voraussichtlich 2008 stattfinden wird, gedulden.

Mit freundlichen Grüßen

Stephanie Iraschko-Luscher