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Stefan Wagener
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Frage von Stefan D. •

Frage an Stefan Wagener von Stefan D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wagener,

mit großem Interesse verfolge ich die Diskussion um die Tätigkeiten der NSA. Ich möchte von Ihnen als Mitglied der Grünen wissen:
1) Wie ist Ihre Position zu der Frage, ob US-Geheimdienste mit dem Segen der Bundesregierung deutsche Bürger ausspionieren und deutsche Geheimdienste auf NSA-Daten zurück greifen sollen?
2) Inwiefern werden sich die Grünen im Bundestag dafür einsetzen, die Privatsphäre der Bundesbürger zu wahren?

Mit freundlichen Grüßen
S. Dreier

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dreier,

vielen Dank für Ihrer Anfrage.

zu 1.) Der Zugriff ausländischer Geheimdienste auf digitale Daten deutscher Bundesbürger und Unternehmen kann bisher nicht wirklich bewertet werden, da selbst die Mitglieder (z.B. für die Grünen Christian Ströbele) des geheimtagenden Kontrollausschusses bis heute nicht darüber informiert wurden, welche Daten in welcher Menge ohne rechtlich begründbaren Verdacht systematisch von ausländischen Geheimdiensten (z.B. NSA) ausgewertet wurden. Auch ist das Ausmaß der Zusammenarbeit mit deutschen Diensten weitgehend unklar. Die Grünen lehnen aber die Speicherung von Daten (Vorratsdatnspeicherung) und somit auch die systematische Auswertung solcher Daten ab. Die Frage, ob deutsches Recht mit den jetzt in der Öffentlichkeit diskutierten Datenmißbrauch systematisch gebrochen wurde muss noch beantwortet werden. Die (geheimen) zwischenstaatlichen Abkommen (die auch nach der deutschen Wiedervereinigung fortbestehen), die es ausländischen Geheimdiensten erlaubt in Deutschland ohne Verdachtsmoment Kommunikationsdaten deutscher Bürger auszuwerten müssen auf den Prüfstand.

zu 2.) Wir Grüne wollen unsere Bürgerrechte wieder stärken und dem neu geschaffenen Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme gesetzlich Geltung verschaffen. Datenschutz ins Grundgesetz. Der Datenschutz muss als Grundrecht in der Verfassung verankert werden. Das Fernmeldegeheimnis des Artikel 10 Grundgesetz wollen wir zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln, das die digitale Welt umfasst.

Unter dem Deckmantel der sogenannten „Cybersicherheit“ darf nicht der Abbau eines freien und offenen Internets vorangetrieben werden. Die umfassende und anlasslose Totalüberwachung des Internetverkehrs (ob E-Mail, Voice-over-IP (Skype) oder soziale Netzwerke (Facebook)) durch PRISM und TEMPORA zeigt deutlich, dass unsere Forderungen nach einem soliden Datenschutz UND die Erweiterung des Kommunikationsgeheimnisses zwingend nötig sind.
Ohne Datenschutz gibt es kein freies Internet. Wir lehnen bürgerrechtsfeindliche Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung (anlasslose Massenspeicherungen) oder die heimliche Online-Durchsuchung von Computern durch Staatstrojaner und die massive Ausweitung der Bestandsdatenauskunft ab.

Wir wollen die pseudonyme und anonyme Kommunikation gesetzlich absichern. Zielgerichtetes Eingreifen, wenn mittels des Internets kriminelle Handlungen begangen werden. Gute Aufklärungsraten im Online-Bereich zeigen: grundrechtsschonende Ermittlungsansätze sind vorhanden. Wir brauchen Strafverfolgungsbehörden, die fit sind für das digitale Zeitalter. Gegen die exzessive Sammlung von Daten zur Erstellung von Kundenprofilen setzen wir uns für transparente und faire Regeln ein, indem wir die ausdrückliche Einwilligung zur Speicherung und Verarbeitung von Daten zum Grundprinzip machen. Wir fordern ein Verbot von computerbezogenem Tracking (Verfolgung) durch Cookies, das von BürgerInnen nicht bemerkt wird. Ebenso grundlegend ist der präventiv wirkende, gesetzlich verpflichtende Datenschutz durch Technik bei allen IT-Produkten (Privacy by Design) und datenschutzfreundliche Voreinstellungen auf höchstem Standard ab Werk (Privacy by Default) sowie der Schutz vor ungewollter Profilbildung und automatisierter Bewertung (Scoring) von Daten.

Wir unterstützen die laufende Reform des Europäischen Datenschutzrechts (Richtlinie für Polizei- und Justizbereich und Verordnung für Unternehmen und
Behörden), die unter anderem den Datenschutz gegenüber Unternehmen aus Drittstaaten stärkt und die Durchsetzungsbefugnisse für die Datenschutzbehörden
erhöht. Damit wird auch der Grundrechts- und Verbraucherschutz gegenüber Anbietern sozialer Netzwerke (Facebook etc.) verbessert.
Wir verlangen den Verzicht auf die Speicherung von Fluggast- und Schiffspassagierdaten innerhalb der EU. Ein weiteres europäisches Datensystem
neben dem Schengen-Informationssystem und dem Visa-Informationssystem macht Europa nicht sicherer.

Opfer von „Cybermobbing“ (bspw. in sozialen Netzwerken) müssen ihre Persönlichkeitsrechte durch eine gesetzliche Verpflichtung, entsprechende Inhalte unverzüglich nach Kenntnisnahme zu löschen (Notice and Takedown), schützen können. Wir wollen verbriefte und durchsetzbare Rechte, um den Weg der eigenen Daten nachverfolgen, Auskunft über gespeicherte Daten erlangen, die Weitergabe unterbinden und ihre permanente und umgehende Löschung veranlassen zu können.

Für einen effektiven Datenschutz ist die Unabhängigkeit des Bundesbeauftragten für Datenschutz unabdingbar. Die Stiftung Datenschutz, welche die von uns seit
langem geforderten Datenschutz-Audits (Gütesiegel) vergeben könnte, braucht eine entsprechende Gesetzesgrundlage. Mit diesem Datenschutz-Audit bekommen
VerbraucherInnen umfassende und zuverlässige Informationen, die ihnen bei Kaufentscheidungen helfen sollen. Bisher hat die Stiftung Datenschutz zu wenig finanzielle Mittel und Personal. Außerdem ist ihr Arbeitsauftrag inhaltlich fragwürdig und wird von sämtlichen Verbraucherschützern sowie Landes- und Bundesbeauftragten für den Datenschutz sowie alle Oppositionsparteien abgelehnt .

Auch ein umfassender Beschäftigtendatenschutz ist überfällig. Es fehlt bis heute an Rechtssicherheit für Beschäftigte. In den Betrieben herrscht oft Willkür. Das
Mitlesen von E-Mails und die Beobachtung des Surfverhaltens, aber auch das Massenscreening ohne konkreten Tatverdacht geht uns zu weit. Wir brauchen
Klagerechte der Betriebsräte und deren Mitsprache bei der Bestellung der Datenschutzbeauftragten.

Die reflexartigen Rufe nach allumfassender Videoüberwachung öffentlicher Räume weisen wir entschieden zurück. Es braucht konkrete Straftaten und eine klare Prognose, dass weitere Straftaten an Orten begangen werden. Kameras dürfen immer nur auf Zeit aufgehängt werden, Ergebnisse sind ständig zu evaluieren.

Viele Grüße
Stefan Wagener