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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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Frage von Eberhard S. •

Frage an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von Eberhard S. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,

die BRD hat sich gegenüber Denjenigen, die die Flucht aus der DDR nicht wagten und stattdessen die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse in der DDR schweigend unterstützt haben, nach dem Mauerfall bei der Rentengesetzgebung nicht vom Rachegedanken der Sozialstrafe leiten lassen. Diese Haltung der Demokraten ist beispielhaft und entspricht vollinhaltlich den Werten einer pluralistischen Gesellschaft. Die BRD hat Wissenschaftlern, Ingenieuren, Justizangehörigen, Lehrern, Volksarmisten und Volkspolizisten, Stasis, SED- Funktionären usw. im Beitrittsgebiet mit dem Rentenüberleitungsgesetz Renten oder Anwartschaften mit Orientierung am Fremdrentengesetz zuerkannt.

Wie auch im Hamburger Abendblatt - www.abendblatt.de - zu lesen ist, werden DDR-Flüchtlinge / Übersiedler (auch die mit C-Ausweis), die bis zum 9.11.89 in die BRD kamen, nachträglich praktisch wegen Ihrer Flucht / Ausreise bestraft. Man hat Ihnen ihre, durch FRG- Eingliederung und nach dem GG zugesicherte Rangstelle innerhalb der Gemeinschaft weggenommen. Ottmar Schreiner (SPD) hatte in einer Rede vor dem Bundestag sinngemäß ausgeführt, dass es das (also eine Sozialstrafe) bisher nur einmal in Deutschland gegeben hat, nämlich bei den von Deutschland nach 1933 ausgegrenzten Mitbürgern. Mit der Ausgrenzung einer Minderheit, stellt sich der Rechtsstaat selbst ein Bein, denn es sind insbesondere die Ingenieure unter den Flüchtlingen / Übersiedlern betroffen, die gut ausgebildet, nicht nur ihr Wissen u. Können, sondern mit Ihren Kindern auch Zukunft in das Gemeinwesen einbrachten.

Ich frage Sie als Volljuristin und Bundesministerin a.D:
Finden Sie es richtig, dass diese Mitbürger, die sich offen gegen Willkür und Gewaltherrschaft stellten und sehr viel zurück lassen mussten, nun rentenrechtlich im Rechtsstaat stillschweigend dafür enteignet werden?

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Eberhard Sonntag

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Sonntag,

vielen Dank für Ihre Mail vom 31.12.2006.

Mit dem Ende der SED-Diktatur hat das vereinte Deutschland sich der Aufgabe gestellt, 40 Jahre Unrecht, Verfolgung und Behördenwillkür aufzuarbeiten und den Opfern des SED-Regimes späte Genugtuung zu geben. In allen Bundestagsfraktionen besteht die Überzeugung, dass ihr Einsatz für Demokratie und Freiheit zu würdigen ist.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau zitieren, der anlässlich der Gedenkveranstaltung zur 50. Wiederkehr des 17. Juni 1953 folgende Worte an alle politischen Entscheidungsträger richtete:
"50 Jahre danach müssen die Opfer Anerkennung erfahren, die Opfer des 17. Juni und alle die, die in der DDR Unrecht erlitten haben. Manches geschieht dafür, dennoch begegne ich immer wieder Opfern des DDR-Regimes, die nicht bekommen haben, worauf sie auch nach meinem Eindruck billigerweise einen Anspruch haben sollten. Da ist manches hinter dem zurückgeblieben, was wir uns unter Gerechtigkeit vorstellen -- so schwierig das oft rechtlich zu regeln sein mag. Haben wir alle genug dafür getan, dass niemand verbittert, weil er sich ein zweites Mal bestraft und dazu missachtet fühlt?"

Den Opfern der SED-Diktatur begegnen wir auch heute wieder. Viele fühlen sich missverstanden, manche gar missachtet. Die Initiative der Bundesregierung wird dem Anspruch, alles Erdenkliche gegen die Verbitterung zu tun, nicht gerecht. Sie ist bestenfalls halbherzig. Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die Situation der Opfer der SED-Diktatur zu verbessern, bleibt für die Mehrheit der Betroffenen uneingelöst. Nach vorläufigen Berechnungen kommt allenfalls ein Viertel der Betroffenen in den Genuss der Opferpension. Der Rest geht leer aus. Hierzu zählen allein stehende Verfolgte mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 1035 Euro und verheiratete Verfolgte mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 1380 Euro. Hierzu zählen aber auch die Opfer von "Zersetzungsmaßnahmen". Hierzu zählen aber auch die von der Roten Armee verschleppten Zivildeportierten, insbesondere zur Zwangsarbeit verschleppte Frauen.

Das größte Problem in diesem Zusammenhang ist die vorgesehene Bedürftigkeitsprüfung. Diese ist mit dem Grundanliegen der Initiative, den Opfern der SED-Diktatur Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht vereinbar. Die Liberalen fordern, dass hierauf verzichtet wird. Man sollte den Opfern - viele davon befinden sich in ihrem achten oder neunten Lebensjahrzehnt - die Peinlichkeit der hiermit verbundenen Prüfung der persönlichen Lebensverhältnisse und der Verwaltung die damit verbundene Bürokratie ersparen.

Nach wie vor unbefriedigend geregelt ist auch die Situation im Bereich der Gesundheitsschäden. Die dem Opfer obliegende Beweislast führt vielfach zu unvertretbaren Ergebnissen, insbesondere bei inneren Gesundheitsschäden, wie Magen-, Darm-, Herz- oder Lungenerkrankungen. Hier sollte es zu einer gesetzlichen Vermutung von Gesundheitsschäden kommen, wie sie die FDP-Bundestagsfraktion bereits in ihrem Gesetzentwurf für ein drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz in der letzten Wahlperiode vorgeschlagen hat, und wie sie heute von vielen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gefordert wird.

Wir haben die Verpflichtung, das Mögliche zur Wiedergutmachung des an SED-Opfern begangenen Unrechts zu tun. Meines Erachtens sollte sich ein drittes Gesetz zur SED-Unrechtsbereinigung an drei wesentlichen Eckpunkten orientieren:

1. Einführung einer Opferpension
Diese sollte 500 Euro betragen, Opfern politischer Verfolgung ungeschmälert verbleiben und ihnen unabhängig von wirtschaftlicher Bedürftigkeit zustehen. Die monatliche Leistung ist unabhängig von anderen Ansprüchen und nicht auf sie anrechenbar zu gewähren. Er ist nicht übertragbar und nicht vererbbar.

2. Höhere Stiftungsmittel
Erhöhung der Mittel der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge um einen Betrag, der es erlaubt, Opfergruppen, die bislang von der Inanspruchnahme der Stiftung ausgenommen wurden oder nur schwer Zugang zu ihren Leistungen gefunden haben, angemessen finanziell zu unterstützen.

3. Längere Antragsfristen
Verlängerung der Antragsfristen nach dem Strafrechtlichen, Verwaltungsrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz in Anlehnung an die vorgenommene Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Lohnunterlagen von DDR-Betrieben bis zum 31. Dezember 2011.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger