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Frage von Christian S. •

Frage an Rainer Arnold von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Rainer Arnold,

ich möchte gerne wissen warum Sie bei den Finanzhilfen für Griechenland zugestimmt haben, ohne auf die Mehrheit des Volkes zu hören, das genug davon hat das Deutsche Steuergelder an andere Länder verschleudert werden?
Wir leben doch in einer Demokratie, oder?
Warum hören Sie als Volksvertreterin dann nicht auf den Willen des Volkes?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt noch mehr Geld geben wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger den Euro überhaupt wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt in der EU sein wollen?
Uns hat nie jemand gefragt!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schubert,

Ihre kritische Haltung hinsichtlich der Finanzhilfen an Griechenland kann ich einerseits verstehen - schließlich zahlt niemand gerne für die Schulden der anderen. Davon abgesehen greift Ihre Kritik aber zu kurz.

Was den „Volkswillen“ anbelangt: Für mich als Abgeordneten gehört das Gespräch mit Bürgern, sei es am SPD-Infostand, in meinen Bürgersprechstunden, bei Veranstaltungen, aber auch mit Vertretern von Vereinen, Verbänden und sonstigen Organisationen zu meiner täglichen politischen Arbeit. Dabei höre ich ganz unterschiedliche Kommentare zu politischen Themen und stelle immer wieder fest: Die /eine/ Volksstimme gibt es nicht. Ganz gleich, ob Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Europa oder Strompreise in Rede stehen: Die Meinungen (und auch Interessen) sind vielfältig. Das ist auch gut so ; schließlich bedeutet Demokratie offene Meinungsäußerung, bisweilen auch Streit, um letztlich an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Man sollte sich aber auch immer vor Augen führen, dass die eigene Meinung nicht die einzige Sicht der Dinge ist - auch wenn sie von anderen geteilt wird.

Hinsichtlich Ihrer Fragen zur EU möchte ich nochmals ins Bewusstsein rufen, warum die EU - zunächst in den 1950er-Jahren aus einem Bündnis von sechs westeuropäischen Staaten - entstanden ist, nämlich aus der Einsicht europäischer und amerikanischer Staatsmänner, dass zukünftige Kriege im Zentrum Europas vermieden werden mussten.Dazu musste das wiedererstarkende Deutschland in einen größeren westlichen Verbund eingebunden werden, was die Franzosen 1950 dazu brachte, den europäischen Partnern einen Zusammenschluss der westeuropäischen Schwerindustrie anzubieten. Genau diese Motivation brachte auch de Gaulle dazu, 1960 Adenauer die Hand zur Versöhnung anzubieten.

Dasleitende Motiv waren nach 1945 also weniger die europäischen Ideale. Es waren vielmehr die Einsichten aus der bisherigen (und z.T. buchstäblich verheerenden) europäischen Geschichte.

Das Jubiläum Elysée-Vertrags von 1963, der die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich institutionalisierte, wurde ja vor wenigen Wochen hier in Berlin gefeiert. Die gesamte Assemblée nationale war dafür bei uns zu Gast. Das ist schon ein Hinweis darauf, dass es bei diesen rationalen Einsichten, die zur Gründung der EU geführt hatten, nicht blieb. Europa findet heute zwar in der EU seinen institutionellen Rahmen. Daneben ist es aber mittlerweile viel mehr als Bürokratie, Richtlinien, Verträge - und auch mehr als der Euro.

Es ist vor allem verbunden mit der längsten Friedensperiode in der Geschichte Europas, die dann auch die Idee vom friedlichen Europa mit engsten Verbindungen in Kultur, Rechts- und Wirtschaftsleben prägte.

Daneben hat Europa auch ganz praktische Auswirkungen auf seine Bürger, die heute meist selbstverständlich sind: Im Supermarkt stehen heute spanischer Wein, französischer Käse und dänische Butter im Regal - und die Kunden können sich darauf verlassen, dass dafür die Lebensmittelstandards gelten, die sie in Deutschland gewohnt sind. Die Verbraucher können sich auch darauf verlassen, dass es keinen Zoll gibt, der die Waren künstlich verteuert.Dabei sind nicht nur Waren und Dienstleistungen sind frei, auch die Menschen genießen Freizügigkeit. Wer in einem anderen EU-Land leben und arbeiten will, kann das tun. Studierende können einen Teil ihres Studiums im Ausland verbringen können und sich die dort erbrachten Leistungen an der Heimathochschule anrechnen lassen.Wer in ein anderes EU-Land reist, kann dies weitgehend ohne Grenzkontrollen tun: Man kann heute von Nordfinnland bis nach Sizilien fahren, ohne einmal einen Ausweis oder gar Reisepass zu zeigen.

Jetzt mal ehrlich: Wollen Sie das alles zugunsten einer rein nationalstaatlichen Lösung aufgeben ?

(Die Briten z.B. spielen hier gerade ein gefährliches Spiel: Die Androhung eines Austritts mit Blick auf innenpolitische Interessen. Aber welcher Automobilkonzern wird dann noch in Großbritannien seine Autos für den gemeinsamen europäischen Markt produzieren? Und was sagen die Beschäftigten in der britischen Automobilindustrie dazu? Es ist den Briten daher sehr zu wünschen, dass die EU-Skeptiker über diese Fragen nachdenken, /bevor/ sie den antieuropäischen Empfindungen noch zusätzlichen Schub verleihen.)

Dazu kommt: Unser (deutscher) Anteil an der Weltbevölkerung wird immer kleiner. Er beträgt derzeit 1,5 Prozent (mit sinkender Tendenz), der Anteil der EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern liegt bei immerhin acht Prozent. Das heißt aber auch:Nur wenn Europa heute seine vielen Stimmen zusammengefasst vorträgt, hat es eine Chance in der heutigen Welt mit ihren immer engeren wirtschaftlichen Verflechtungen (und den Schwergewichten China und USA) mitzuspielen.

Die Motive für Europa sind oft nicht im Bewusstsein der öffentlichen Meinung und doch wichtig, um den Wert der europäischen Idee einschätzen zu können.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Es gibt Auswüchse in der EU-Bürokratie, die zurückgeschnitten werden sollten. Es gehört dazu aber auch: Wenn vielen Bürgern zu Europa anstatt „Freiheit, Frieden, Wohlstand“ eher „Bürokratie, Kosten und komplizierte Bürokratie“ einfallen, hat das vielleicht auch damit zu tun, dass nationale Politiker positive Entwicklung gerne für sich in Anspruch nehmen, obwohl es auf eine europäische Regelung zurück geht. Wenn aber umgekehrt etwas Unangenehmes zu berichten ist, dann wird auch schon mal gerne "Brüssel" geschoben. Da ist auch für die Politik einiges zu tun.

Und zur Wahrheit gehört: Hätten die Mitgliedsstaaten sich immer an das gemeinsame Recht gehalten, gäbe es die gegenwärtige europäische Krise nicht. Auch deshalb muss die Einhaltung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen, wieder Vorrang vor ökonomischen Kalkülen haben. Auf der anderen Seite können wir Krisenstaaten wie Griechenland nicht zu Tode sparen, wenn sich das Land je von seiner wirtschaftlichen Schwindsucht erholen soll. Deshalb habe ich auch dafür gestimmt, dass Griechenland zwei Jahre länger Zeit bekommt, (also bis 2016 anstatt bis 2014) um seinen Haushalt zurückzuzahlen. Mehr Zeit für Griechenland kostet aber auch mehr Geld. In diesem Fall sind das insgesamt 32 Mrd. Euro. Finanziert wird zunächst die Lücke bis 2013 mit insgesamt 14 Mrd. Euro. Die restlichen 18 Mrd. Euro schiebt die derzeitige Bundesregierung allerdings nach hinten, sodass das Thema erst später - nach der Bundestagswahl - wieder auf der Tagesordnung steht.

Wir wollen Griechenland aber nicht in die Staatspleite schlittern lassen, denn letztlich gilt auch: Es kann Deutschland als Exportnation nicht gut gehen, wenn es den Ländern in Europa, die bei uns kaufen, schlecht geht. Das ist jetzt schon der Fall (und das merken z.B. die Arbeiter bei Opel) und würde noch schwieriger, wenn wir sagten, lasst uns doch die Problem des kleinen Landes am Rande Europas ignorieren und so weiter machen wie bisher.

Von daher - und das ist nach meinen Erfahrungen auch im Allgemeinen nicht umstritten: Eine gute Zukunft Europas liegt eben auch in deutschem Interesse.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Arnold