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Petra Pau
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Frage von Tom M. •

Frage an Petra Pau von Tom M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Moin, moin Frau Pau. Meine Frage: Ich mache mir große Sorgen um unseren Rechtsstaat. Die Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den G20, die teilweise an den Haaren herbeigezogenen Begründungen für das Verbot der Internetplattform Indymedia, die verlogene Vorgehensweise bei der Aufklärung der Verbrechen des NSU, das, und vieles mehr hat mit Rechtsstaatlichkeit nix zu tun. Es scheint mir, als seien Täuschung und Vertuschung legetime Mittel zur Durchsetzung (rechts) - konserativer Gesinnung. Im kleinen besteht in den Handlungsweisen unseres Innenministeriums kein großer Unterschied zu dem was Erdogan in der Türkei betreibt. Ich bin wirklich entsetzt! Zu guter letzt wünsche ich der Linken den größtmöglichen Erfolg bei der anstehenden Bundestagswahl. Liebe Grüße aus Oberndorf.

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Sehr geehrter T. M.,

Ihren Vergleich mit dem „System Erdogan“ teile ich nicht, wohl aber ihre Sorgen und Bedenken.
Zu Ihren Beispielen lassen sich problemlos weitere hinzufügen. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Videoüberwachung öffentlicher Räume und die Vorratsspeicherung persönlicher Daten verboten bzw. drastisch eingeschränkt. CDU/CSU und SPD versuchen dennoch immer wieder, diese Urteile zu umgehen. Und jedes Mal, wenn Geheimdienste in Skandale verwickelt waren (NSU, NSA), wurden diese hernach aufgerüstet.

Ich bleibe dabei: Bürgerrechte und Demokratie müssen verteidigt und ausgebaut werden.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Pau

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Sehr geehrter Herr M.,

Wir erleben seit einigen Jahren eine Explosion rechter Gewalt: 2016 ereigneten sich fast 1700 rechte Gewalttaten, 14 Prozent mehr als 2015. Insgesamt zählt die Polizei über 23.000 rechte Straftaten. Die Dunkelziffer ist höher. Der Aufstieg rechter Bewegungen ist auch Ergebnis neoliberaler Politik. Seit Kohl hören die Menschen, dass der Staat schlanker, der Gürtel enger geschnallt, die Wirtschaft weniger reguliert werden soll. Angela Merkel fordert gar die „marktkonforme Demokratie“. Bei vielen Menschen richtet sich die Wut über den Verlust an Wohlstand und politischem Einfluss aber nicht gegen die Verantwortlichen, sondern gegen Minderheiten: „Ausländer“, Obdachlose, Flüchtlinge, Alte und Arme. Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung fokussiert sich die Empörung einer konservativen Mehrheit immer öfter auf die angebliche Gefahr eines zunehmen Linksextremismus. So wurde – rechtsstaatlich höchst fragwürdig – die Internetplattform Indymedia auf der Grundlage eines Vereinsverbotsverfahrens verboten und zahlreichen kritischen JournalistInnen beim G-20 Gipfel ohne Begründung die Akkreditierung entzogen. Auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse zweier parlamentarischer Bundestagsuntersuchungsausschüsse zum NSU und dem wachsenden rassistischen Ressentiments in der Gesellschaft fordert meine Fraktion DIE LINKE:

1) eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus;
2) die dauerhafte Förderung von Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus und Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt;
3) ein Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt;
4) ein konsequentes Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen rechte Strukturen, von denen Gewalt ausgeht.

Auch die Geheimdienste – das haben die NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag am deutlichsten gezeigt – haben bei der Prävention neonazistischer Verbrechen versagt. Angeblich schützen die Geheimdienste die Demokratie. Doch ein Skandal nach dem nächsten zeigt: sie sind Fremdkörper in der Demokratie, die sich jeder Kontrolle entziehen. Allein im Bundestag hat es in den letzten 10 Jahren vier Parlamentarische Untersuchungsausschüsse um Geheimdienst-Skandale (NSU, NSA, Journalistenbespitzelung durch den BND, etc.) gegeben. Doch die Aufklärung musste Stückwerk bleiben. Die Dienste berufen sich auf den Schutz ihrer Kooperation mit anderen Geheimdiensten oder ihrer Zuträger in beobachteten Netzwerken und Gruppen. Der Schutz ihrer Tätigkeit geht vor parlamentarischer Kontrolle und behindert eine effektive Strafverfolgung. Mit der letzten Gesetzesänderung zum Verfassungsschutz wurde der Einsatz von straffälligen V-Leuten sogar gesetzlich legitimiert. Schwere Gewalttäter können sich weiter über ein kleines Zubrot freuen, wenn sie sich dem Verfassungsschutz als Spitzel zur Verfügung stellen. Wir sind überzeugt: der beste Schutz der Verfassung sind starke Bürgerinnen und Bürger. Auch deshalb wollen wir die unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Nur eine ungeschönte Analyse kann dauerhaft helfen, Ideologien der Ungleichheit und Menschenfeindlichkeit zu erkennen und argumentativ gegen sie vorzugehen. Für die Abwehr konkreter Gefahren für Leib und Leben ist und bleibt die Polizei zuständig.

Nur mit anderen, neuen Mehrheiten im Parlament können wir an diesen Zuständen etwas ändern.

Ich bedanke mich für Ihre guten Wünsche zur Bundestagswahl.

Mit freundlichen Grüßen,
Petra Pau

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