Portrait von Otto Fricke
Otto Fricke
FDP
100 %
30 / 30 Fragen beantwortet
Frage von Max H. •

Frage an Otto Fricke von Max H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Fricke,

Mit Interesse habe ich Antwortschreiben vom 04.09.2012 gelesen.

Wie auch viele meiner Mitbürger bin ich der Meinung, dass die ausgeübte repräsentative Demokratie nicht optimal ist.
Die repräsentative Demokratie wurde schon in der Weimarer Republik ausgeübt.
In den 1930er Jahren hatten Lobbyisten zu großen Einfluss auf die Parteien. Die Folge daraus kenne Sie ja, es wurde nämlich der falsche Mann, durch die Parteien, zum Kanzler gewählt.
Das unterstreicht den Schwachpunkt dieses Systems.

Auch heutzutage schwindet das Vertrauen, dass Entscheidungen zum Wohle des Volkes getroffen werden, weil der Einfluss von Lobbyisten aus Banken und Wirtschaft zu groß geworden ist.
Eine Direktwahl könnte Abhilfe schaffen, da der Einfluss der Parteien auf die Arbeit des Bundeskanzlers nur noch marginal ist und der Kanzler selbst, sofern er wiedergewählt werden möchte, sich an dem Wunsch des Volkes orientiert. Ferner ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Kanzler sein Kabinett mit kompetenten Ministern besetzt.

Daher möchte ich Sie folgendes fragen: Wie können wir als Bürger durchsetzen, dass der Bundeskanzler und der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt wird, ohne eine Partei gründen zu müssen.

Mit freundlichen Grüßen
Dipl. - Ing. Max Hickel

Portrait von Otto Fricke
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hickel,

für Ihre Stellungnahme zum Zustand unserer repräsentativen Demokratie und Ihre Frage zum Thema Direktwahl von Bundeskanzler und Bundespräsident danke ich Ihnen. Sehr gerne antworte ich darauf und nehme auch ganz grundsätzlich Stellung zur Organisation unserer Demokratie. Lassen Sie mich aber zu Beginn Ihre relativ rechtstechnische Frage kurz und knapp beantworten.

Davon ausgehend, dass es ihr politisches Ziel ist, sowohl den Bundespräsidenten als auch den Bundeskanzler direkt vom Volk wählen zu lassen, sehe ich nur drei Möglichkeiten, wie Sie diese Zielsetzung im Rahmen unserer Verfassung erreichen können. Alle drei beinhalten dabei jedoch die Veränderung unseres Grundgesetztes, was stets nur über eine Zweitdrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag möglich ist. Diese hohe Hürde müssten Sie also in jedem Fall nehmen.

Variante eins ist die Möglichkeit, sich mit Ihrem Anliegen an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sowie die Petitionsausschüsse der Landtage zu wenden. Mit der notwendigen Unterstützung aus der Bevölkerung und einer fundierten Begründung könnten Sie so versuchen, die Abgeordneten von Bundestag und Landtagen für Ihre Idee zu gewinnen. Bedenken Sie allerdings, dass Sie dafür sowohl eine parteiübergreifende Zweitdrittelmehrheit im Deutschen Bundestag, als auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erreichen müssten. Das bedeutet, dass Sie vor allem auf Seiten der Landesparlamente unzählige Abgeordnete überzeugen müssen.

Variante zwei ist die Möglichkeit, dass Sie sich in einer der bestehenden Parteien für Ihr Ziel engagieren. Das - so muss ich unumwunden sagen - wäre die von mir empfohlene Variante. Hier haben Sie die Möglichkeit, ihre Vorstellungen ganz konkret in einen Antragstext zu fassen und diesen Antrag auf den unterschiedlichsten Ebenen der Partei zur Abstimmung zu stellen. Sollten Sie Ihre Vorstellungen auch für andere nachvollziehbar begründen und die Parteimitglieder überzeugen können, wird es nicht lange dauern, bis Ihr Antrag Beschlusslage der Partei ist. Anschließend muss Ihre Partei dann natürlich noch die ausreichende Mehrheit im Parlament erlangen oder aber genügend Abgeordnete anderer Parteien davon überzeugen, dass Ihre Vorschläge richtig sind. Sicherlich kein leichter Weg, aber in meinen Augen der realistischste.
Variante drei wäre die Möglichkeit, eine eigene Partei zu gründen, deren Ziel die Einführung der von Ihnen geforderten direktdemokratischen Elemente ist. Hier hätten Sie von Beginn an die Möglichkeit, Ihre Vorstellungen zum eigenen Parteiprogramm zu machen und so lange dafür zu werben, bis Sie die erforderlichen Mehrheiten in Bund und Ländern erreicht haben. Allerdings ist es in der Regel der beschwerlichste Weg, mit einer neuen - in diesem Fall ja inhaltlich sogar auf nur zwei Punkte beschränkten - Partei den Weg ins Parlament zu finden. Außerdem hatten Sie diese Variante ja bereits für sich ausgeschlossen. Von daher stehen Ihnen eigentlich nur Variante eins und zwei zur Verfügung.

Lassen Sie mich nach dieser eher technischen Abhandlung noch einige Worte zu Ihrem grundsätzlichen Anliegen verlieren. Nicht nur weil ich selbst Abgeordneter und damit Teil der repräsentativen Demokratie bin, sondern auch weil ich mich als Jurist ausführlich mit dem Konzept und der Qualität unseres Grundgesetzes auseinandergesetzt habe, muss ich Ihrem Anliegen entschieden widersprechen. Auch Ihre historischen Einlassungen kann ich so leider nicht im Raum stehen lassen.

Schließlich war es keinesfalls die repräsentative Demokratie als solche, die Hitler und die Nationalsozialisten zur Macht verholfen hat, sondern - wenn überhaupt - die konkrete Ausgestaltung der damaligen Reichsverfassung der Weimarer Republik. Gerade deshalb hat sich der Parlamentarische Rat ja dazu entschieden, das Grundgesetz nicht einfach als neuen Aufguss der Weimarer Verfassung zu schreiben, sondern darin das Konzept der streitbaren und wehrhaften Demokratie zu verwirklichen. Kern dieses Konzeptes ist es, dass wir nur eine einzige Verfassungsinstitution in Deutschland haben, die über direkte, vom Volk gegebene Legitimität verfügt: Den Deutschen Bundestag, unser Parlament. Er hat das Legitimitätsmonopol in unserem Land und damit als einzige Institution (auf Bundesebene) das Recht, für sich in Anspruch nehmen zu können, direkt gewählt zu sein. Alle anderen Verfassungsorgane leiten ihre jeweilige Legitimität von ihm und den ebenfalls direkt gewählten Landtagen ab.

Ein gutes und bewährtes System, wie ich finde. Schließlich verhindert es Machtkonzentration bei einer einzigen Person und sorgt gleichzeitig dafür, dass niemand - nicht einmal der Bundespräsident - von sich behaupten kann, eine höhere Legitimation zu haben als das Parlament. Schließlich war ja gerade dies eines der Probleme der Weimarer Reichsverfassung, wo der Reichspräsident vom Volk direkt gewählt wurde und daher einen deutlich größeren realen Machtanspruch für sich beanspruchte, als dies von der Verfassung her eigentlich vorgesehen war. Letztendlich war es ja auch der direkt gewählte Reichspräsident von Hindenburg, der Adolf Hilter zum Reichskanzler ernannte und ihm damit den Weg an die Macht mit ermöglichte. Auch er war es, der nach dem Reichstagsbrand 1933 die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" erließ, mit der faktisch der dauerhafte Ausnahmezustand in Deutschland eingeführt und die Grundrechte der Bevölkerung eingeschränkt wurden. Sie sehen: Selbst direkt gewählte, vermeintlich hoch legitimierte Präsidenten sind keine Garantie gegen Gefahren für die Demokratie.

Generell kann ich Ihrer Logik nicht folgen: Sie behaupten, dass das Vertrauen in die Politik schwinden würde, weil der Einfluss des Lobbyismus aus Wirtschaft und Finanzwelt zu groß sei. Nun haben wir aber ein Parlament mit 620 frei gewählten Abgeordneten. Wenn ich Sie recht verstehe, gehen Sie davon aus, dass der "Lobby-Einfluss" auf diese Abgeordneten derart groß ist, dass sie alle blindlings den Interessen von Wirtschaft und Banken hinterherlaufen, da man ihnen von Seiten der Lobbyisten stetig einflüstere, wie sie abzustimmen hätten. Einmal ganz davon abgesehen, dass dies keinesfalls mein eigener Eindruck ist und ich auch bei meinen Kollegen andere Erfahrungen mache, ist Ihre Logik doch etwas absurd. Da 620 direkt gewählte Abgeordnete so sehr von "Lobbyinteressen" gesteuert seien, wollen sie stattdessen nur noch zwei direkt gewählte Persönlichkeiten, die dann maßgeblich die Politik bestimmen sollen. Doch wer garantiert Ihnen denn, dass eben diese beiden Personen dann nicht auch dem von Ihnen unterstellten "Lobbydruck" nachgeben? Schließlich ist es doch für jeden Lobbyisten deutlich leichter Einfluss auf nur zwei Personen zu nehmen, als auf 620 frei gewählte Abgeordnete, die tagtäglich in ihren Wahlkreisen mit den Menschen in Kontakt kommen, deren Probleme kennen und sich ihre Sorgen anhören. Diese Logik erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht.

Vielmehr möchte ich dafür plädieren, einmal zu hinterfragen, warum "Lobbyismus", oder wie ich eher sagen würde, Interessenvertretung denn etwas schlechtes sein sollen? Schließlich ist es doch gerade der Wettstreit von Meinungen und Interessen, der Pluralismus, der unsere Demokratie zu einer wirklichen Herrschaft des Volkes macht. Ich vermute es ist auch Ihr Idealbild, dass Sie ein politisches Problem identifizieren und sich damit an einen Ihrer Abgeordneten wenden - so wie Sie es mit dieser Frage getan haben. Sie wünschen Sich, dass sich der Abgeordnete Ihrem Problem annimmt, sich Gedanken dazu macht und Stellung dazu bezieht. Im Idealfall, so hoffen auch Sie sicher, sollte er Ihr Anliegen in seine Entscheidungsfindung mit einbeziehen und so handeln, dass Ihrem Problem Abhilfe geschaffen wird.

Genau das jedoch ist "Lobbyismus": Das Vertreten von Partikularinteressen gegenüber politischen Entscheidungsträgern. Wenn Sie also das Interesse haben, dass Bundeskanzler und Bundespräsident zukünftig direkt gewählt werden sollten, sind Sie in diesem Sinne ein "Lobbyist" für dieses Anliegen. Darin erkenne ich nichts Verwerfliches, schließlich würde ein Verbot solcher Kontakte verhindern, dass Abgeordnete sich tatsächlich um die Probleme der Menschen kümmern können. Wichtig ist in meinen Augen nur, dass die Abgeordneten ihrerseits zu einem bestimmten Problem auch alle beteiligten Seiten hören - also Wirtschaft, Arbeitnehmer, Sozialverbände, Religionsgemeinschaften etc. - und sich unter Einfluss aller vorgebrachten Argumente eine eigene Meinung bilden. Solange dies gegeben ist, halte ich Interessenvertretung für einen legitimen, ja gar notwendigen demokratischen Vorgang und wehre mich vehement dagegen, Interessenvertretung aus der Wirtschaft negativ als "Lobbyismus" zu bezeichnen, während Interessenvertretung von Sozial- und Umweltverbänden, von Gewerkschaften und Menschenrechtlern als ausnahmslos gut angesehen wird. Schließlich sollten doch alle Parteien in einem Streitfall gehört und die besten Argumente als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Alles andere wäre schlechte Politik.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten und - zumindest in Grundzügen - darlegen, warum ich von einer Direktwahl von Bundeskanzler und Bundespräsident nicht viel halte. Ich bin Anhänger der repräsentativen Demokratie, aus voller Überzeugung. Und ich hoffe, dass ich Sie durch meine Ausführungen zumindest ein wenig zum Nachdenken bringen konnte. Falls Sie sich für die Themen Legitimitätsmonopol oder wehrhafte Demokratie interessieren, hier noch einige Links mit weiterführenden Informationen:
Legitimitätsmonopol: http://www.hsu-hh.de/kruse/index_Bqa2tWn7XSeUy9ds.html
Wehrhafte Demokratie: http://www.kas.de/wf/de/71.6249/

Es grüßt Sie herzlich aus Berlin

Ihr Otto Fricke

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Otto Fricke
Otto Fricke
FDP