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Otto Fricke
FDP
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Frage von Uwe R. •

Frage an Otto Fricke von Uwe R. bezüglich Finanzen

Guten Tag Herr Fricke,

am 31,3, stellte ich einen Beitrag ein mit sechs Fragen. Dass ich dann im Juni eine Antwort erhielt freut mich.

Die Antwort allerdings rundet mein Bild ab von dem Umgang mit Gewählten zum Wähler. Ich bewerte sie, vorsichtig ausgedrückt, mit mangelhaft.

Warum können Sie bzw. die Verfasser der Antwort nicht einfach Punkt für Punkt abarbeiten. Wahrscheinlich ist es einfacher und schneller Kopien von Artikeln zu erstellen, gell?

Bedauerlicherweise zeigt mir die Antwort, dass ähnlich wie in Talkshows -mit "weichen" Talkmastern - nicht zugehört wird bzw. Ergüsse kommen die nur noch den Abschaltknopf als Alternative erscheinen lassen.

Da ich zumindest eine Frage stellen muß:

1. Geben Sie mir noch Antworten auf die gestellten Fragen aus 3.2012?

Wenn ich als Dienstleister so mit meinen Kunden umgehen würde - ich hätte leere Auftragsbücher.

Und eines macht mich zusätzlich nachdenklich. Alles Parteienvertreter vor Ort scheinen ins Nirwana entflogen. Dummerweise fragen jetzt Bürger nach ihren Vertretern. Man kommt wohl nicht mehr damit klar, dass mittlerweile verschiedene Generationen der Jahrgänge 1925-1983 hinterfragen.

Wir hatten es so gelernt und verinnerlicht. Allerdings gab es auch vo 20 Jahren noch politische Ansprechpartner.

Mit freundlichem Gruß

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Roesger,

ich bedaure sehr, dass Sie die von Ihnen gewünschten Informationen in meiner Antwort auf die Frage von Peter Hauschild vom 31. Januar, auf die ich Sie verwiesen habe, nicht finden konnten. Gerne gehe ich daher noch einmal konkret und Punkt für Punkt auf die von Ihnen gestellten Fragen ein. Lassen Sie mich zuvor aber noch einige Bemerkungen zu Ihrem Statement aus der aktuellen Frage einschieben.

Wie Sie sich sicher vorstellen können, war ich als Haushaltspolitiker in den Wochen vor und nach den ESM-Entscheidungen sehr stark eingespannt. Daher gebe ich unumwunden zu, dass es natürlich einfacher für mich ist, auf ähnlich lautende Fragen mit dem Verweis auf bereits von mir verfasste Antworten zu reagieren. Auch wenn ich natürlich nachvollziehen kann, dass jeder Fragesteller gerne eine möglichst persönliche Antwort haben möchte, ist dies mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln bei Fragen zu gleichen Themengebieten nicht immer möglich. Ansonsten wäre ich tagtäglich nur mit der Beantwortung von Bürgeranfragen beschäftigt und würde gar nicht mehr dazu kommen, Politik aktiv zu gestalten. Schließlich dürfen Sie nicht vergessen: Die Fragen hier über Abgeordnetenwatch sind nicht die einzigen, die täglich bei mir eingehen. Ich bitte Sie daher um Verständnis dafür, dass es mir gerade in den heißesten Beratungsphasen nicht immer möglich war und sein wird, alles für alle Fragesteller zufriedenstellend zu beantworten. Dennoch gebe ich mir immer große Mühe, wie Sie hoffentlich anerkennen werden.

Was ich jedoch nicht verstehen kann, ist Ihr Hinweis auf die angeblich abgetauchten Parteivertreter, die Sie bei sich vor Ort vermissen. Ohne genau zu wissen, woher Sie kommen und mit wem Sie zu sprechen versucht haben, kann ich nur für mich festhalten, dass ich für Gesprächstermine stets zur Verfügung stehe und den Bürgern natürlich gerne erkläre, welche Entscheidung ich aus welcher Abwägung heraus wie getroffen habe. Auch auf den zahlreichen öffentlichen (Partei-)Terminen, die ich wahrnehme, versuche ich dies immer konsequent so zu halten. Ich lade Sie daher herzlich dazu ein, sich auf meiner Internetseite über meine öffentlichen Termine zu informieren und bei dem einen oder anderen persönlich vorbei zu schauen, um all Ihre kritischen Fragen zu klären. Ich bin sicher, das wird Ihr Bild von der politischen Arbeit vor Ort deutlich verbessern.

Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle aber auch für Verständnis für die breite kommunale Basis aller Parteien werben. Schließlich macht der weitaus größte Teil der politisch Aktiven in Deutschland ehrenamtlich und in seiner Freizeit Politik. Es ist daher aus meiner Sicht nur verständlich, dass gerade dieser Personenkreis nicht immer über alle Details der teils höchst komplexen Entscheidungen informiert ist - teils vielleicht sogar schlechter als spezifisch interessierte Personen wie Sie. Wenn Sie von Ihren lokalen Parteivertretern vor Ort daher nicht immer gleich alle gewünschten Informationen bekommen, ist dies natürlich schade, aber in meinen Augen sehr verständlich. Dafür stehe ich Ihnen dann ja hoffentlich mit besseren Informationen zur Verfügung und antworte gerne.

Kommen wir daher nun zu den von Ihnen im März gestellten Fragen und Statements, die ich nun - wie von Ihnen gewünscht - Stück für Stück abarbeite.

1. Wenn der Rettungsschirm installiert ist, darf der Gouverneursrat Zugriff auf die deutschen Staatsfinanzen nehmen.

Nein, zwar ist der aus den Finanzministern der Eurostaaten bestehende Gouverneursrat das wichtigste Entscheidungsgremium des ESM, doch er ist in seinen Entscheidungen nicht unabhängig und hat keinesfalls ungehinderten Zugriff auf die deutschen Staatsfinanzen, da Deutschland hierin eine Vetoposition zukommt. Der Gouverneursrat muss immer einstimmig entscheiden, sonst können keine Hilfsleistungen oder Kapitalerhöhungen bewilligt werden. Das bedeutet faktisch, dass ohne die Zustimmung des deutschen Finanzministers keine finanzwirksamen Entscheidungen getroffen werden können. Der Bundesfinanzminister wiederum ist gesetzlich an die Zustimmung des Deutschen Bundestags gebunden, der einer anstehenden Entscheidung bereits vorab zustimmen muss. Liegt keine Einwilligung des Bundestages vor, ist der Bundesfinanzminister gesetzlich dazu verpflichtet, im Gouverneursrat mit Nein zu stimmen. Dieser, auf Beharren der FDP eingeführte Parlamentsvorbehalt, bedeutet also ein faktisches Vetorecht des Deutschen Bundestages in allen wesentlichen Belangen des Gouverneursrates. Die deutsche Parlamentssouveränität in Haushalts- und Finanzfragen wird nicht abgeschafft. Der Gouverneursrat hat keinen direkten Zugriff auf die deutschen Staatsfinanzen.

2. Ist es richtig, dass dann innerhalb von sieben Tagen Gelder aus Deutschland angefordert werden können?

Theoretisch ist das möglich. Die genannte Frist betrifft Kapitalabrufe nach Art. 9 ESM-Vertrag, die erfolgen können, wenn der ESM bei seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern andernfalls in Verzug zu geraten droht. Tritt dieser Fall ein, haben wir es jedoch mit einem erheblich zugespitzten Szenario zu tun. Im Artikel 9 Absatz 3 des ESM-Vertrags heißt es: "Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen." Dieser Passus bezieht sich auf bereits genehmigtes Kapital, welches bereits durch die nationalen Parlamente bzw. Regierungen zugesagt wurde. Hierdurch soll die Handlungsfähigkeit und Akzeptanz des ESM gewährleistet und einer etwaig aufkommenden schlechten Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten vorgebeugt werden.

Aber nochmal: Die Abrufmöglichkeiten sind nach Art. 8 Abs. 5 jedoch streng auf den jeweiligen Anteil eines Mitgliedstaates am Stammkapital des ESM beschränkt. Das deutsche Höchsthaftungsvolumen beträgt somit insgesamt rd. 190 Mrd. Euro = 21,7 Mrd. Euro (Bareinlage) plus 168,3 (Abrufbares Kapital, d.h. Garantien). Dies hat auch der Präsident des Bundesrechnungshofes gegenüber dem Bundesverfassungsgericht bestätigt.

3. Ist es richtig, dass es dagegen keinen Widerspruch gibt?

Auch das ist richtig. Allerdings wäre eine Widerspruchsmöglichkeit an dieser Stelle aus den unter 2. genannten Gründen auch relativ absurd.

4. Ist es richtig, dass Sie dieser Vereinbarung im Bundestag zustimmen werden?

Das ist richtig. Dem ESM-Vertrag habe ich in der Abstimmung des Deutschen Bundestags am 29. Juni 2012 zugestimmt, nachdem sich die FDP maßgeblich für den gesetzlich verankerten Parlamentsvorbehalt eingesetzt und eine Bankenlizenz für den ESM - wie von der Opposition regelmäßig gefordert - ebenso verhindert hat, wie die Einführung von Eurobonds.

5. Wenn ja, wie sehen Sie die in unserem Grundgesetz verankerten demokratischen Kontrollpflichten?

Aufgrund des gesetzlich festgelegten Parlamentsvorbehalts für alle haushaltsrelevanten Entscheidungen, die im Gouverneursrat getroffen werden, sehe ich keinen Konflikt zwischen der Organisation des ESM und den im Grundgesetz verankerten demokratischen Kontrollpflichten des Parlaments. Auch zukünftig wird der Deutsche Bundestag alleine über das Legitimationsmonopol durch Wahlen verfügen und eigenständig und souverän über jede haushalts- und finanzpolitische Entscheidung im Zusammenhang mit dem ESM entscheiden. Das Parlament verliert in meinen Augen keinerlei Kontroll- und Budgetrechte, da es bereits vorab in alle relevanten Entscheidungen eingebunden werden muss und die Bundesregierung in ihren Handlungen strikt an die Entscheidungen des Parlaments gebunden bleibt.

6. Wie erklären Sie dann dem Bürger Ihre politische Verantwortung für diese intransparente Vereinbarung?

Meine politische Verantwortung für diese Entscheidung ist offenkundig. Schließlich habe ich dem ESM-Vertragswerk in der Abstimmung am 29. Juni 2012 zugestimmt. Allerdings halte ich die Vereinbarung für alles andere als intransparent. Ohne Frage: Das Vertragswerk ist komplex und bedarf der Erklärung. Bisher habe ich aber noch niemanden kennen gelernt, der sich ernsthaft versucht hat, mit den Strukturen des ESM zu beschäftigen - sich einzulesen und offene Fragen erklären zu lassen - und der das System im Anschluss noch immer nicht hat verstehen können. Ob man es persönlich dann gut findet oder nicht, ist natürlich eine andere Frage, aber verständlich ist es mit ein bisschen Anstrengung allemal. Leider vermisse ich jedoch bei vielen die Bereitschaft, sich unvoreingenommen und selbstständig mit derartigen Themen zu beschäftigen. Für ein eigenständiges Urteil reicht die oft etwas flache Presseberichterstattung meiner Meinung nach nicht aus. Daher kann ich Sie nur ermutigen, sich das Vertragswerk einmal persönlich zu Gemüte zu führen und zu entscheiden, ob Ihre bisherige Meinung dann noch immer zutreffend ist. Zumindest einige Ihrer hier formulierten Fragen bzw. kritischen Vorurteile konnte ich hoffentlich bereits entkräften.

In der Sache beschreiten wir mit dem ESM weiterhin den Weg haushaltspolitischer Vernunft, in dem wir das System stabilisieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Ursachen der Staatsschuldenkrise über die entsprechend mit Hilfsleistungen verbundenen Reformauflagen dauerhaft beseitigt werden.

Bei den Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone finden sich wesentliche, von der FDP immer wieder geforderte, Strukturmerkmale wieder. So haben wir erreicht,

· dass Hilfskredite nur unter strengen Sanierungsauflagen gewährt werden dürfen,

· dass der Internationale Währungsfonds nach Möglichkeit mit seiner unabhängigen Expertise und seinen strenge Kriterien beteiligt wird,

· dass Hilfsmaßnahmen nur einstimmig ausgelöst werden dürfen, d.h. dass der Deutsche Bundestag ein Vetorecht bei allen neuen Programmen oder Kapitalerhöhungen hat,

· dass über die Einführung besonderer Abstimmungsregeln (sog. Collective Action Clauses) eine angemessene Gläubigerbeteiligung im Rahmen des ESM möglich bleibt.

Ich halte dies nicht nur für verantwortbar, sondern sehe in diesem Vorgehen auch den besten Weg zur Lösung dieser wahrlich schweren Krise für unseren Kontinent.

7. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass weder Renten- noch Krankenkassen Gelder beisteuern müssen?

Absolute Gewissheit über diese Frage gibt es ebenso wenig, wie man mit Gewissheit sagen kann, was passiert, wenn man die Eurostabilisierung einfach einstellt. Gewisse Folgen jedoch lassen sich für diesen Fall mit einer großen Eintrittswahrscheinlichkeit vorhersagen und dass betrifft dann wiederum ganz konkret die von Ihnen angesprochene Altersvorsorge.

Die erste Folge einer ungeordneten Insolvenz eines Mitgliedsstaates wäre, dass Inhaber der entsprechenden Staatsanleihen diese Papiere abschreiben müssten. Dies würde Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit fast jeden Privatanleger insbesondere bei Fragen der Altersvorsorge treffen.

Die zweite Folge wäre, dass der Kapitalmarkt einen negativen Lerneffekt erzielt und fortan bei bestimmten Staaten Kredite nur noch gegen erhebliche Zinsaufschläge zur Kompensation des Ausfallrisikos gewährt. Hierdurch würden andere schwächere Staaten aufgrund immer höherer Refinanzierungskosten gewissermaßen einen Insolvenzbeschleuniger erfahren. Die Folge könnte eine Kaskade wirtschaftlich zusammenbrechender Staaten sein, die aus dem Euroraum aussteigen, ihre eigene Währung einführen und diese erheblich abwerten müssten. Eine solche Kaskade würde wiederum die Banken, Versicherungen, Rentenfonds und damit hauptsächlich Privatanleger treffen, da die Anleihen trotz eines Währungswechsels noch immer in Euro dotiert sind und entsprechend kaum zum halbwegs akzeptablen Wert abgelöst werden dürften.

In der Folge droht der Zusammenbruch eines ganzen Wirtschaftsraums, der insbesondere die hauptsächlich am Export orientierte, deutsche Volkswirtschaft treffen würde. In der Konsequenz eines derartigen Szenarios wäre mit starker Inflation und Massenarbeitslosigkeit auch hierzulande zu rechnen. Wer dann am langen Ende der Leidtragende dieser Entwicklung sein dürfe, ahnen Sie sicher bereits- die Steuerzahler und auch die Ruheständler in Deutschland!

Vor diesem Hintergrund stellt sich der ernsthafte Versuch, einen in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedsstaat zunächst zu stützen und ihm gleichzeitig eine Sanierungskur zur Erreichung gesunder Strukturen und damit dauerhafter eigener Stabilität angedeihen zu lassen, weitaus weniger risikoreich für unsere deutschen Interessen dar.

Ich hoffe ich konnte in diesem zweiten Anlauf nun all ihre Fragen umfassend beantworten. Außerdem lege ich Ihnen - wie bereits erwähnt - wärmstens ans Herz, sich einmal eigenständig und unvoreingenommen mit den Vertragswerken ESM und Fiskalvertrag zu beschäftigen. Ich denke, so können sich viele Ihrer Vorbehalte schnell klären.

Es grüßt Sie herzlich aus Berlin

Ihr Otto Fricke

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